Warum lassen sich Drohnen am besten kinetisch bekämpfen und welche Rolle spielen elektronische Abwehrmaßnahmen? Antworten von Oliver Dürr, Geschäftsführer von Rheinmetall Air Defence in Zürich.
Herr Dürr, Drohnen sind zwar kein ganz neues Thema, die Kriege in Bergkarabach und aktuell in der Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) zeigen aber, dass von den unbemannten Systemen eine immer größere Gefahr ausgeht. Wie stellt sich die Bedrohungslage aus ihrer Sicht dar?
Die Bedrohung, die von größeren Drohnen ausgeht, die hatte man schon länger auf dem Radar, da war schon der erwähnte Krieg in Bergkarabach ein „Gamechanger” (-> Bergkarabach-Analyse: Die Drohnen-Plage). In der Ukraine kommen nun tagtäglich in riesiger Anzahl auch kleinere, zum Teil selbstgebastelte Drohnen mit niedrigsten Stückkosten zum Einsatz, die für militärische Großsysteme, aber zunehmend auch für einzelne Soldaten, eine enorme Bedrohung darstellen. Eine Antwort darauf hat bis auf uns aber bislang niemand.
Und wie sieht die Antwort von Rheinmetall Air Defence konkret aus?
Wir beschäftigen uns seit 60 bis 70 Jahren mit der Bekämpfung von Luftzielen und sind schon vor langer Zeit in der Entwicklung dahin gegangen, dass wir auch kleinere Ziele detektieren und bekämpfen können. Dabei haben wir erkannt, dass sich die Trefferwahrscheinlichkeit erhöht, wenn man streut, wenn sich die Munition in der Luft also wie Schrot zerlegt. Bei der von uns Ende der 1990er-Jahre entwickelten programmierbaren Ahead-Zerlegermunition (-> Rheinmetall: Wie funktioniert Ahead-Munition?) hatte ursprünglich natürlich niemand an Drohnen gedacht. Wir sehen aber nun, dass sich Drohnen damit kinetisch sehr effektiv bekämpfen und herunterholen lassen.
Welche Rolle spielt im Vergleich dazu die elektronische Drohnenabwehr?
Die elektronische Abwehr ist im Moment sicher wichtig und wird auch in Zukunft eine gewisse Bedeutung haben. Allerdings: Elektronische Systeme lassen sich in vielen Fällen umgehen und wir sehen ja schon jetzt in der Ukraine, dass Drohnen immer öfter ohne elektronische Steuerung auskommen und damit immun gegen Jammer werden. Für kinetische Wirkmittel gilt das aber nicht. Wenn wir schießen, dann treffen wir auch.
Voraussetzung dafür ist aber die Detektion, also das rechtzeitige Aufspüren und Orten der Drohne?
Natürlich, aber auch dahingehend sind wir gut aufgestellt, weil wir immer schon das Luftlagebild gebraucht haben, um unsere Systeme effektiv zum Einsatz bringen zu können.
Sie haben die Bedeutung der kinetischen Abwehr hervorgehoben. Österreich hat dahingehend im Vorjahr bei ihrem Unternehmen die Modernisierung seiner bestehenden 35-Millimeter-Fliegerabwehrkanonen beauftragt, auf zumindest 36 neuen Pandur Evolution sollen zudem Skyranger-Fliegerabwehrtürme aus ihrem Haus aufgebaut werden. Setzt das Bundesheer damit auf das richtige Pferd?
Definitiv und Österreich übernimmt damit auch international eine Vorreiterrolle. Den Mut und zugleich auch die Weitsichtigkeit, zu sagen, dass man sowohl ein modernes mobiles Abwehrsystem und ergänzend dazu ein verlegbares Bodensystem braucht und man beides miteinander vernetzt, haben nicht viele. Da können sich einige weit größere Armeen eine Scheibe abschneiden.
Der Skyranger wurde ursprünglich für den Boxer konzipiert, musste für Österreich aber für den wesentlich kleineren Pandur Evolution von General Dynamics European Land Systems-Steyr adaptiert werden. Wie lief das?
Ganz ehrlich, das war eine Challenge, bei der wir unternehmensintern gründlich überlegt haben, ob wir diesen Weg überhaupt gehen wollen. Nachdem es in Österreich aber um eine relevante Stückzahl ging und auch andere Länder an einer Lightweight-Variante interessiert sind, haben wir uns schließlich dafür entschieden. Gemeinsam mit dem Bundesheer konnten wir dann in einem sehr wertschätzenden Austausch einen richtig guten Turm entwickeln.
Wie viele Abstriche mussten dabei gemacht werden? Es galt schließlich etwa ein Drittel des Gewichts einzusparen, rund eine Tonne.
Wir mussten bei der Performance keinerlei Abstriche machen, was auch für uns ein Augenöffner war. Entscheidend war, dass wir davor im Turm eine Durchstiegsluke aus dem Fahrzeug heraus geplant hatten, einen Notausstieg. In den Gesprächen mit dem Bundesheer wurde dann aber sehr bald die Frage gestellt, ob es diese Luke überhaupt braucht.
Und die Antwort war?
Nein, braucht es nicht. Also haben wir die Luke weggenommen und in Kombination mit einigen weiteren Maßnahmen das entsprechende Gewicht eingespart.
Wir haben zuvor schon über die Detektion und das Luftlagebild gesprochen: Inwiefern lassen sich diese Informationen aus dem Skyranger-Turm, der ja neben der Kanone und Fliegerabwehrraketen auch über ein Hensoldt-Radar verfügt, auch mit der Infanterie in der Umgebung teilen? Lässt sich damit eine Art Schutzblase aufziehen? Und wenn ja, wie groß kann diese Blase sein?
Angesichts der eingangs erwähnten von Drohnen ausgehenden Bedrohung selbst für einzelne Soldaten ist das ein ganz entscheidender Punkt. Wir können die Informationen über die Drohnenlage tatsächlich teilen und damit der Infanterie helfen, Bedrohungen frühzeitig zu lokalisieren. Dabei ist die Größe der Blase prinzipiell unbeschränkt. Es ergibt aber keinen Sinn, einen Soldaten über Kleinstdrohnen in 50 Kilometer Entfernung zu informieren. Das Ziel muss es also sein, dem Infanteristen immer nur die Informationen zu liefern, die für ihn auch relevant sind.
Sehen Sie abseits davon weitere Trends und Entwicklungspotenziale bei der Drohnenabwehr?
Eine gute Frage, die wir uns natürlich tagtäglich selbst stellen. Wir arbeiten dabei an einem Laser, natürlich an Abwehrdrohnen und parallel auch an der Weiterentwicklung unserer elektronischen Abwehrsysteme …
… obwohl deren Bedeutung schwindet, wie Sie zuvor gesagt haben?
Ich habe gesagt, dass sich die elektronische Abwehr von gewissen Systemen umgehen lässt. Es gibt aber immer noch genügend Systeme, die sich damit bekämpfen lassen und somit wird auch die elektronische Abwehr weiterhin von Relevanz sein. Ähnlich wie die Fliegerabwehr muss man auch die Drohnenabwehr in mehreren übereinanderliegenden und sich gegenseitig ergänzenden Schichten mit unterschiedlichsten Wirkmitteln und Effektoren denken.
Ergänzend zur Modernisierung der Fliegerabwehr und den neuen Skyranger-Türmen plant das Bundesheer im Projekt „C-EAT” die Aufrüstung seiner entsprechenden elektronischen Abfangkapazitäten. Inwieweit ist dabei auch Ihr Unternehmen involviert?
Wir machen uns natürlich Gedanken darüber und sind auch in Gesprächen. Für uns würde sich damit die einmalige Chance bieten, in Österreich das komplette Abfangbild zu zeichnen, die Integration unterschiedlichster Ansätze und Ebenen in einem Gesamtsystem. Das hätte für das Bundesheer ganz sicher viele Vorteile.
Blicken wir abschließend noch einmal in die Zukunft: Aktuell kommen auch immer mehr unbemannte Landfahrzeuge (UGV = Unmannend Ground Vehicle) auf den Markt. Rheinmetall hat dabei mit dem Mission Master eines der führenden Systeme. Ist es denkbar, diese oder eine andere Plattform in die Skyranger-Familie zu integrieren, um damit mehr Sensoren auf das Feld zu bringen oder möglicherweise sogar mit kleineren ergänzenden Kanonen zusätzliche Feuerkraft aufbieten zu können?
Das ist in der Tat mehr als eine Überlegung. Im vergangenen Jahr haben wir auf der AUSA-Fachmesse in den USA auch bereits einen Skyranger-Turm auf einem M5 Ripsaw Robotic Combat Vehicle (-> Rheinmetall macht den Skyranger-Turm autonom) ausgestellt und wir denken natürlich in diese Richtung weiter. Dahingehend gibt es viele Ideen und alleine schon die Tatsache, dass sich immer mehr Armeen schwertun, ausreichend Personal zu finden, wird dafür sorgen, dass entsprechende Plattformen und Konzepte an Bedeutung gewinnen. Wohin die Reise genau geht, werden wir aber wohl erst in ein paar Jahren sehen.
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