Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Philipp Dienstbier von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Wir haben den Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten gefragt, welche strategischen Ziele Saudi-Arabien in Syrien verfolgt.

Herr Dienstbier, seit 2023 gab es erneute Annäherungen zwischen Damaskus und Riad. Ist der Sturz von Bashar al-Assad für die saudische Führung mehr Verlust oder mehr Chance?
Es ist richtig, dass sich Saudi-Arabien und Baschar al-Assad in den vergangenen Jahren wieder angenähert hatten – jedoch weniger, weil Riad das unbedingt wollte, sondern eher, da man Assad als alternativlos ansah und gehofft hatte, mit dem syrischen Machthaber zu einem pragmatischen Arrangement zu kommen. Die Hoffnungen, die Saudi-Arabien in die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Assads Syrien gesetzt hatte – vor allem das Ziel, den Schmuggel der Droge Captagon, die in Syrien produziert und schwerpunktmäßig nach Saudi-Arabien exportiert wird, zu unterbinden – hatten sich jedoch von Anfang an nicht erfüllt. Daher dürfte man in Riad den Sturz Assads jetzt kaum als großen Verlust betrachten. Die Chance ist eher, dass Saudi-Arabien mit der neuen Führung um Ahmad Al-Sharaa nun seine Ziele besser erreichen kann.

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Welche strategischen Ziele verfolgt Riad in Syrien?
Saudi-Arabien möchte zuallererst eine stabile Nachbarschaft. Das Königreich hat ambitionierte Pläne für die Diversifizierung der eigenen Wirtschaft weg von Öl sowie Gas und hin zu neuen Industrien. Es will Standort für multinationale Unternehmen werden und zur Drehscheibe des Welthandels zwischen Europa, Asien und Afrika avancieren. Und nicht zuletzt möchte Saudi-Arabien künftig 150 Millionen Touristen jährlich anziehen. All das geht nicht, wenn Kriege und Instabilität in der Region Investoren und Touristen davon abhalten, ihr Geld nach Saudi-Arabien zu bringen. Das Königreich will daher verhindern, dass Syrien erneut im Chaos versinkt oder terroristische Akteure, wie der Islamische Staat, wiedererstarken und die Region destabilisieren. Darüber hinaus möchte Riad den iranischen Einfluss in Syrien, wie auch im Libanon, Irak und Jemen zurückdrängen. Zuletzt ist vor allem die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Syrien, deren synthetische Drogen immense gesellschaftliche Probleme in Saudi-Arabien hervorgerufen haben, von besonderer Bedeutung für Riad.

„Dass der sogenannte schiitische Halbmond von Iran bis Libanon nun zerbricht, sind positive Nachrichten für Riad.“

Welche ideologischen und/oder politischen Übereinstimmungen gibt es möglicherweise zwischen Ahmad al-Scharaas HTS und der Golfmonarchie?
Hay’at Tahrir Al-Shams anti-iranische Ausrichtung ist sicherlich der größte Überschneidungspunkt mit Saudi-Arabien. Zwar hat Riad mit der Wiederaufnahme seiner diplomatischen Beziehungen zu Teheran im Jahr 2023 einen weniger konfrontativen Kurs gegenüber der islamischen Republik eingeschlagen und setzte zuletzt verstärkt auf Deeskalation. Eine Schwächung iranischer Stellvertreter und das Zurückdrängen Irans durch andere Akteure zahlt aber auf die regionalen Machtinteressen Saudi-Arabiens ein. Dass der sogenannte schiitische Halbmond von Iran bis Libanon nun zerbricht, maßgeblich vorangetrieben durch HTS und den von ihnen angeführten Sturz Assads, sind daher positive Nachrichten für Riad. Dennoch steht Saudi-Arabien islamistischen und salafistischen politischen Gruppierung skeptisch gegenüber, weil diese letztendlich auch das Königreich angesichts seiner Rolle als derzeitiger Hüter der heiligsten Stätten des Islams als Feinde betrachten. Der ideologische Ursprung von HTS und Al-Sharaas persönliche Vergangenheit mit Al-Kaida und dem islamischen Staat sind daher Warnsignale für Riad. Al-Sharaa versucht daher momentan mit einer regelrechten Charmeoffensive gegenüber Saudi-Arabien, wie auch mit positiven Signalen an die internationale Gemeinschaft, diese Vorbehalte auszuräumen und den eigenen Pragmatismus zu unterstreichen – das kommt in Riad bislang gut an.

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Die islamistische Ausrichtung von HTS lässt manche Beobachter befürchten, dass Syrien Ausgangspunkt für dschihadistische Aktivitäten in den arabischen Nachbarländern werden könnte. Wie bewertet Riad die Lage und wie will es derartige Entwicklungen gegebenenfalls verhindern?
Es scheint, als wäre Saudi-Arabien zunächst von den rhetorischen Signalen der Mäßigung von Ahmed Al-Sharaa beschwichtigt und zeigt sich bereit, dem neuen Machthaber in Damaskus einen Vertrauensvorschuss einzuräumen. Dennoch wird Riad sicherlich genau beobachten, ob HTS sich entsprechend seiner Zusagen verhält und seine dschihadistische Vergangenheit möglicherweise hinter sich lässt. Mein Eindruck ist, dass Saudi-Arabien momentan auch ein größeres Risiko darin sieht, dass es infolge der politischen Instabilität in Syrien erneut zu einem Erstarken des islamischen Staates kommen könnte. In jedem Fall wird Saudi-Arabien alles daran setzten, nicht erneut in einen regionalen Konflikt hineingezogen zu werden.

„Der Golf-Staat versteht, dass eine stabile politische Entwicklung seines nördlichen Nachbarlandes davon abhängt, dass sich die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Land verbessert.“

Auf welche Weise kann Saudi Arabien Syrien unterstützen? Gibt es bereits konkrete Pläne?
Riads Einfluss in Syrien ist nicht so groß wie der Katars oder der Türkei. Vor allem über finanzielle Zusagen an die neue politische Führung und mit wirtschaftlicher Unterstützung für Syrien kann Saudi-Arabien momentan den größten Unterschied machen. Der Golf-Staat versteht, dass eine stabile politische Entwicklung seines nördlichen Nachbarlandes davon abhängt, dass sich die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Land verbessert. Mit den nicht unerheblichen finanziellen Möglichkeiten Saudi-Arabiens kann das Königreich hier eine wichtige Stütze sein.

©Militär Aktuell

Riad könnte Damaskus zudem vergünstigtes Öl bereitstellen, um das Wegbrechen der iranischen Einfuhren auszugleichen, und sich bei westlichen Partnern für eine Aufhebung von Sanktionen gegen HTS im Speziellen und Syrien im Allgemeinen stark machen, um eine effektivere internationale Hilfe zu ermöglichen. Weiterhin stünden saudische Unternehmen bereit, um bei dem Aufbau von strategischer Infrastruktur oder Schlüsselindustrien in Syrien eine zentrale Rolle zu übernehmen. Dies würde nicht zuletzt dem strategischen Ziel Saudi-Arabiens, die wirtschaftliche Integration der Region voranzutreiben und Wirtschaftskorridore über die arabische Halbinsel hinweg zu errichten, Rechnung tragen. Bevor man jedoch die ganz großen Investitionen in Syrien wagt, wird Riad aber die weiteren Entwicklungen abwarten.

Hier geht es zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an”.

Quelle©Privat