Die türkische Rüstungsindustrie ist seit Jahren im Aufschwung: Von Drohnen über Kampfjets bis hin zu Kriegsschiffen und Fliegerabwehrkanonen – es gibt mittlerweile kaum mehr Verteidigungsgüter, die nicht im Land hergestellt und zunehmend auch exportiert werden.
Der „Global Firepower Index” (GFP) bewertet 145 Länder nach ihrer militärischen Stärke. Seit Jahren stehen die USA, Russland und China auf den ersten Plätzen, im aktuellen Ranking folgen Indien, Südkorea, Großbritannien, Frankreich und Japan. So weit, so erwartbar. Auf Platz neun dann allerdings eine Überraschung: Noch vor Italien (10.), vor der Atommacht Pakistan (12.), vor Deutschland (14.), Israel (15.) und Polen (21.) ist die Türkei in den Kreis der militärisch potentesten Länder der Welt aufgestiegen.
Erreicht hat das Land diese Topplatzierung mit jahrzehntelangen massiven Investitionen in seine Streitkräfte. Profitiert hat davon neben der Armee aber auch die lokale Rüstungsindustrie. Mit Konzernen wie Baykar, STM und Otokar ist „made in Türkiye” im Verteidigungsbereich längst weltweit bekannt. Die Branche umfasst national mittlerweile mehr als 2.000 Unternehmen mit knapp 100.000 Beschäftigten. Sie liefern ihre Produkte in 170 Länder und neben Aselsan (Platz 42) zählt das Branchenmedium Defence News in einer aktuellen Übersicht auch Turkish Aerospace Industries (50.), Roketsan (71.), Makine ve Kimya Endustrisi (84.) und Askeri Fabrik ave Tersane Isletma (94.) zu den 100 global größten Rüstungsunternehmen.
Ausgangspunkt für diese Entwicklungen war das Jahr 1985. Damals ratifizierte die Regierung das Gesetz Nr. 3238, gründete damit das Unterstaatssekretariat für Verteidigungsindustrie, kurz SSM. Das mittlerweile in SSB (Savunma Sanayii Başkanlığı) umbenannte und seit 2017 direkt der Präsidentschaftsverwaltung angegliederte Sekretariat nahm fortan eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Industrie, Staat und Armee ein. 2022 managte das Sekreatariat ein beachtliches Projektvolumen von rund 75 Milliarden Euro, wie Haluk Görgün, Präsident des SSB, im Gespräch mit Militär Aktuell erklärt.
Zeitgleich mit der Gründung des SSM fällt auch der Startschuss zum Ausbau der strategischen Autonomie des Landes zusammen. Erste größere Rüstungsprogramme wie beispielsweise die Beschaffung neuer Helikopter vom Typ AB-412, Sikorsky S-70 Black Hawk und Cobra AH-1 wurden in die Wege geleitet. Zudem wurden das TF-2000- und das Turkish Frigate-Programm zur Entwicklung eines neuen Zerstörers und einer neuen Fregatten-Klasse sowie das MilGEM-Projekt für Entwicklung und Bau inländischer Korvetten gestartet. Mit der Lizenzfertigung von mehr als 150 F-16-Kampfjets (-> 50 Jahre F-16 und kein Ende in Sicht) wurden bedeutende Produktionskapazitäten und Zulieferstrukturen aufgebaut.
Mit dem Jahr 2000 bemühte sich die lokale Industrie dann auch verstärkt um internationale Koproduktionen. Seitdem werden im Land etwa Komponenten für den Airbus A-400M, für Teile des Cougar-Helikopters sowie für viele gepanzerte Fahrzeuge gefertigt. Parallel dazu begann die Industrie immer mehr eigene Produkte zu entwickeln. Dazu zählen beispielsweise Drohnen vom Typ Bayraktar TB2 und Anka-S, der Kampfpanzer Altay oder das Turboprop Schul- und leichte Angriffsflugzeug Hürkuş. Das Land wandelte sich damit vom Waffenimporteur zum global agierenden Exporteur.
Mit der Regierungsübernahme durch Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2014 erfuhr die bereits gut laufende Industrie einen nächsten Entwicklungsboost: Beschaffungen aus dem Ausland werden seitdem noch kritischer hinterfragt, lokale Entwicklungen, Designs und Produktionen forciert. „Made in Türkiye as much as you can”, beschreibt SSB-Präsident Görgün die Devise, mit der sich die lokale Industrie längst auch an Großprojekte wagt. Bestes Beispiel dafür ist die Entwicklung des 5.-Generation-Kampfjets Kaan, der mittelfristig die in die Jahre gekommene F-16-Flotte der türkischen Luftwaffe ersetzen soll.
Die ersten Prototypen werden noch von zwei General Electric F110-GE-129-Triebwerken (auch aus der F-16 bekannt) angetrieben. Geht es nach den nationalen Plänen, dann sollen diese aber ab 2028 durch einheimische Triebwerke ersetzt werden, der Kaan damit zu einem Prestigeprojekt mit „100 Prozent made in Türkiye” werden und die Regierung ihrem Ziel eines nationalen Verteidigungs-Ökosystems mit Produkten aus allen Bereichen (von U-Booten und Überwasserschiffen bis hin zu Land- und Luftprodukten sowie Satelliten) noch einen Schritt näherkommen.
Die größten Rüstungskonzerne der Türkei: Aselsan
Aselsan ist das größte Unternehmen für Verteidigungselektronik in der Türkei, mit seinen rund 10.000 Mitarbeitern aber auch im zivilen Bereich aktiv. Kernkompetenzen im militärischen Bereich sind Kommunikations- und Informationstechnologien, Radar und elektronische Kampfführung, Elektrooptik, Avionik, unbemannte Systeme, Luftverteidigungs- und Raketensysteme, sowie Kommando- und Kontrollsysteme. Das Portfolio des von CEO Ahmet Akyol geführten Unternehmens umfasst rund 700 Produkte, aktuelle Vorzeigeprojekte sind etwa die Weiterentwicklung des AESA-Radars für den neuen türkischen Kampfjet Kaan und der elf Kilogramm schwere EPHOD Mini Electronic Attak Pod für die Drohnen TB2 und Akinci. Zudem wird derzeit intensiv am Hava SOJ-Projekt gearbeitet – einem Stand-off-Jammer, integriert in einer Global 6000, mit dem sich die Radar- und Kommunikationssysteme eines Gegenübers blockieren lassen.
Die größten Rüstungskonzerne der Türkei: Baykar Tech
Das 1986 gegründete Maschinenbauunternehmen fertigte zunächst Automobilteile, im Jahr 2000 startete dann aber auch die Entwicklung unbemannter Luftfahrzeuge. Erstes Ergebnis der Bemühungen war die Mini UAV, die ab 2005 ausgeliefert wurde. 2014 folgte mit der Bayraktar TB2 schließlich der Durchbruch im Segment. Die Angriffsdrohne ist mittlerweile bei zahlreichen Armeen weltweit im Einsatz und ist von Libyen über Bergkarabach (-> Die Drohnen-Plage in Bergkarabach) bis hin zur Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) auch in mehreren Kriegen kampferprobt. Im Jahr 2021 folgte mit der Übergabe der ersten Akinci-Drohne an die türkische Luftwaffe der nächste Entwicklungsschritt, 2022 gelang der Erstflug des strahlgetriebenen unbemannten Kampfjets Kizilelma. Im Vorjahr sorgte das Unternehmen dann für einen (wohl nur vorläufigen) türkischen Exportrekord im Defencebereich: Saudi-Arabien bestellte Akinci-Angriffsdrohnen im Wert von knapp drei Milliarden Euro.
Die größten Rüstungskonzerne der Türkei: Roketsan
Roketsan ist auf zwei wesentliche Segmente aufgeteilt: Der Bereich Products umfasst Land Systems, Air Defense Systems, Naval Systems, Precision Guided Systems, Space Systems, Ballistic Protection und Subsysteme. Zum Bereich Services gehören Environmental Conditions Tests, Ballistic Protection und Flight Tests, EMI/EMC Tests sowie umfangreiche Prüflaboratorien zur Verifizierung der Qualitätsanforderungen und Validierung unterschiedlichster Prozesse und Produkte. Zu den bekanntesten Roketsan-Entwicklungen gehören die Khan-Rakete, im Bereich Luftverteidigung die Raketen Sungur und Hisar sowie das Alka Direct Energy Weapon System. Stark nachgefragt sind außerdem die Anti-Schiffslenkwaffe Atmaca und der neue Langstreckentorpedo Akya. Neu ist die 95 Kilogramm schwere präzisionsgelenkte MAM-T-Bombe für den Einsatz von UAV und leichten Kampflugzeugen aus. Anfang 2024 wurde mit Tests der UAV-230, einer Air-to-Surface Ballistic Supersonic Missile, begonnen.
Die größten Rüstungskonzerne der Türkei: STM
Die Wurzeln von STM reichen ins Jahr 1991 zurück. Ziel war es damals, Projektmanagement, Systemtechnik und Beratungsdienste für das Präsidialamt der Türkei, für das Präsidialamt für die Verteidigungsindustrie (SSB) und für die türkischen Streitkräfte zu erbringen. Heute ist das Unternehmen in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig, von Marineplattformen bis zu taktischen Mini-UAV-Systemen und von Cybersicherheit bis zu Satellitentechnologien. Zu den aktuell wichtigsten Projekten zählen Intel-FS2 (dabei geht es um die Entwicklung eines Softwaresystems für die nachrichtendienstliche Infrastruktur der NATO) sowie das MilGEM-Projekt zur Entwicklung heimischer Kriegsschiffe mit modernen Kampffähigkeiten und hochseetauglichen Patrouillenfähigkeiten unter umfassender Nutzung der Stealth-Technologie.
Die größten Rüstungskonzerne der Türkei: Turkish Aerospace Industries (TAI)
Das Unternehmen wurde bereits 1973 gegründet, und hatte dann 1984 seinen ersten internationalen Auftritt: Mit der Entscheidung F-16-Kampfflugzeuge zu beschaffen, wurde TAI für geplante 25 Jahre als türkisch-amerikanisches Gemeinschaftsunternehmen (Lockheed Martin hielt 43 Prozent der Anteile und General Electric acht Prozent) geführt, um Jets zu fertigen, Bordsysteme zu integrieren und Flugtests durchzuführen. Schon vor Ablauf der 25 Jahre übernahmen allerdings türkische Investoren die Anteile von Lockheed Martin und General Electric, und richteten das Unternehmen neu aus. Heute gehört TAI mit seinen 17.000 Mitarbeitern zu den größten Luft- und Raumfahrtkonzernen der Welt. Zum Portfolio gehören Helikopter (T70-Mehrzweckhubschrauber und T929 Atak 2-Angriffshubschrauber) ebenso wie Drohnen (Überwachungsdrohne Anka und aktuell Anka III) und Flugzeuge wie der Kaan und der Trainer Hürjet (-> Türkischer Hürjet kommt in die Gänge).
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