Sascha Brüning ist Vice President (VP) bei Vincorion. Das deutsche Technologieunternehmen ist auf Generatoren, Energiesysteme und Stromerzeugungsaggregate spezialisiert und mit seinen Produkten beim Österreichischen Bundesheer im Eurofighter, aber auch in Fahrzeugen von Rheinmetall und KNDS zu finden, wie dem Leopard 2. Wieso das Thema „Green Defence” für das Unternehmen besonders wichtig ist und welche Herausforderungen damit verbunden sind, erklärt Brüning im Interview mit Militär Aktuell-Chefredakteur Jürgen Zacharias.

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Herr Brüning, was bedeutet „Green Defence” für Sie persönlich und für die Verteidigungsindustrie insgesamt?
Ich bin überzeugt, dass wir in Europa zwei „Kalten Kriegen” gegenüberstehen. Der erste ist der Kampf gegen den Klimawandel. Das drücke ich deswegen so drastisch aus, weil uns angesichts des fortschreitenden Klimawandels seit spätestens Mitte der 2000er-Jahre klar ist, dass wir handeln müssen – auch in der Verteidigungsindustrie. Dahingehend haben die NATO, die US Army (-> aktuelle Meldungen rund um die US-Streitkräfte) und einige europäische Streitkräfte klare Klimaziele ausgegeben. Laut unseren Kennzahlen verursachen die Streitkräfte CO2-Emissionen von 343 Millionen Tonnen jährlich. Das ist signifikant und zeigt, dass wir auch im Bereich der Verteidigung unseren Beitrag zum Schutz der Erde leisten müssen.

Jetzt kommen wir zum zweiten Kalten Krieg: Wir wissen nicht, wie und wann der Konflikt in der Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) endet. Aber wir wissen, dass Europa nicht mehr in die Zeit vor Februar 2022 zurückkehren kann. Deswegen sind die Themen Aufrüstung, Hochrüstung, Kriegsbereitschaft und Kriegsfähigkeit in aller Munde. Im Gespräch mit Soldaten wird deutlich: Für sie steht die Verteidigungsfähigkeit an oberster Stelle. Solang das Thema „Green Defence” diese Fähigkeit nicht einschränkt, sind die Soldaten dafür aber durchaus offen. Und genau das ist der springende Punkt. Unsere Bemühungen werden daran gemessen, ob „Green Defence” im Widerspruch oder im Einklang mit der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit steht. Unser Ziel ist es daher, an den Klimazielen zu arbeiten, aber gleichzeitig unseren Kunden eine Überlegenheit auf technologischer Ebene zu ermöglichen …

… also mehr Nachhaltigkeit bei zugleich höherer Schlagkraft und Verteidigungsfähigkeit?
Es kann nur so gehen. Die Truppe will immer bestmöglich ausgerüstet sein, um so schlagkräftig wie möglich zu sein. Die CO2-Neutralität spielt vor diesem Hintergrund für die Soldaten nur eine untergeordnete Rolle, das ist primär ein politisches Ziel. Wir als Industrie sind aber in der Verpflichtung, beide Ziele in angemessener Weise komplementär zueinander zu verfolgen. Die Erwartungshaltung an die Soldaten kann nicht sein, dass sie mit Blick auf die CO2-Neutralität ihre Fähigkeiten einschränken. Sollte das der Fall sein, wird „Green Defence” scheitern.


Das klingt nach einer schwierigen Gratwanderung. Wie lösen Sie dieses Problem bei Vincorion?
Nehmen wir als Use-Case einmal die Stromerzeugung – sei es in Fahrzeugen, bei Luftverteidigungssystemen wie dem Patriot-System oder mit taktischen Aggregaten beispielsweise bei Feldlagern. Dabei können wir die Nachhaltigkeit auf zwei Arten verbessern. Zum einen ersetzen wir bei bestehenden Systemen Technologien, die Jahrzehnte alt sind, also zum Beispiel Dieselmotoren, bei denen der Umweltschutz noch keine Rolle spielte. Ersetzt man diese Systeme durch Stage-5-Motoren mit Abgasfilter, wie wir sie verbauen, reduziert sich der Verbrauch deutlich. Im normalen Nutzungsfall – also in Friedenszeiten – laufen dann diese Stage-5-Motoren und im Einsatzfall kann die Abgasnachbehandlung demontiert werden, um dem Nutzer das Verwenden aller Treibstoffe zu ermöglichen und die Einsatzfähigkeit zu erhöhen.

Der zweite große Punkt ist der Einsatz neuer Technologien, zum Beispiel hybriden Aggregaten, bei denen wir auch mit Energiespeichern arbeiten, um Spitzenlasten abzufedern. Auch Aggregate mit Netzanschluss sind möglich. Ein Diesel-Aggregat in der Luftabwehr ist heutzutage 24 Stunden im Einsatz, weil das Radar ohne Unterbrechung laufen muss. Neuere Aggregate bieten Anschlussmöglichkeiten an das öffentliche Netz. Sollte das Netz zusammenbrechen, springt ohne Unterbrechung das Diesel-Aggregat ein. Eine weitere Möglichkeit ist das angesprochene Abfedern der Spitzenlasten. Häufig sind Motoren und Anlagen für diese Spitzenlasten ausgelegt. Im Bereich der Flugabwehr ist das etwa das Ausfahren der Stützarme für die Radarträger. Das benötigt mehr Energie als der „normale” Betrieb. Wenn aber deutlich kleinere Motoren, die für den normalen Betrieb ausgelegt sind, zum Einsatz kommen und die Spitzenlasten mit Energiespeichern erreicht werden, verbraucht die Anlage am Ende des Tages deutlich weniger Treibstoff. Daraus ergeben sich weitere Vorteile. Beispielsweise muss eine Patriot-Batterie heute zweimal täglich mit einem Tanklastzug betankt werden. Durch den Einsatz kleinerer Motoren ist dies möglicherweise nur mehr einmal täglich notwendig, oder noch seltener. Das spart Treibstoff im System, aber auch in der Logistik, schließlich muss auch der Tanklastzug weniger häufig fahren – was am Ende auch der Sicherheit der Soldaten dient.

Deutschland, Schweiz & Österreich: Kooperation der Luftstreitkräfte

Können diese Argumente Nutzer auf Anhieb überzeugen? Oder bedarf es zusätzlicher Überzeugungsarbeit, um die Vorteile klarer darzustellen? Und noch eine wichtige Frage: Gibt es Länder oder Zielgruppen, in denen Ihre Argumente auf besonders fruchtbaren Boden fallen, während sie andernorts stärker angepasst werden müssten?
Das muss man wieder zweigeteilt sehen. Die Nutzer – und wir sprechen hier von den Soldaten, die die Systeme bedienen – nehmen die Vorteile, die die Systeme durch den Netzbetrieb, durch geringere Geräusch-Emissionen und durch die geringere Hitzesignatur haben, gerne an. Dadurch erhöht sich schließlich auch ihr Schutz. Eine Stufe höher – beispielsweise im Ministerium – geht es darum, wie diese Systeme finanziert werden. Zentrales Thema bleibt, wie viel eine einzelne Anlage kosten darf – und welche Einschränkungen das für andere Beschaffungen bedeutet. Da Haushaltsmittel in der Regel begrenzt sind, müssen Prioritäten klar gesetzt werden. Besonders in Zeiten, in denen der Grundsatz „mass matters” wieder an Bedeutung gewinnt, ist trotzdem eine ausgewogene Mischung aus Quantität und Qualität unverzichtbar.

Und zu Ihrer zweiten Frage: Unterschiedliche Länder forcieren das Thema „Green Defence” natürlich unterschiedlich stark. In Europa nehmen dabei etwa Deutschland, das Vereinigte Königreich, aber auch Slowenien und Frankreich Vorreiterrollen ein. Die Entscheidung für umweltfreundlichere Systeme basiert auf einer Mischung aus der Überzeugung, zum Schutz des Klimas und der Erde beizutragen, den verfügbaren finanziellen Mitteln und nicht zuletzt dem politischen Willen, solche Lösungen zu fördern. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die EU, mit großen Förderprogrammen, die dieses Thema adressieren. Ich denke, dass auch zukünftige Programme entsprechende Technologieinitiativen forcieren werden.

„Wir bei Vincorion haben uns bewusst dafür entschieden, beim Thema „Green Defence” eine Vorreiterrolle einzunehmen.“

Wie bewerten Sie die Konkurrenzsituation auf diesem Markt? Gibt es hier mehrere Unternehmen, die ähnliche Ansätze wie Vincorion verfolgen?
Ja, definitiv. Ich denke schon, dass wir uns am Markt für „Green Defence” in guter Gesellschaft befinden. Es gibt viele unterschiedliche Systeme mit ähnlichen Technologieansätzen. Was allerdings verbessert werden sollte, ist die Werbung für diesen Themenbereich. Wir bei Vincorion haben uns bewusst dafür entschieden, beim Thema „Green Defence” eine Vorreiterrolle einzunehmen. Dementsprechend machen wir auch im politischen Raum Werbung dafür, dass dieses Thema wichtig ist. Da würde ich mir wünschen, dass unsere Industriepartner das ebenfalls tun. Das würde sicherlich helfen und die Aufmerksamkeit für das Thema weiter erhöhen.

Hier geht es zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an”.

Quelle©Vincorion, Stocktrek Images Inc./Alamy Stock Foto/Timm Ziegenthaler, Alamy Stock Foto/JLBvdWOLF, Vincorion