Die gegenwärtig erlebte und von den vier US-Senatoren kritisierte „Zurückhaltung” der gegenwärtigen Administration kann – darüber gab es neulich eine ausführliche und hochkarätige TV-Debatte auf ABC – auch darauf zurückzuführen sein, dass die Türkei über Jahrzehnte ein wirklicher Verbündeter war und nach wie vor ist, während beispielsweise Saudi-Arabien nur als enger Partner angesehen wird. Türkische Angelegenheiten träfen daher sowohl im Pentagon als auch im Außenministerium eine Nahtstelle der für Europa und für Nah/Mittelost zuständigen Teams. Vor diesem Hintergrund eine kohärente Politik zu entwickeln ist schwierig – zumal über türkische Schritte, Absichten und Hardware in einer Zeit rascher Entwicklungen einmal zu wenig und dann wieder zu vieel Informationen verfügbar sind, die mit anderen Quellen abgeglichen und rebalanciert werden müssen.
Weitreichende Auswirkungen
Das Einfrieren von Waffenverkäufen ist ein beliebtes diplomatisches Instrument der Vereinigten Staaten, das aber seit dem Einmarsch der Türkei in Zypern gegenüber Ankara nicht mehr eingesetzt wurde. Wenn der Kongress den Verkauf wichtiger Waffensysteme wie Panzer, Flugzeuge und Schiffe anhält, soll dies in der Regel die spezifischen militärischen und/oder politischen Aktionen eines Landes beeinflussen. So versuchte der US-Gesetzgeber 2019 beispielsweise Verkäufe nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate zu blockieren. Laut Angaben des Stockholmer SIPRI beliefen sich die Waffengeschäfte zwischen den USA und der Türkei von 2015 bis 2019 auf rund 800 Millionen Euro. In dieser Zeit gehörte die Türkei zu den Top-20-Kunden der USA. Der letzte vom US-Außenministerium genehmigte FMS-Deal für die Türkei war im Jahr 2018, ein Angebot zum Verkauf von 80 Patriot MIM-104E Guidance Enhanced Missiles und 60 PAC-3 Missile Segment Enhancement Missiles als Ersatz für die russischen S-400 wurde bekanntlich abgelehnt.
Aber nicht alle Waffengeschäfte mit der Türkei wurden eingefroren: Ältere Verträge, die bereits im Gange sind, waren nicht betroffen – seien es Foreign Military Sales (FMS), bei dem die US-Regierung als Vermittler fungiert, oder Direct Commercial Sales (DCS), bei dem das Land direkt mit der Industrie abschließt. Wenn diese unter einem Volumen von 25 Millionen US-Dollar (rund 20 Millionen Euro) liegen, bedürfen sie nicht der Zustimmung des Kongresses. Es ist unklar, wie viele potenzielle Verkäufe tatsächlich zurückgehalten wurden, betroffen sind aber jedenfalls zwei wichtige Geschäfte der Türkei: Da geht es einerseits um den Folgevertrag für eigene F-16-Block-30 Strukturaufrüstungen und andererseits um Exportlizenzen für in den USA hergestellte Triebwerke, welche die Türkei benötigt, um den Vertrag über knapp 1,5 Milliarden Euro für 30 TAI (Turkish Aerospace Industries) T129-Kampfhubschrauber nach Pakistan zu erfüllen.
Pakistan gab TAI bereits ein Jahr
Zwei große türkische Firmen haben die Lizenz, den T129 und sein Triebwerk im Inland zu produzieren. TAI stellt den Hubschrauber in Zusammenarbeit mit dem zum Leonardo-Konzern gehörenden italienisch-britischen Luft- und Raumfahrtunternehmen Agusta Westland her. Das LHTEC T800-4A-Triebwerk ist eine Lizenzversion des CTS800, einer ursprünglich von der Light Helicopter Turbine Engine Company, einem Joint Venture von Honeywell (USA) und Rolls Royce (UK), entwickelten Turbine mit 1.014 kW Ausgangsleistung und wird von Tusaş Engine Industries hergestellt. Da es sich dabei aber ursprünglich um einen US-Entwurf handelt, kann die Türkei dieses System nicht ohne Exportlizenz der US-Regierung exportieren und diese wird aktuell zurückgehalten. Bislang wurden 56 Stück des T129 an die türkischen Heeresfleiger ausgeliefert, einige Maschinen für Pakistan sind schon gebaut. Pakistan hat Anfang 2020 die Lieferfristen zwar noch einmal um ein Jahr verlängert. Da der Deal aber weiterhin ernsthaft gefährdet ist, hat die türkische Regierung Tusaş Engine Industries mittlerweile mit der Entwicklung eines eigenen Triebwerks für den T129 beauftragt. Dafür wird das Unternehmen aber wohl deutlich länger als ein Jahr benötigen.
In der US-Industrie fragt man sich, ob die Unternehmen infolge der aktuellen Entwicklungen in der Lage sein werden, die verteidigungsindustrielle Zusammenarbeit wieder aufzunehmen, wenn Erdogan irgendwann nicht mehr an der Macht sein sollte. Und es stellt sich natürlich außerdem die Frage, ob Vergeltungsmaßnahmen wie das Einfrieren der Rüstungsverträge, Erdogan zur Einsicht bringen oder ob dadurch die Türkei noch weiter in die Arme Russlands gedrängt wird. Russland hat der Türkei nach dem von den USA verhängten Lieferstopp der gewünschten F-35 auf der Moskauer Messe MAKC-2019 jedenfalls Su-35 angeboten und Präsident Erdogan wurde auch bereits die Su-57 präsentiert. Pakistan hat als Reaktion auf die Lieferschwierigkeiten beim T129 inzwischen einige Exemplare des chinesischen Kampfhubschraubers CAIC Z-10ME zum Testen ins Land geholt. In seinem jüngst eskalierten Verhältnis zu Indien kann Islamabad nicht ewig auf den T129 warten, sollten die türkischen Zerwürfnisse mit den USA nicht irgendwie ausgeräumt werden. Zudem ist man selbst seitens der Trump-Administration mit einer US-Finanz-Blockade für die 2015 bestellten 15 Stück des Kampfhubschraubers AH-1Z Viper konfrontiert.
Türkische Reaktion
In einer Erklärung gegenüber dem Fachblatt Defense News sagte die türkische Botschaft in Washington: „Es gibt eine Reihe von Waffenbeschaffungsfällen für die Türkei, deren Genehmigung im Kongress aussteht. Als überzeugtes Mitglied der NATO und Verbündeter der USA sind wir zuversichtlich, dass die unverzügliche Genehmigung dieser Anträge ein natürliches Ergebnis unserer strategischen Zusammenarbeit sein wird. Die USA sind unser wichtigster Handelspartner in der Verteidigungsindustrie und wir glauben, dass es im strategischen Interesse sowohl der Türkei als auch der USA liegt, unsere bilaterale Zusammenarbeit in diesem Bereich weiter auszubauen.”
Laut verpflichtenden Meldungen nach dem US Foreign Agents Registration Act hat Turkish Aerospace Industries (TAI) die US Anwaltskanzlei Greenberg & Taurig LLP beziehungsweise deren Sub-Partner Capital Counsel LLC engagiert, um bei US-Kongressabgeordneten die blockierten Exportlizenzen doch noch zu erwirken. Den Akten/Meldungen zufolge werden diese „law firms” mit monatlich knapp 25.000 Euro entlohnt, um Treffen mit den relevanten Ausschuss-Vorsitzenden der Committees zu Außenbeziehungen und Außenpolitischen Angelegenheiten zu erreichen.