Österreichs Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft reüssiert auf dem Weltmarkt. Welche ihrer Produkte sind für internationale Kunden besonders interessant? Wo liegen rot-weiß-rote Stärkefelder? Und wie entwickelt sich die Branche? Ein Gespräch mit Reinhard Marak, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit & Wirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
Herr Marak, lassen Sie uns eingangs die österreichische Sicherheits- und Verteidigungsbranche vermessen. Welche Industrien umfasst der Sektor? Wie ist er aufgestellt? Wie entwickelt er sich?
Die österreichische Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft ist ein sehr breiter Sektor geworden. Wir haben im Land Hersteller von Rad- und Schützenpanzern ebenso wie von militärischen Lastwagen und von persönlicher Ausrüstung – das reicht von ABC-Schutzanzügen bis hin zu Gewehren und Pistolen. Daneben gibt es aber auch ganz viele Unternehmen, die man vermutlich nicht sofort auf der Rechnung hätte, wenn die Rede auf Sicherheit und Verteidigung kommt: Schutzhelm- und Drohnenhersteller oder Air-Traffic-Dienstleister beispielsweise.
Lassen sich aus dieser Vielfalt heraus Stärkefelder identifizieren?
Da gehört ganz sicher die Landmobilität dazu, mit Herstellern kompletter Fahrzeuge bis hin zu Spezialisten für Um- und Aufbauten sowie Zulieferbetrieben. Stark sind wir auch im Bereich der Luftfahrtkomponenten, wo es neben Systemproduzenten auch viele Unternehmen gibt, die im zivilen und militärischen Komponentenbereich tätig sind. Im Bereich der persönlichen Ausrüstung haben wir wie erwähnt Schutzausrüstungs-, Waffen- und Schutzhelmhersteller. Zunehmend wichtig wird auch der Bereich ICT – also alles rund um Cybersicherheit, IKT, Kommunikation und die Aufbereitung von Daten. Immer stärker werdend sind auch unsere im Space-Bereich tätigen Unternehmen.
Sie haben bei der Beantwortung der ersten Frage die Formulierung „ist ein sehr breiter Bereich geworden” verwendet. Das impliziert, dass sich die Branche entwickelt und früher schlechter dastand als heute.
Es stimmt, dass sich hier eine Entwicklung abzeichnet. Das liegt teilweise aber auch daran, dass sich die Art und Weise, wie Konflikte heute geführt werden, in den vergangenen Jahren fundamental geändert hat – und damit auch die Art und Zahl der Betriebe, die in der Branche tätig sind. Gab es früher rund um den Rüstungs- und Sicherheitsbereich klare industrielle Zuordnungen, so mischen mittlerweile in dem Bereich auch viele Hersteller von Dual-Use-Gütern wie beispielsweise Softwareunternehmen mit, die man dort vor kurzer Zeit nicht verortet hätte. Denken Sie alleine an den Cyberbereich, der sich extrem entwickelt, oder an die kritische Infrastruktur, deren Schutz auf allen Ebenen immer wichtiger wird und mittlerweile sehr viele Facetten umfasst.
Sie haben viele Bereiche erwähnt, in denen österreichische Hersteller mit ihren Produkten reüssieren, von den ganz großen Stückzahlen sprechen wir dabei aber meist nicht. Ist Österreichs Industrie also vorwiegend in der Nische tätig?
Wir bespielen einige Nischen, aber wir sind auch in der Breite gut. Ganz sicher sind unsere Unternehmen Spezialisten darin, Kunden individuell zugeschnittene Lösungen anzubieten. Genau das macht uns am Ende des Tages auch oft erfolgreich: Bei den großen Herstellern müssen Kunden mehr oder weniger die Produkte kaufen, die in Serie produziert werden. Unsere Unternehmen gehen im Vergleich dazu viel gezielter auf Kundenwünsche ein. Zudem spielen wir technologisch weit vorne mit, gelten unsere Produkte als sehr robust und zuverlässig und halten sich oft über viele Jahrzehnte am Markt.
Gibt es neben „flexiblen Kundenlösungen” und der Qualität bei der Produktion noch andere Erfolgsrezepte?
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist sicherlich auch, dass alle unsere Unternehmen privatwirtschaftlich organisiert sind, es gibt bei uns keinen Staatsbesitz. Das heißt, dass sich unsere Betriebe permanent „im echten Wettbewerb” befinden, sie sich auf Dauer am Markt beweisen müssen und daher nicht nur qualitativ, sondern auch mit Blick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis wirklich gut sind. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist auch unser hochwertig ausgebildetes Personal. Die bei uns in Österreich seit Jahrzehnten etablierte duale Ausbildung von Fachpersonal ist weltweit einzigartig und für unsere Branche ein extremes Asset.
„Die bei uns in Österreich seit Jahrzehnten etablierte duale Ausbildung von Fachpersonal ist weltweit einzigartig und für unsere Branche ein extremes Asset.“
Gilt das immer noch? Schließlich leiden Österreich und ganz Westeuropa seit Jahren unter einem eklatanten Fachkräftemangel.
Natürlich können auch wir uns dieser Situation nicht ganz entziehen. Der Personalbedarf ist groß und das Problem dürfte sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. Wir stehen im Vergleich zu anderen Branchen und Ländern aber noch ganz gut da.
In den vergangenen Jahren war es oft ein Problem, dass die in Österreich hergestellten Produkte beim Bundesheer nicht oder nur eingeschränkt zum Einsatz kamen. Nun scheint sich in diesem Bereich eine Trendumkehr einzustellen, „Made in Austria” findet auch vermehrt Eingang in die österreichischen Streitkräfte. Wie wichtig ist das auch mit Blick auf potenzielle Exportchancen und -märkte?
Immens wichtig – aus zwei Gründen: Einerseits garantieren in Österreich angesiedelte erfolgreiche Unternehmen eine nationale Versorgung mit ihren Produkten und Dienstleistungen auch im Krisen- und Konfliktfall. Wir brauchen diese Produkte zur Gefahrenabwehr, die Liefer- und Versorgungssicherheit ist nicht erst seit der Corona-Pandemie und den dadurch ausgelösten Verwerfungen internationaler Lieferketten ein nationales Sicherheitsinteresse.
Und der zweite Grund?
Viele andere Staaten verstehen sehr gut, dass eine Kaufentscheidung eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Werkzeuge eines Staates ist. Ob es zu einem Kauf kommt oder nicht, kann im Zweifelsfall darüber entscheiden, ob ein Unternehmen fortbesteht oder nicht beziehungsweise ein Produkt im Portfolio bleibt, möglicherweise sogar weiterentwickelt wird oder aus dem Angebot fällt. Diesen Aspekt haben viele Länder ganz weit oben auf ihrer Agenda und diese Länder haben daher meist auch nationale Sicherheits- und Verteidigungswirtschaftsstrategien, in denen sie festlegen, wie sie das Know-how im Land halten wollen. Deshalb ist es dort auch vollkommen üblich, dass man – sofern die Qualität passt – bei heimischen Unternehmen kauft. Im Umkehrschluss hat das in diesen Ländern aber zur Folge, dass potenzielle Kunden dort unsere Unternehmen als erstes fragen, ob ein für sie interessantes Produkt bereits national eingeführt ist. Und wenn man dann mit Nein antworten muss, hat der Kunde …
… den Eindruck, dass es sich um ein minderwertiges Produkt handelt, weil es sonst ja einen Kaufabschluss gäbe?
Richtig. Zudem fehlt den betroffenen Firmen ein wichtiger Referenzkunde, der auch andere potenzielle Kunden für ein Produkt interessieren könnte. Dadurch ist es für viele Firmen doppelt und dreifach schwer, am Markt zu reüssieren.
Den heimischen Betrieben gelingt das aber anscheinend trotzdem ganz gut, österreichische Produkte sind weltweit gefragt. Wie wird denn die österreichische Industrie global wahrgenommen? Genießt sie einen bestimmten Ruf?
Ja, aber das gilt prinzipiell für die gesamte österreichische Industrie. Wir haben den Ruf, hochqualitativ zu produzieren, extrem flexibel zu sein und wie schon erwähnt gut und individuell auf Kundenbedürfnisse einzugehen. Kurz: Wir schaffen damit Produkte, auf die man sich verlassen kann.
„Wir haben den Ruf, hochqualitativ zu produzieren, extrem flexibel zu sein und gut sowie individuell auf Kundenbedürfnisse einzugehen.“
Um nochmal auf die nationalen Beschaffungen des Bundesheeres zurückzukommen: In Österreich wird in den kommenden Jahren mehr Geld in die Streitkräfte investiert als jemals zuvor. Inwiefern werden davon auch die österreichischen Betriebe profitieren?
Das ist aktuell schwer vorherzusehen, aber wir erwarten uns natürlich positive Impulse. Wenn man die zu erwartenden Investitionen – beispielsweise im Bereich der geschützten Mobilität – betrachtet, könnten inländische Anbieter fast den gesamten Bedarf abdecken. Bei der Soldaten-Ausrüstung ist es ähnlich, ebenso bei der allgemeinen Mobilität und auch bei den Luft-Überwachungskomponenten könnten wir einen großen Teil der Produkte national liefern. Unterm Strich könnten unsere Mitglieder rund 70 Prozent der vom Bundesheer in den kommenden Jahren benötigten Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Eine ähnliche Abdeckung ließe sich wohl auch mit Blick auf den Bedarf anderer Länder und
Armeen realisieren.
Inwiefern finden rot-weiß-rote Unternehmen vor diesem Hintergrund auch Zugang zu den Lieferketten der ganz großen internationalen Branchenplayer und Systemhäuser?
Dort mitzuspielen ist aus verschiedenen Gründen nicht immer leicht, gelingt aber zunehmend. Österreichische Betriebe liefern beispielsweise bei international erfolgreichen Kampfjetprogrammen zu und selbst bei der Realisierung des europäischen Sky-Shield-Programms könnten unsere Unternehmen zahlreiche direkte Beiträge liefern: In der Datenaufbereitung, mit hochwertigen Metallen und Werkstoffen, in der Avionik und auch mit Trägerfahrzeugen mobiler Systeme. Sky Shield könnte für unsere Industrie damit eine große Chance sein.
Apropos große Chance: Ein Problem bei der Entwicklung der Branche sind aktuell die sehr restriktiven Vorgaben der Finanzhäuser …
… die es vielen Betrieben sogar schwer machen, normale Geschäftskonten zu führen, stimmt. Aber: Dass betrifft nicht nur uns in Österreich, sondern alle Betriebe
in ganz Europa und schließt nicht nur die Möglichkeit ein, Konten zu führen, sondern auch Garantien und Kredite zu erhalten …
… was Investitionen in vielen Fällen wohl schwierig bis unmöglich macht?
Genau das – und damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Europäische Union bemüht sich aktuell – wie viele ihrer Mitgliedsländer – darum, die industrielle Basis im Sicherheits- und Verteidigungsbereich weiterzuentwickeln und in vielen Bereichen sogar neu aufzubauen. Dabei geht es darum, Produktionen hochzufahren und neue Produktionsstätten zu errichten. Aber wie soll das gelingen, wenn man die dafür benötigten Kredite nicht bekommt, weil Vorbehalte gegenüber Defence-Produkten bestehen?
Die Situation ist also schwierig?
Ja, aber die gute Nachricht ist: Mit Blick auf das Problem tut sich auf europäischer Ebene gerade einiges. Da wird es hoffentlich schon bald zu Verbesserungen kommen. Davon wird die gesamte europäische Industrie profitieren. Letztlich kommt das aber auch den österreichischen Sicherheits- und Verteidigungsunternehmen zugute. Damit werden unsere Betriebe noch wettbewerbsfähiger.