Die kommunistische chinesische Führung hat es sich bekanntermaßen zum Ziel gesetzt, in möglichst vielen Technologiebereichen möglichst rasch Weltspitze zu werden. Das gilt natürlich auch für den militärischen Sektor, in dem Peking Ende Oktober mit gleich vier Sichtungen und Bestätigungen aufhorchen ließ.
Ob die Produkte nun mehr oder weniger zufällig zeitgleich ihren – lange zuvor – definierten technologischen „Reifegrad” erreichten, oder es sich bei den Sichtungen um bewusst gestreute Manifestationen militärischer Stärke handelt, tut dem technologisch offenbar erreichten Zielen keinen Abbruch. Bis zur Implementierung und operationellen Nutzung der Systeme in aktiven Einheiten wird ohnehin noch einige Zeit vergehen.
J-20 kommt auch als Zweisitzer
Bislang war es nur beim – noch nicht geflogenen – südkoreanischen KF-21 Boramae seitens der Entwickler bekräftigt, dass es von diesem Vertreter eines 5.-Generation-Kampfjets einen Zweisitzer geben wird. Alle anderen Designs waren vor 20 Jahren auf Basis der erwartbar hochintegralen Sensorfusion als Einsitzer entwickelt worden. Nun kommt – anders als F-22, F-35 oder Su-57 – mit einer erstmals in Bewegung gesichteten zweisitzigen Version des chinesischen „Kronjuwels” J-20 ein zweiter Doppelsitzer dazu. Die Ingenieure von Chengdu Aerospace Corporation (CAC) in der gleichnamigen Stadt haben damit bereits verwirklicht, was in Russland mit Blickrichtung Su-57 und in USA noch überlegt wird.
Von offenbar außerhalb ihres Werkflugplatzes sind am 26. Oktober Bilder aufgetaucht, die einen neuen J-20 in gelber Grundierung mit einem zweisitzigen Tandemcockpit und einer verlängerten – offenbar trotzdem einteiligen – Cockpithaube zu zeigen scheinen. Die Sichtung dieser J-20-Variante – die nach chinesischer Nomenklatur wahrscheinlich als J-20AS oder J-20S bezeichnet werden wird – ist aber keine große Überraschung. Auf Postern und in Videos waren mehrmals Illustrationen zu sehen, wonach Chinas militärisch-industrieller Komplex seit einiger Zeit zunehmend auf diese Entwicklung hinarbeitet. Nun ist sie offenbar manifest geworden. Wobei abzuwarten ist, ob – wenn einmal im Dienst – diese Version durch Mann oder Frau auf dem zweiten Sitz als Führer oder Kontrollor von Drohnen vom Typ „loyaler Flügelmann” (Stichwort „Manned-Unmanned Teaming”), Spezialist für robuste elektronische Kriegsführung und/oder für die Niederhaltung gegnerischer moderner Boden-Luftabwehr (SEAD/DEAD) verwendet werden soll.
Generell sieht es – auch die USAF argumentiert jüngst in diese Richtung – so aus, als ob das Zweimann-Crew-Konzept wieder eine große Sache ein ein höher bewerteter Faktor wird. Zwei menschliche Gehirne sind – wenn mental in Hochform und gut trainiert – offenbar auf absehbare Zeit noch immer besser in der Lage, die enormen Informationsmengen zu nutzen, welche fortschrittliche Bordsensoren und Datalink-Netzwerke mit unbemannten Mitkämpfern und Bodentruppen anbieten. Auf diese Weise können sie zu „Kampfkraft-Multiplikatoren” werden und dazu beitragen, andere, weniger leistungsfähige Einsatzmittel zu führen und zu schützen, also wenn sie als Libero der taktischen Luftschlacht arbeiten. Überhaupt wenn sich das Arsenal sowohl an offensiven Waffen als auch an Selbstschutzausrüstung – beispielsweise in beiden Bereichen auf Basis von gerichteter Energie (Laser) – noch mehr erweitert und Missionen dadurch immer komplexer werden. Am wenigsten hat das in Zeiten hochwertigen Virtual-Trainings (Simulatoren) noch mit Ausbildung zu tun, bestenfalls für einige wenige Flüge a lá Laage.
Zweiter „Stealth Fighter” ist ein Trägerflugzeug
Zehn Jahre hat es um Sinn und Zweck der Entwicklung des zweiten chinesischen Kampfjets der fünften Generation (in China wird sie als die Vierte gezählt) endlose Spekulationen gegeben. Sie kreisten um die Frage, ob diese Entwicklung aus Eigenmitteln – sofern das für chinesische Staatsfirmen und noch dazu im AVIC-Konglomerat überhaupt möglich ist – der Firma Shenyang Aircraft Corporation (SAC) ohne Regierungsauftrag für den Export, oder aber immer schon für die chinesische Marine und deren neue Träger gestemmt wurde. Auf der 13. Zhuhai Air Show am 29. September sagte Sun Cong, der SAC-Chefkonstrukteur des momentanen J-15-Trägerflugzeuges (entwickelt auf Basis einer Su-33 via Ukraine), auf die Frage eines Reporters: „Die nächste Generation chinesischer Trägerflugzeuge wird bald verfügbar sein. Keine Sorge, warten Sie etwas, bald wird es was geben. Sie sollten es noch dieses Jahr sehen können.”
Er dürfte Wort gehalten haben, zu sehen gab es die dritte Maschine und offenbar seriennahe Version des Jets FC-31 – künftig vielleicht auch als J-31 oder J-35 bezeichnet. Und es sieht so aus, als ob der dritte Träger (Typ 003, beziehungsweise Nr. 18) mit diesem Tarnkappen-Jet an Bord in Dienst gestellt werden kann. Es wird erwartet, dass dessen Design mit elektromagnetischen Katapulten (EMALS) ausgestattet ist, im Gegensatz zu den Ski-Schanzen auf den beiden vorherigen Trägern der PLAN, der Liaoning (Nr. 16) und Shandong (Nr. 17, siehe Video zum Träger). Nur die US-Navy ist damit und mit dem F-35C in bislang einer Staffel noch voran – und die Chinesen müssen hier noch viel lernen. Aber das tun sie, mit Energie und sichtlich ohne Budgetsorgen. Energiekrise hin oder her …
Denn die offenbar tatsächlich von außen aufgenommenen Fotos und Videos, die nun in chinesischen sozialen Medien erschienen, zeigen zweifelsfrei ein Trägerflugzeug (mit ausgefahrenem Fahrwerk und begleitet von einer J-16). Die Katapult-Startstange am doppelbereiften Bugfahrwerk und der sichtliche Flügelfaltmechanismus sind eindeutige Indizien. Der blaugrüne Prototyp offenbart die gleiche Grundkonfiguration wie jene schwarze landgestützte FC-31, die erstmals im Oktober 2012 in Prototypenform geflogen wurde. Er zeigt zwei doppelte Heckflossen, zwei Triebwerke und das hoch montierte Cockpit, mit wenig Abänderung gegenüber einer stark überarbeiteten Version V2 mit kleineren und schrägeren Seitenleitwerken, die seit 2016 fliegt. Weitere Merkmale sind ein am Kinn montierter elektrooptischer Sensor der anscheinend dem EOTS des F-35 ähnelt und eine scheinbar kürzere aber breitere Cockpithaube. Generell ist eine Reihe aerodynamischer Verfeinerungen gegenüber dem Original erkennbar, ein runderes Gesamtbild und feinere Oberflächen. Von jener zweiten FC-31V2 aus 2016 weiß man, dass sie von zwei chinesischen WS-13E-Turbofan-Triebwerken angetrieben wird, welche die von Russland gelieferten RD-93-Triebwerke (aus JF-17 bzw. MiG-29) ersetzten, die 2012 im ersten FC-31 verwendet wurden. Wie bei vielen chinesischen Militärflugzeugen bleiben die endgültigen Triebwerke wohl noch längere Spekulation.
Sollte sich die Bestimmung des zweiten chinesischen Stealth-Typs – obwohl das von hinten gesehen beziehungsweise von allen Seiten nur die F-22A wirklich ist – seit 2012 hin zu Marineverwendung verändert haben, war die Überarbeitung eines bestehenden landgestützten Designs für Deckoperationen keine einfache oder zu unterschätzende Aufgabe. Typischerweise beinhaltet das aerodynamische Änderungen, die das Flugzeug für die verschiedenen Anstellwinkel bei Start und Landung optimieren, möglicherweise einschließlich zusätzlicher Hochauftriebshilfen am Flügel. Das Flugsteuerungs- und das Anflug/Landesystem muss ebenfalls angepasst, entwickelt und getestet werden. Und dann sind da noch wahrscheinlich strukturelle Änderungen um die Flugzeugzelle für die Belastungen des Katapultstarts und des „kontrollierten Absturzes” (Marinefliegerjargon) der Fang-Landung zu verstärken. Ausnahmslos muss das Fahrwerk und besonders das Bugfahrwerk verstärkt werden, ebenso erfordlich sind Katapult-Startstange, Landehaken und Faltflügelmechanismus. All das wird wohl unweigerlich das Gewicht erhöhen, weshalb im Vergleich zur Landversion eine noch umfangreichere Verwendung von Verbundwerkstoffen erforderlich sein kann. Auch gilt es verstärkt Korrosion zu verhindern, aber eher um genug Gewicht für den Tod des Feindes übrig zu lassen.
KJ-600 Träger-AWACS scheint fertig
Katapulte ermöglichen nicht nur den Start von Kampfflugzeugen mit größeren Nutzlasten, sondern auch den Start wichtiger Unterstützungsplattformen. Nämlich des bislang noch fehlenden Glieds im chinesischen Trägergeschwader, dem luftgestützten Frühwarn- und Kontrollflugzeug (AEW&C) ähnlich der amerikanischen E-2C/D Hawkesye-Serie. Deswegen hat die russische Marine auf ihrem einzigen (veralteten) Träger auch nur Kamow-Hubschrauber als AEW&C. Nun hat – ebenfalls in dieser Woche – der traditionelle chinesische Großflugzeug- und Bomberhersteller Xian Aircraft Company (XAC hat 2009 mehrheitlich Österreichs größten Flugzeugzulieferer und Verbundwerkstoffspezialist FACC aufgekauft) sein entsprechend entwickeltes AEW&C-Design KJ-600 in Marine-Abnahmetests gebracht. Wohl rechtzeitig zur baldigen Fertigstellung des dritten chinesischen Trägers. Der – wieder abgeschaut von der Hawkeye – Entwurf als Hochdecker mit zwei Turboprop-Triebwerken und aufgestetztem Radom über dem Rumpf basiert auf der schon vor Jahren gesichteten Xian JZY-01.
Leitwerkloser Deltaflügler-Jet bei Chengdu entdeckt
Auf Satellitenbildern vom Werksflugplatz des chinesischen Jet-Herstellers (von J-10 oder J-20) wurde ebenfalls in jener Woche ein Objekt entdeckt, das sehr einem schwanzlosen Kampfflugzeug- oder Drohnendesign ähnelt. Ähnlich wie es mit dem vor zehn Jahren – bis auf die entstandene RQ-170 letztlich erfolglosen – US-amerikanischen Flying-Wing-Technologie-Demonstrator X-44 Manta von Lockheed-Martin Skunk Works verfolgt wurde. Neuerdings werden solche Stealth-Fighter ohne vertikale Steuerflächen auch wieder für das inzwischen hoch-priorisierte USAF-Konzept des 6. Generation NGAD (Next Generation Air Dominance) beziehungsweise der US-Marine als F/A-XX verfolgt. Militär Aktuell hat bereits berichtet, dass in den USA ein solcher NGAD-Erprobungsträger bereits geflogen ist oder demnächst wird. Das heißt, wirklich „neu” ist diese Auslegung nicht, oder besser nur für bemannte Plattformen. Mitte der 2000er-Jahre wurde beispielsweise ein schwanzloses FB-22-Konzept untersucht. Aber mittlerweile haben die Fortschritte bei Rechnerleistungen und digitalen Flugsteuerungssystemen sowie KI-unterstützten Fertigungsmöglichkeiten das Feld taktischer Militärluftfahrttechnik neu aufbreitet. Und eigentlich basieren fast alle Grafik-Illustrationen aller US-Unternehmen und USAF/USN eines künftigen Luftdominanzkonzepts der nächsten Generation nun auf solchen „horizonalen” Designs. Ebenso manche Zeichnung und Modelle von Dassault zum deutsch-französischen FCAS (Militär Aktuell berichtete).
Die Bilder aus Chengdu von Ende Oktober zeigten fünf J-20, 18 J-10, ein paar UAVs – und eben jene sehr ungewöhnliche Flugzeugzelle, wie bisher keine andere in China gesichtete. Was es eigentlich ist, weiß man noch nicht. Es scheint eine große modifizierte diamantartige Delta-Planform mit einem relativ schlanken Bug- sowie Nasenabschnitt zu sein. Und es ist kein kleines Gerät, hat ungefähr die Spannweite der Chengdu J-20. Außerdem gibt es definitiv keine Seiten- und Höhenleitwerke. Sollte es sich als unbemannte Konfiguration erweisen, könnte diese die bemannten J-20 Stealth-Fighter – siehe oberhalb – mit einem leistungsstarken und potenten Loyal Wingman verbinden. Ebenso wie wiederum in den USA und in beiden europäischen Konzepten geplant. Aber ein solches Flugzeug könnte auch unabhängig als eigenes teilautonomes UCAV eingesetzt werden. Natürlich könnte es sich bei dem Objekt aber auch nur um ein Modell einer Konfiguration handeln, die für einige Zeit verfolgt und getestet, dann aber bereits übergangen wurde. Es könnte auch nur ein Radarquerschnittsmodell sein, um die Radarsignatur eines solchen Designs zu testen.
Die Vorteile eines solchen futuristischen Designs wären vielfältig, das haben schon die Brüder Horten oder zeitgleich Jack Northrop vor dem und im Zweiten Weltkrieg – unter ganz anderen technisch/operativen Zielsetzungen – gewusst. Die größte wesentliche Verbesserung besteht mit Blick auf die Breitband-Schwererkennbarkeit („Low Observability”) gegenüber einer größeren Anzahl von Radartypen, welche auch über einen immer breiteren Frequenzbereich arbeiten. Kein Leitwerk optimiert ein Stealth-Flugzeug daher besser für eine reduzierte Radarsignatur aus Seiten- und Heckperspektive, über den überall als primär angestrebten Frontalaspekt hinaus. Ein weiteres Merkmal ist eine bessere Effizienz durch weniger Luftwiderstand für anhaltend hohe Geschwindigkeiten. Mit einem großen modifizierten Deltaflügel kann auch viel (mehr) Treibstoff transportiert werden und es gibt viel (mehr) Platz für große interne Waffenschächte. Der Verzicht vereinfacht das Design auch strukturell, was wiederum Gewicht reduziert. Andererseits ist das Erreichen der Stabilität – das haben auch Horten und Northrop erfahren – ohne vertikale Leitwerke weitaus schwieriger und auch ist die Manövrierfähigkeit reduziert. Lezteres kann heute möglicherweise bis zu einem gewissen Grad durch Schubvektorsteuerung der Triebwerkauslässe ausgeglichen werden. Ein solches futuristisches Design operationell sicher zu realisieren, hängt stark von der Fähigkeit zu fortschrittlicher digitalen Fly-by-Wire/Light-Flugsteuerungstechnologie und der Software ab, die ihr zugrunde liegt. Da muß ausgiebig und mit Testträgern erprobt werden. Letztlich wird es bei solchen Designs mehr um Reichweite, Nutzlast, Geschwindigkeit und geringe Ortbarkeit gehen, nicht um hohe Manövrierfähigkeit. Diese soll ja – wie bereits früher erwähnt genau diametral zur russisch/chinesischen Philosophie – in Szenarien weit über den Horizont kaum mehr eine Rolle spielen.
In der Vergangenheit sind die meisten oder viele solcher Erstsichtungen auf Satellitenfotos – oft nach durchaus langwieriger Reife und Abwandlung – später in den Streitkräften und der Luftwaffe der Volksrepublik aufgetaucht. Und in Zeiten verstärkten Einsatzes von additiven, KI-unterstützten und teils 3D-Fertigungstechnologien und den daraus resultierenden immer kürzeren Entwicklungszyklen wird uns das – unter Berücksichtigung der „Achillesferse” der dauerhaft zuverlässiger Serien-Triebwerke – speziell punkto China künftig nicht mehr so lange auf Enthüllungen warten lassen wie bisher. Im Gegensatz zur Konkurrenz in westlich-demokratischen Systemen wird es auf jeden Fall keine Verzögerungen oder Gefährdungen durch Untersuchungsausschüsse, durch den ausufernden Finanzbedarf ausgelöste Rechnungshofberichte oder kritische Medien geben. Aber dafür unterstützt durch Dual-Use-Güter, ausländischen Technologietransfer aus anderen Technikfeldern und natürlich – hier keineswegs allein aber besonders aktiv – durch klassische sowie Cyber-Industriespionage.