Das ACP – Austrian Center for Peace – konzentriert sich auf Konfliktbearbeitung, Training und Bildung, sowie Forschung. Wir haben mit Direktor Moritz Ehrmann über verschiedene Herausforderungen der heutigen Zeit gesprochen, wie zum Beispiel den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine oder auch die Klimakrise.

Herr Ehrmann, Europa galt viele Jahre als friedlich, seit den Kämpfen in Ex-Jugoslawien in den 1990er-Jahren gab es am Kontinent keinen konventionellen Krieg mehr. Wie tiefgreifend ist vor diesem Hintergrund die Zäsur des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine?
In Europa versuchen wir mit einer Situation umzugehen, in der die Perspektive des Zusammenlebens auf unserem gesamten Kontinent und darüber hinaus in Frage gestellt wird. Wenn ein großes Land im Osten in ein Nachbarland einmarschiert, so viele Grenzen überschreitet, bis hin zur Androhung des Einsatzes von Atomwaffen, so viele unwiderrufliche Schritte unternimmt, wie die Annexion ganzer Gebiete, dann kann dies nur als eine Bedrohung für uns und unsere Werte wahrgenommen werden. Werte, die wir als die Werte des gesamten internationalen Systems angesehen haben. 

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Inwieweit muss infolge dieses Krieges auch die europäische Sicherheitskarte neu gezeichnet werden? Werden wir auf Jahre hinaus einen neuen „Kalten Krieg” zwischen Ost und West erleben?
Die Stärkung der Sicherheit, des Widerstands gegen eine solche Bedrohung ist legitime Selbstverteidigung. Legitim und notwendig. Im Zweifelsfall kann man hier die Charta der Vereinten Nationen zu Rate ziehen. Die meisten unabhängigen Analysen sagen uns jedoch, dass aus diesem Krieg kein klarer Sieger hervorgehen wird. Es besteht also die Gefahr, dass ein eindimensionaler Ansatz, der sich ausschließlich auf den Aufbau militärischer Abschreckung konzentriert, ein Sicherheitssystem schafft, das letztlich wenig nachhaltig ist. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Es ist einfach nicht wünschenswert, in einem System zu leben, das von ständiger Angst geprägt ist. Diejenigen unter uns, die sich an den Eisernen Vorhang erinnern, könnten wissen, was damit gemeint ist. Für jeden, der einen Ausweg aus der derzeitigen Eskalationsspirale sucht, kann ein Ansatz wie dieser daher ein Teil der Antwort sein – aber nicht die vollständige Antwort. Der fehlende Teil der Antwort besteht darin, zum geeigneten Zeitpunkt eine Motivation für die Konfliktakteure zu schaffen, eben diesen eindimensionalen Ansatz zu verlassen und auch auf lösungsorientierte Ansätze zu bauen. Allererste Ansätze dafür scheint es bereits zu geben. 

„Die Bedrohung durch die Klimakrise wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine der zentralen Herausforderungen für transnationale Sicherheit.“

In vielen europäischen Ländern steigen die Rüstungsbudgets, Österreich wird seinen Verteidigungshaushalt im Laufe der kommenden Jahre gegenüber 2022 sogar verdoppeln. Ein Ende dieser Entwicklung ist vorerst nicht in Sicht, oder?
Sicherheit muss umfassend als menschliche Sicherheit gedacht sein, wie bereits in der existierenden Sicherheitsstrategie beschrieben. Als Teil davon muss Österreichs Sicherheit militärisch gewährleistet sein und dafür müssen auch die notwendigen Mittel verfügbar sein. Wie bereits ausgeführt, greift eine Konzentration auf rein militärische Aspekte allerdings zu kurz. 

Neben dem Konflikt mit Russland wird die Bedrohung durch die Klimakrise in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine der zentralen Herausforderungen für die transnationale Sicherheit. Können Sie beschreiben was da auf uns zukommen wird?
Sie haben recht, die Bedrohung durch die Klimakrise wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine der zentralen Herausforderungen für transnationale Sicherheit. Viele von Konflikt betroffenen Regionen in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas – Teile des Mittelmeerraums, die Sahelzone, der Nahe Osten, der Persische Golf – sind von der Klimakrise außergewöhnlich stark betroffen, können aber mit deren Auswirkungen besonders schlecht umgehen. Dadurch werden Konfliktdynamiken weiter verschärft oder neu geschaffen. Mögliche damit verbundene Destabilisierungsdynamiken von sensiblen Regionen in der Nachbarschaft haben direkte Auswirkungen auf die Sicherheit Österreichs. Es sollte daher im Interesse von Österreichs Sicherheit sein, gezielte Programme zu fördern, die die Verschmelzung von Klimawandel, Umweltzerstörung und bewaffnetem Konflikt behandeln. 

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Das klingt alles wenig positiv. Was kann Österreich tun, um diesen Herausforderungen bestmöglich zu begegnen und sich für die Zukunft zu wappnen?
Ein guter Anfang wäre aufzuhören, die Welt ausschließlich aus einem Bedrohungsprisma zu betrachten. Österreich hat in der Vergangenheit wichtige Beiträge zur internationalen Friedenspolitik als geschätzter Vermittler in Konflikten geleistet. Angepasst an aktuelle Herausforderungen gilt es, dieses Potenzial wieder umfassend auszuschöpfen und sich durch eine proaktive Neutralitätspolitik zu positionieren. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, besteht die Nachfrage nach österreichischer Friedensvermittlung weiter, wie die Erfahrung unserer täglichen praktischen Arbeit und Forschung auf internationaler Ebene in unterschiedlichen Kontexten zeigt. Ein solcher Ansatz trägt erstens zu einer nachhaltigen Stabilisierung insbesondere für Österreichs Sicherheit relevanter Regionen bei, wie zum Beispiel der Westbalkan, der südliche Mittelmeerraum, die Sahelzone, der Nahe Osten oder der Persische Golf. Zweitens stärkt ein solcher Ansatz eine positive Wahrnehmung Österreichs in der Welt und erweitert die österreichischen Handlungsmöglichkeiten in multilateralen Kontexten. Dies trägt zur Stärkung eigener Positionen und damit auch zur Durchsetzung eigener Sicherheitsinteressen bei. 

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Quelle@ACP