Als Generalmajor Erwin Hameseder 2015 zum Milizbeauftragten des Bundesheeres ernannt wurde, waren die Heeresfinanzen in einem desolaten Zustand – und um die Miliz stand es noch schlechter. Seitdem ging es mit Budget und Miliz steil aufwärts, wie Hameseder im Interview mit Militär Aktuell bestätigt.

Die Einführung der Reaktionsmiliz (-> Bundesheer erhöht Reaktionsfähigkeit), ein neu geschaffener „Ausbildungsscheck” (-> Grünes Licht für Wehrrechtsändungerungsgesetz) für die Soldatinnen und Soldaten in der Miliz und die Beseitigung sozialversicherungsrechtlicher Benachteiligungen von Milizsoldaten. Herr Generalmajor, täuscht der Eindruck, oder ist die „Mission Vorwärts” nun auch bei der Miliz voll angekommen?
Absolut, dank der unermüdlichen Unterstützung durch Frau Bundesminister Klaudia Tanner und General Rudolf Striedinger ist die „Mission Vorwärts” bei der Miliz angekommen. Die neu geschaffene Milizausbildungsvergütung (Anmerkung: Ausbildungsscheck) und die Beseitigung von sozialrechtlichen Benachteiligungen sollen die Rahmenbedingungen für Miliztätigkeiten wesentlich verbessern und sind als Basis für die „Mission Vorwärts” zu sehen. Mit der Milizausbildungsvergütung können sich Milizsoldaten künftig eine Ausbildung an einer zivilen Ausbildungsstätte refundieren lassen. In Absprache mit dem Arbeitgeber bietet sich die Möglichkeit einer beruflichen Weiterbildung. Die Milizkommandanten wurden in einer eigenen Veranstaltung über die zukünftige Struktur und Aufgaben auf den neuesten Stand gebracht. Eine Ausweitung der Übungstätigkeit mittels strukturierter Übungen an Wochenenden und der Großübung „Schutzschild 24” (-> „Schutzschild 2024” erfolgreich beendet) wurde umgesetzt, zusätzlich die Miliz bei Beschaffungen berücksichtigt.

©Militär Aktuell

Schon im Jahr 2020 wurde ein 200 Millionen Euro schweres Investitionspaket für die Miliz vorgestellt. Wie viel davon konnte bislang konkret umgesetzt und der Truppe zugänglich gemacht werden?
Das damals vorgestellte „Sonderinvest­paket Miliz” (-> Miliz: 200 Millionen Euro Investitionspaket) war ein erster wesentlicher Schritt, um die Ausrüstung zu verbessern. Konkret wurde damit in die persönliche Ausrüstung investiert, also beispielsweise in Kampfhelme und Tarnanzüge, in die Verbesserung der Führungsmittel und die Beschaffung von Nachtsichtbrillen. Das Sturmgewehr wurde modernisiert (-> Neues Sturmgewehr 77 A1 MOD für das Bundesheer) und neue Scharfschützengewehre beschafft. Ein besonderes Gewicht lag auf der Beschaffung von Fahrzeugen zu einer ersten Verbesserung der Mobilität. Die Beschaffungen wurden konsequent umgesetzt und sogar um 20 Millionen Euro übertroffen.

„Der ,Aufbauplan 2032+‘ sieht eine Gleichschaltung der Milizorganisation in personeller und materieller Hinsicht mit den präsenten Kräften vor. Im Zentrum ist die militärische Landesverteidigung und Befähigung der Einsatzorganisation zum ,umfassenden Kampf‘.“

Generalmajor Erwin Hameseder

Und wie sieht es mit dem „Aufbauplan 2032+” aus? Dem Bundesheer stehen damit bis 2027 mehr als 18 Milliarden Euro zur Verfügung. Was davon kommt der Miliz zugute?
Der „Aufbauplan 2032+” sieht eine Gleichschaltung der Milizorganisation in personeller und materieller Hinsicht mit den präsenten Kräften vor. Im Zentrum ist die militärische Landesverteidigung und Befähigung der Einsatzorganisation zum „umfassenden Kampf”.

Was bedeutet das genau?
Mit der neuen Zielsetzung wird die Miliz als überwiegender Teil der Einsatzorganisation massiv am notwendigen Fähigkeitsaufbau arbeiten müssen. Die Miliz ist bei künftigen Beschaffungen bereits in vollem Umfang berücksichtigt. In Verbindung mit der Ausweitung der Übungstätigkeit der Einsatzorganisation sehe ich die Entwicklung Miliz im „Aufbauplan 2032+” vollinhaltlich berücksichtigt.

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Ist die Miliz damit für die nächsten Jahre finanziell ausreichend dotiert oder orten Sie weiterhin Nachholbedarf?
Wenn die nächste Bundesregierung unter Berücksichtigung der Inflation die Beibehaltung des eingeschlagenen Budgetpfades zur Wiedererlangung der militärischen Landesverteidigung bestätigt, sehe ich kurz- und mittelfristig eine sehr positive Entwicklung der Miliz.

Ein Problem abseits der finanziellen Ausstattung ist, dass die Miliz hierzulande immer noch nicht die Anerkennung erfährt, die ihr zusteht. Was würden Sie einem Unternehmer oder einer Unternehmerin sagen, wenn diese bei einem Bewerbungsgespräch einem Milizsoldaten oder einer Milizsoldatin gegenübersitzen?
Dass es sich lohnt, genauer hinzuschauen. Ich selbst trage in einer großen Unternehmensgruppe Verantwortung und weiß um die Vorteile von breit ausgebildeten Mitarbeitenden. Denn ein Milizsoldat bringt ein sehr vorteilhaftes Profil mit: Das betrifft einerseits die Fähigkeiten, hohe soziale Kompetenzen trainiert zu haben und sowohl Teamwork- als auch Leader­ship-Fähigkeiten zu besitzen – durch Übungen in verschiedensten Konstellationen, wo es unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung um das gemeinsame Ergebnis geht. Außerdem kennt ein Milizsoldat auch seine physischen und psychischen Grenzen, weil er Extremsituationen im Training meistern muss. Eine praktische Führungsausbildung umfasst mehrere Monate und kann im zivilen Umfeld angewandt werden. Wiederkehrende Übungen stellen Kompetenzerhalt und Weiterbildung sicher. Der Milizsoldat ist ein Mehrwert für unsere Gesellschaft und damit für jeden Betrieb!

Im Jahr 2020 stellten Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Generalmajor Erwin Hameseder ein 200 Millionen Euro schweres Investitionspaket für die Miliz vor – ©Bundesheer/Karlovits
Im Jahr 2020 stellten Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Generalmajor Erwin Hameseder ein 200 Millionen Euro schweres Investitionspaket für die Miliz vor.

Ist den Unternehmen dieser Mehrwert immer bewusst? Oder müsste dieser von Seiten des Bundesheeres noch mehr betont und bewusst gemacht werden?
Wir haben einige Verbesserungen auf den Weg gebracht und erleben auch viel Zuspruch für unsere vielfältigen Maßnahmen. Doch immer noch fehlt der Arbeitswelt ein grundsätzliches Verständnis für Miliztätigkeiten. Wir müssen daher weiter Bewusstsein schaffen, aufklären, informieren. Das betrifft bedauerlicherweise gleichermaßen staatliche Betriebe und Institutionen als auch Betriebe mit staatlicher Beteiligung.

Sehen Sie also auch die Politik gefordert?
Natürlich muss die Politik nicht nur klare Worte finden, sondern auch im Sinne der Umfassenden Landesverteidigung Vorgaben verabschieden. Ein Beispiel: Der Antrag auf Aufnahme der Milizausbildung in den Nationalen Qualifikationsrahmen und die vorgesehene Milizausbildungsvergütung sind seitens des Bundesheeres ein starkes Zeichen und ein Anreiz für die Unterstützung von Miliztätigkeit durch die Arbeitgeber. Trotzdem ist das Bundesheer weiter verstärkt gefordert, ein verbessertes Verständnis in der Wirtschaft für Miliztätigkeit zu erzeugen. Die Notwendigkeit der Miliz für ein sicheres Österreich als Grundlage für eine prosperierende Wirtschaft und Gesellschaft muss konsequent kommuniziert werden.

Welche weiteren Attraktivierungsmaßnahmen sind in Planung und Vorbereitung?
Mit Unterstützung der Bundesministerin konnten bereits umfangreiche Verbesserungsmaßnahmen aus den Erkenntnissen der Teilmobilmachung umgesetzt werden. Jetzt geht es um eine Verbesserung der Servicierung der Miliz durch mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze für die Sachbearbeiter, die mit dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) auszuverhandeln sind.

Generalmajor Erwin Hameseder im Gespräch – ©Picturedesk
Milizbeauftragter: Erwin Hameseder ist seit Juni 2022 Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes, schon sieben Jahre davor wurde er zum Milizbeauftragten des Bundes­heeres bestellt.

Wie viel hat zur gestiegenen öffentlichen Wahrnehmung der Miliz auch die von Ihnen gerade angesprochene erste Teilmobilmachung im Zuge der Corona-Pandemie (-> alle Meldungen zum Covid-19-Einsatz des Bundesheeres) beigetragen?
Die Miliz konnte voll und ganz den in sie gesetzten Erwartungen entsprechen, dementsprechend groß und positiv war die Wahrnehmung in der Bevölkerung. Die damalige Entscheidung durch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner ist als Meilenstein in der historischen Entwicklung der Miliz zu sehen.

Und welche „Lessons Learned” können daraus gezogen werden?
Betreffend der personellen und materiellen Einsatzbereitschaft der Miliz wurde ein schonungsloses Bild aufgezeigt. Die Miliz war de facto nicht mobil und unzureichend ausgerüstet. Die Evaluierungsprozesse zur Aufarbeitung der Erfahrungen aus der Teilmobilmachung wurden mit dem Projekt A02 „Optimierung der Rahmenbedingungen für die Miliz” seit Jahresbeginn 2021 aufgearbeitet. Die Bearbeitung der über 80 Themenfelder konnte im Wesentlichen abgeschlossen werden. Das „Sonderinvestpaket Miliz” war eine weitere höchst positive Auswirkung.

„Ziel der Reaktionsmiliz ist es, vor allem den Einsatz von präsenten Verbänden zu unterstützen, wenn diese verstärkt werden müssen und eine absehbar längere Bedrohungs- und Gefahrenlage für Österreich gegeben ist.“

Generalmajor Erwin Hameseder

Abschließend: Mit der Reaktionsmiliz hat das Bundesheer kürzlich besonders rasch einsatzfähige Milizkräfte geschaffen. Was genau ist die damit verbundene Zielsetzung? Und wann wird die Reaktionsmiliz voll einsatzfähig sein?
Ziel der Reaktionsmiliz ist es, vor allem den Einsatz von präsenten Verbänden zu unterstützen, wenn diese verstärkt werden müssen und eine absehbar längere Bedrohungs- und Gefahrenlage für Österreich gegeben ist. Dies ist beispielsweise bei militärischen Angriffen auf Österreich, terroristischen Bedrohungslagen oder bei landesweiten – nicht nur lokal begrenzten – Katastrophen wie etwa einem bundesweiten Blackout der Fall. Das Pilotprojekt mit vorerst zwei Jägerkompanien und einem Aufklärungszug hat die Zielsetzung, Erfahrungen zu gewinnen, wie unter den vorhandenen Rahmenbedingungen die Personalaufbringung und Ausbildung erfolgreich gestaltet werden kann.

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Quelle©Picturedesk, Bundesheer/Karlovits