In diesen Wochen soll es bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio Medaillen für Rot-Weiß-Rot regnen. Wir haben mit Heeres-Sportzentrum-Kommandant Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes Christian Krammer über die Medaillenchancen der Heeressportler und die vielfältigen Aufgaben des Heeres-Sportzentrums gesprochen.
Herr Oberst, das Heeres-Sportzentrum wird vor allem mit der Leistungssportförderung verbunden. Wie viele Sportler werden aktuell gefördert und betreut?
Wir fördern zurzeit bis zu 450 Bundesheer-Leistungssportlerinnen und -Leistungssportler, die Zahl variiert allerdings immer ein wenig, da die Leistungssportförderung im Regelfall bei Männern mit dem Grundwehrdienst und bei Frauen mit dem Ausbildungsdienst beginnt und mit dem Abrüsten endet. Sind die Leistungen überdurchschnittlich, können die Sportler darüber hinaus in ein MZ-Verhältnis (MZ = Militärperson auf Zeit) übernommen werden.
Wer entscheidet, ob die Leistungen „überdurchschnittlich” sind?
Wir haben ein Mal im Jahr eine sogenannte Athletenbeurteilungskonferenz, in der Experten über eine mögliche Verlängerung jeweils für ein Jahr entscheiden. Dabei arbeiten wir eng mit der Sport Austria und den Bundessportfachverbänden zusammen, maximal können Sportler 15 Jahre bei uns bleiben.
Was fließt in die Athletenbeurteilung ein? Sind dafür ausschließlich Platzierungen in Wettkämpfen entscheidend oder auch andere Faktoren wie die Entwicklung und das Potenzial eines Sportlers?
Das ist eine sehr vielschichte Bewertung, die natürlich die Ergebnislisten der vergangenen Jahre berücksichtigt. In Koordination mit den Bundessportfachverbänden spielen dabei aber auch leistungsphysiologische Parameter eine Rolle und wir schauen uns natürlich auch an, wie sich die Leistungen in Relation zur internationalen und nationalen Konkurrenz entwickelt haben und welches Potenzial der Sportler mitbringt. Wichtig ist mir dabei, dass wir – obwohl der Leistungsgedanke natürlich im Mittelpunkt steht – auch niemanden fallen lassen, wenn er sich verletzt und gerade nicht an Wettkämpfen teilnehmen und nicht trainieren kann. Wir bewegen uns im absoluten Spitzensportbereich, wo Athleten physisch an ihr Limit gehen müssen und manchmal sogar darüber hinaus. Da können Verletzungen natürlich passieren. In dem Fall bekommen Sportler bei uns einen Verletztenstatus und die Chance, sich nach Genesung zurück an die Weltspitze zu kämpfen.
Wenn man die Erfolgsmeldungen von Skisport und Nordischem Wintersport bis hin zur Leichtathletik und zum Behindertensport betrachtet, muss man zum Schluss kommen, dass die Welt des Spitzensports in Österreich ohne das Bundesheer eine gänzlich andere wäre. Oder wären trotzdem ähnliche Erfolge denkbar?
Natürlich würde es auch ohne uns Spitzensport in Österreich geben – aber ganz sicherlich nicht in dieser Qualität wie jetzt. Würde es unser Angebot nicht geben, würde mit einem Schlag die Möglichkeit wegfallen, dass man sich schon als 18-Jähriger als Sportprofi mit allen notwendigen Absicherungen voll auf seine sportliche Karriere konzentrieren kann. Viele Sportlerinnen und Sportler hätten ohne uns diese Möglichkeit nicht. 450 potenzielle Medaillenhoffnungen könnten dann nur als Amateure trainieren und hätten es ungleich schwerer, in die Weltspitze vorzustoßen. Für den österreichischen Spitzensport wäre dies sicherlich ein massiver Rückschritt.
Ein ähnliches Angebot wie das Heeres-Sportzentrum gibt es aber auch bei der Polizei und beim Zoll.
Das ist prinzipiell richtig und wir arbeiten auch gut zusammen und ergänzen uns. Allerdings sprechen wir bei der Polizei von rund 50 Sportlern und beim Zoll von rund 20 Sportlern, also insgesamt weit weniger als bei uns. Zudem sind die Sportler dort im Regelfall schon etabliert, werden oft von uns übernommen und wollen später auch als Polizist oder Zollbeamter tätig sein. Wir setzen hingegen bei den Jungen an und wollen sie schrittweise an die Weltspitze heranführen, ohne dass dabei die Berufswahl Soldat verpflichtend wäre. Viele der Sportler schlagen parallel oder nach ihrer Karriere eine Offiziers- oder Unteroffizierslaufbahn ein, sie können aber auch andere Wege gehen und wir unterstützen sie sogar bei der Berufsausbildung nach ihrem Karriereende.
Kritiker bemängeln trotz der großen Erfolge die hohe Zahl der Heeressportler und die damit verbundenen Kosten. Was antworten Sie darauf?
Natürlich kostet die Leistungssportförderung etwas, aber man muss auch den Nutzen sehen. Damit ist ein enormer Imagetransfer verbunden. In einer repräsentativen Studie wurde kürzlich abgefragt, ob die Menschen in Österreich unser Leistungssportfördermodell für gut befinden und bei einer überwiegenden Mehrheit der Befragten wird die Leistungssportförderung demnach sehr gewinnbringend wahrgenommen. Dazu kommt, dass wir auch durch Transferleistungen der Spitzensportler profitieren, vor allem bei den definierten Schwerpunktsportarten Fallschirmspringen, militärischer Fünfkampf, Orientierungslauf, Schießen Gewehr, Schießen Pistole, Ski-Biathlon und Ski-Langlauf. Das sind Sportarten, die einen sehr engen Bezug zum Militär haben und wo wir über den
Leistungssport besonders vielschichtige und wichtige Erkenntnisse gewinnen, die wir auch für die Truppe nutzbar machen können.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel trainieren die Fallschirm-Leistungsspringer gemeinsam mit unseren Jagdkommando-Soldaten, die in der Lage sein müssen, mit voller Ausrüstung auf kleinen exponierten Stellen zu landen. Die Leistungssportler landen bei Bedarf auf Briefmarken und können in diesen Trainings natürlich ihr Know-how weitergeben. Ein anderes Beispiel ist der Schießsport, wo wir im Spitzensport über die Athleten und unsere Trainer Erfahrungen sammeln, die in weiterer Folge in die Schießvorschriften und in die Ausbildung einfließen.
Wie eingangs schon erwähnt, wird das Heeres-Sportzentrum vor allem mit der Spitzensportförderung verbunden. Der Verantwortungsbereich ist aber viel größer.
Richtig. Wir behandeln parallel dazu auch sportwissenschaftliche Fragestellungen zur körperlichen Leistungsfähigkeit im militärischen Bedingungsgefüge. Im Zentrum stehen dabei motorisch-konstitutionelle Anforderungsprofile sowie die Optimierung der körperlichen Leistungsvoraussetzungen für den militärischen Dienst im Bundesheer. Zudem decken wir die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte für Körperausbildung sowie die Durchführung von militärsportartspezifischen Seminaren ab. Organisatorisch sind wir so aufgestellt, dass sich eine Abteilung der Leistungssportförderung und eine Abteilung der militär-sportwissenschaftlichen Forschung sowie der spezifischen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Kadersoldaten widmet.
Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Aufgabe?
Ich kann da nichts priorisieren, weil sich die Aufgaben gegenseitig ergänzen. Wir decken insgesamt ein sehr breites Spektrum ab und bearbeiten Forschungsprojekte für die Truppe, bei denen Fragestellungen zur körperlichen Leistungsfähigkeit beispielsweise von Soldaten und Waffengattungen bis hin zum Leistungssport behandelt werden. Das Heeres-Sportzentrum ist eine einzigartige Dienststelle, die es beim Heer nur einmal gibt. Trotzdem strahlt unser Aufgabenspektrum auf das ganze Heer ab. Wir definieren die Rahmenbedingungen für körperliche Leistungsfähigkeit beim Bundesheer – theoretisch wie praktisch – und das ist definitiv eine Querschnittsmaterie.
Sie haben jetzt Forschungsprojekte für die Truppe erwähnt. Was fällt da beispielsweise drunter?
In diesem Zusammenhang haben wir zum Beispiel bearbeitet, wie fit Gebirgssoldaten oder Kampfmittelbeseitiger sein müssen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. In solchen Fällen erstellen wir Belastungsanalysen, entwickeln Testverfahren und ergänzen diese mit Trainingsmodellen. Oder eine andere Fragestellung, mit der wir uns in der letzten Zeit beschäftigt haben, war es, unser Testverfahren im Rahmen der militärischen Basisfitness zu evaluieren. Dabei haben wir aus den Erfahrungen des Spitzensports gelernt, indem wir dieses Testverfahren von einer allgemein-motorischen Überprüfung hin zu einer militärspezifischen Überprüfung umgestellt haben. Im Gegensatz zur bisher eher laufdominierten Überprüfungsform im Sportanzug stehen nunmehr soldatische Tätigkeiten wie das Heben, Tragen oder Ziehen von Lasten, das Bewegen im Gelände sowie ein Eilmarsch mit Waffe und Gepäck – und das Ganze im Kampfanzug – im Fokus.
Seit dem Jahr 2016 gibt es beim Bundesheer auch Leistungssportler mit Behinderung. Wie gut wird das Angebot angenommen und wo orten Sie dabei noch Verbesserungspotenzial?
Das Angebot ist noch vergleichsweise jung und wir sammeln dabei jetzt die ersten Erfahrungen. Im Gespräch mit den Sportlerinnen und Sportlern wird aber deutlich, dass sie als Bundesheer-Leistungssportlerinnen und -Leistungssportler effektivere Trainingsreize setzen können. Mit der sozialen Absicherung und verbesserten Umfeldbedingungen haben wir im Sinne der Inklusion bereits sehr gute Rahmenbedingungen geschaffen, die wir aber natürlich immer wieder evaluieren und optimieren.
Wie viele Medaillen werden die Heeressportler bei den Olympischen und Paralympischen Sommerspielen sammeln? Ab wie vielen Medaillen wären Sie als Kommandant des Heeres-Sportzentrums zufrieden?
Prinzipiell ist einiges möglich. Wir können Medaillen gewinnen, wenn am Tag X aber nicht alles zu 100 Prozent passt, können auch Kleinigkeiten entscheidend sein, dass es mit dem angestrebten Erfolg nicht klappt. Prinzipiell bin ich aber sehr zuversichtlich und zufrieden wäre ich dann, wenn unsere Leistungssportlerinnen und Leistungssportler in Tokio ihre Bestleistung abrufen können. Ob sich dann eine Medaille ausgeht, wird man sehen. Ich werde ihnen aber auf alle Fälle die Daumen drücken.