Der Verteidigungsausschuss des Europaparlaments ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Der österreichische Europaparlamentarier Lukas Mandl (ÖVP) ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses und unternahm in dieser Funktion jüngst eine Recherche-, Vernetzungs- und Informationsreise nach Polen und Deutschland. Wir haben mit Lukas Mandl über diese Reise, über die EU-Ausbildungsmission für die Ukraine und über die Bemühungen zur Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit gesprochen.

Herr Mandl, nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurden in Westeuropa – einmal mehr – Rufe nach einer größeren europäischen Selbstständigkeit und mehr Resilienz laut. Was hat sich dahingehend seit dem 24. Februar 2022 getan?
Es waren eineinhalb Jahre vieler guter Anfänge, mehr als irgendwer Europa zugetraut hatte. Was jahrelang vernachlässigt worden war, geht seit dem Angriffskrieg Putin-Russlands voran. Neben akuten Verteidigungsmaßnahmen wie der Ausbildungsmission für die Ukraine und dem Einsatz der Friedensfazilität gewissermaßen im Sinne der Erfindung haben wir parlamentarisch auch neue Wege beschritten, die jetzt Durchhaltevermögen verlangen. Das betrifft etwa die gemeinsame Beschaffung der europäischen Streitkräfte bei europäischen Unternehmen. Das hat auch einen großen Nutzen für die europäische Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Europa; sowie auch für die Reduzierung der Abhängigkeit von anderen Teilen der Welt etwa bei Rohstoffen und Lieferketten. Das entsprechende Gesetz ist zwar gut, ermöglicht aber immer noch bis zu 40 Prozent Beschaffung außerhalb Europas. Hier müssen wir besser werden. Schließlich geht es um europäisches Steuergeld.

@Zur Verfügung gestelltWo sehen Sie weiteren Nachbesserungsbedarf?
Das oben genannte Durchhaltevermögen wird wichtig sein. Es darf nicht passieren, dass nach der Abwehr der aktuellen Bedrohung und der Wiederherstellung von Freiheit und Frieden die europäische Verteidigungsstruktur erneut kraft- und saftlos in sich zusammensackt. Nachhaltigkeit ist angesagt. Bis jetzt sind alles nur Startpunkte. Die neue EU-Kommission wird endlich auch eine Person mit der ausschließlichen Verantwortung für Verteidigung brauchen. Und auch in anderen Bereichen wird die neue Kommission zugunsten von mehr Freiheit nach innen und mehr Stärke nach außen von Regulierung auf Resilienz und damit Geopolitik umschalten müssen. Hier sind Weltregionen wie Afrika, die östliche Partnerschaft, der Westbalkan sowie die Schweiz und das Vereinigte Königreich zu nennen, sowie Themenfelder von Geopolitik über Entwicklungshilfe bis zur Handelspolitik.

„Die neue EU-Kommission wird endlich auch eine Person mit der ausschließlichen Verantwortung für Verteidigung brauchen.“

Europaabgeordneter Lukas Mandl

Sie leiteten dieser Tage eine Mission des Verteidigungsausschusses in Polen und Deutschland, wobei insbesondere in Polen der Willen zur militärischen Aufrüstung besonders groß zu sein scheint, oder?
Polnische Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahr und Tag vor dem Risiko durch Putin-Russland gewarnt hatten, hatten Recht. Das wissen auch fast alle aus Westeuropa. Das Ost-West-Gefälle, das in der EU vor dem Krieg noch zu spüren gewesen war, ist jetzt mal weg. Polen ist nicht allein damit, die Investitionen in Verteidigung zu erhöhen. Alle machen das. Auch Österreich; wobei unser Land im Auftrag von Bundeskanzler Karl Nehammer auch eine neue Sicherheitsstrategie entwickelt. Das kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Welt wird neu geordnet. Wir haben mit der polnischen Regierung ja einige Probleme in Sachen Rechtsstaatlichkeit, weil auch die Polinnen und Polen Unionsbürgerinnen und -bürger sind und auch ihnen gegenüber das zentrale EU-Versprechen der Rechtsstaatlichkeit eingehalten gehört. In Sicherheit und Verteidigung gibt es aber große Einigkeit und das tut Europa insgesamt gut. Den Begriff der Aufrüstung würde ich ersetzen durch jenen der Nachrüstung, in doppelter Hinsicht: Überall, vielleicht mit Ausnahme Frankreichs, gehören Versäumnisse der Vergangenheit korrigiert; und überall ist die eigene Verteidigungsfähigkeit angesichts der großen Unterstützung der Ukraine auch mit Gerät aufrechtzuerhalten.

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Sie haben im Rahmen ihres Besuchs auch die EU Military Assistance Mission in support of Ukraine – also die EU-Trainingsmission – besucht. Wie war ihr Eindruck von dort und tut Europa damit bereits genug zur Unterstützung der Ukraine oder müsste das Programm weiter ausgebaut werden?
Es war bewegend, den Soldatinnen und Soldaten in die Augen zu schauen. Alle bringen Opfer. Und für alle geht es um den Erhalt von Freiheit und Frieden, um unsere Art zu leben, unsere Zivilisation. Aber diese Frauen und Männer setzen ihre Leben aufs Spiel, denn ihr Land wird militärisch angegriffen, in ihrem Land werden Kriegsverbrechen verübt, sie verteidigen ihre Kinder und ihre Großeltern. Und sie stellen damit sicher, dass das Kriegstreiben nicht andere Teile Europas erfasst. Die Ausbildung ist auf dem höchsten Niveau unserer Zeit, die Soldatinnen und Soldaten sind höchst motiviert, und das Curriculum wird ständig an den Bedarf angepasst. Was und wieviel wovon letztlich nötig ist, entscheidet der Verlauf. Europa steht jedenfalls zusammen. Wie immer habe ich in den politischen Kontakten auch den Zehn-Punkte-Friedensplan von Präsident Selenskyj auf den Tisch gebracht. Dieser wird noch zu wenig beachtet.

@Zur Verfügung gestelltWelche Erkenntnisse konnten Sie aus ihrem Besuch vor Ort sonst noch mitnehmen?
Es ist und bleibt schockierend, dass wir weit im 21. Jahrhundert in Europa wieder Krieg haben. Aber mehr als je zuvor in der Geschichte steht Europa zusammen. Die europäische Einigung bewährt sich in diesen Wochen und Monaten. Es wird diesem Aggressor und anderen nicht gelingen, unsere Zivilisation der Menschenwürde und der individuellen Freiheit zu überwinden. Und der Preis, den wir jetzt zahlen, wird hoffentlich dazu beitragen, dass die nächste Generation in Frieden und guter Nachbarschaft leben kann. Das muss das Ziel sein. Nicht die Militarisierung unserer Gesellschaften, sondern jene Stärke, die unsere zivilen Gesellschaften blühen lässt und zur Entfaltung bringen kann, ist das Ziel.

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Quelle@Zur Verfügung gestellt