Auf Einladung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin werden am 20. Jänner die westlichen Alliierten in der sogenannten „Ukraine-Kontaktgruppe” erneut darüber beraten, wie sie die Ukraine militärisch weiter unterstützen können. Nachdem inzwischen die Übergabe einiger Dutzend älterer Aufklärungs- und Kampfschützenpanzer aus Frankreich (AMX-10RC mit 105-Millimeter-Kanone wurden der Ukraine am 4. Jänner von Präsident Emmanuel Macron zugesagt), aus den USA (M2 Bradley) und aus Deutschland (Marder) an Kiew bestätigt ist, werden bei dem Gespräch wohl Kampfpanzer eine zentrale Rolle spielen. Dabei dürfte es insbesondere um die Lieferung älterer Leopard-Muster gehen. Deutschland müsste einer Übergabe des Typs auch durch andere Länder als Herstellerland zustimmen, aktuell sträubt sich Berlin dagegen aber noch.
Die Ukraine benötigt 1.000 Kampffahrzeuge
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, er sehe „keine einzige negative Konsequenz für Deutschland”, sollten die Kampfpanzer am Ende tatsächlich geliefert werden. Der Bedarf an entsprechenden Fahrzeugen sei jedenfalls groß. Die ukrainische Armee benötige laut Kuleba nach der „Abnützung” eines Gutteils ihres Fahrzeugbestands aus sowjetischer Produktion und dem von den Russen erbeuteten Geräten für Offensivoperationen im Frühjahr und Sommer jedenfalls 300 Kampf- und bis zu 700 Schützenpanzer.
Aktuell sieht es trotzdem weiterhin nach einem deutschen „Nein” zu einer möglichen Übergabe aus, obwohl Berlin in der Vergangenheit bereits schwere Kampffahrzeuge wie Gepard-Flak-Panzer und selbstfahrende Artillerie PzH2000 an die Ukraine abgegeben hat, ohne bislang zur Kriegspartei geworden zu sein. Auch bei den Marder-Fahrzeugen war die deutsche Regierung monatelang zurückhaltend und wollte einen „Alleingang” vermeiden, obwohl die USA schon davor 200 M113 Schützenpanzer (Vietnam-Ära, aber laut Ukraine in den Kämpfen „nützlich”) bereitstellten.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola begrüßte die von der deutschen Regierung angekündigte Marder-Lieferung an die Ukraine. Es sei „wichtig, die befürwortete Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen”, sagte Metsola. Sie sei deshalb auch für die von der CSU und Politikern anderer Parteien geforderte Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine. Metsola sagte, Russland wolle, dass Europa bei der Ukraine „wegschaue” und „ermüde”. Dies dürfe aber nicht zugelassen werden. Es ist daher wichtig, dass Europa die Ukrainer politisch, humanitär und auch militärisch weiter unterstützt. „Es ist darüber hinaus aber auch wichtig, dass Europa seine eigenen Verteidigungskräfte stärkt und eine echte Verteidigungs-Union wird.”
„Es ist wichtig, dass Europa seine eigenen Verteidigungskräfte stärkt und eine echte Verteidigungs-Union wird.“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt attackierte im Beisein der EU-Parlamentspräsidentin seine Bundesregierung scharf. Die deutsche Führungsschwäche sei der Grund, warum Europa insgesamt nicht stark sein kann im Moment, so der Oppositionspolitiker. „Eine schwache Bundesregierung ist eine Achillesferse für Europa.”
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich für die Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine ausgesprochen. „Ja, ich denke, die Ukraine sollte die qualifizierte Ausrüstung bekommen, die sie braucht und benutzen kann, um ihre Heimat zu verteidigen und zu befreien”, sagte sie am 10. Jänner in Brüssel. Sie äußerten sich bei einer Konferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Ratspräsident Charles Michel zu der – speziell für Kanzler Olaf Scholz und die SPD – brisanten Frage, ob sie Staaten unterstütze, die eine Lieferung von Kampfpanzern wie dem Leopard 2 in Betracht ziehen. Dazu zählen auch Länder wie Polen und Spanien. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte allerdings ebenfalls am 10. Jänner, dass ihm gar keine Anfragen von Partnern bekannt wären, die selbst Leopard-Panzer an die Ukraine liefern wollten. Im Gegensatz dazu schloss der deutsche Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) eine solche Lieferung dezidiert nicht aus – verfügbare Fahrzeuge gibt es in Europa jedenfalls zuhauf.
Viele Länder betreiben Leopard-Kampfpanzer
Aktuellen Zahlen zufolge verfügen die NATO- und EU-Länder zusammen über weit mehr als 2.000 Leopard-Panzer. Alleine in den Beständen der Bundeswehr fanden sich mit Ende 2021 insgesamt 285 Leopard 2 der Modifikationen 2A5, 2A6 und 2A7/2A7V, von denen sich allerdings nur etwa 180 in Kampfbereitschaft befinden. Darüber hinaus verfügt auch Hersteller Rheinmetall über einen Bestand von rund 50 „veralteten” Leopard 2A4, die wohl am ehesten für eine Übergabe an die Ukraine in Frage kommen. Allerdings: Mit einer Übergabe wäre laut Rheinmetall-Chef Armin Papperger frühestens Anfang 2024 zu rechnen.
Mit 250 Leopard 2 (davon 126 2A4, 16 2PL und 105 2A5) weist die polnische Armee eine ähnlich große Leo-Flotte wie die Bundeswehr auf. Polen plant die Fahrzeuge allerdings schon bald aus dem Dienst zu nehmen und sie durch amerikanische M1A2 Abrams SEPv.3 und südkoreanische K2 Black Panther zu ersetzen. Laut dem Wall Street Journal ist daher (das Blatt beruft sich in einer Einschätzung auf die Aussagen eines nicht genannten „hochrangigen polnischen Diplomaten”) auch die Übergabe einer größeren Fahrzeugmenge denkbar – der Bestand würde jedenfalls für die Ausstattung zweier kompletter Panzerbrigaden ausreichen. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte derweil am 11. Jänner im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda im westukrainischen Lwiw die Übergabe einer Kompanie von Leopard-Kampfpanzern (wohl 14 Fahrzeuge) durch eine Koalition zu, die derzeit gebildet werde.
Laut dem Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen hänge der mögliche Übergabezeitpunkt vor allem von Deutschland und der Zustimmung der Regierung in Berlin ab. Sławomir Dębski, Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten – einer Warschauer Denkfabrik mit Nähe zur polnischen Regierung – sieht vor allem in die Lieferung der Ersatzfahrzeuge (Abrams und Black Panther) den entscheidenden Faktor. „Es stellt sich für uns nicht die Frage ob, eine Übergabe erfolgen soll, sondern vielmehr wann diese geplant ist”, so Dębski, der sich froh drüber zeigte, dass nun die „westliche Zurückhaltung in Bezug auf die mögliche Übergabe von Panzern an die Ukraine nach Monaten diplomatischer Bemühungen endlich aufweicht”. „Genau dafür hat sich Polen seit vielen Monaten eingesetzt.”
Update vom 19. Jänner: Laut Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki werde Polen gegebenenfalls auch ohne grünes Licht aus Berlin „das Richtige tun” und Kampfpanzer an die Ukraine liefern.
Ebenfalls große Leopard 2-Flotten finden sich in Spanien (insgesamt 327 Stück, davon 219 in 2E-Ausführung 2A6+ und 108 in 2A4-Ausführung), in der Türkei (316 Leopard 2A4, von denen 84 auf 2A4TR aufgerüstet sin) und in Finnland. Die dortige Armee hat rund 200 Leopard 2 im Einsatz, je zur Hälfte in 2A4-Modifikation (die meisten davon eingelagert) sowie in 2A6-Modifikation. Eine Übergabe an die Ukraine ist durchaus denkbar, wie auch Antti Häkkänen, der Leiter des finnischen Verteidigungsausschusses, in einem Kommentar für MTV Uutiset bestätigte. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass auch andere Länder in Europa ähnliche Schritte setzen würden.
Häkkänen MTV Uutisille: Suomen annettava Leopard 2 -panssarivaunuja Ukrainaan, jos tähän Euroopassa laajasti lähdetäänhttps://t.co/Vg2qr3vIHz pic.twitter.com/MH9qkQHFyb
— MTV Uutiset (@MTVUutiset) January 6, 2023
Ähnlich die Sichtweise von Schweden, das über 120 Leopard 2S (sowie neun Stridsvagn 121 und 122 = aufgerüstete 2A5) verfügt. Die Entscheidung über eine Lieferung von Leopard 2-Panzern dürfte laut schwedischem Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in einigen Wochen geklärt sein. „Ich denke, es ist ziemlich bekannt, was die Ukraine braucht”, sagte er in Stockholm. Jedes Land werde nun versuchen, Entscheidungen darüber zu treffen, was es leisten könne. Zu berücksichtigen seien dabei aber auch die Bedürfnisse der eigenen Streitkräfte und natürlich der Regelungen und Entscheidungen, die von Partnern in diesen spezifischen Waffensystemen abhängen.
Weitere 170 Leopard 2A6HEL und etwa 180 Leopard 2A4 finden sich im Bestand der griechischen Armee. Eine Übergabe von Fahrzeugen an die Ukraine wäre eine Überraschung, allerdings könnten die 40 ex-deutschen Marder, die Athen im „Ringtausch” für an die Ukraine gegangene BMPs erhalten hat, vorerst an die Ukraine gehen, „sofern sie später ersetzt werden”, wie es aus Griechenland heißt.
Neben Österreich, der Schweiz, Chile, Singapur und Katar, die über nur kleine Leopard-Flotten verfügen und für die eine Übergabe an die Ukraine aus unterschiedlichen Gründen nicht in Betracht gezogen werden kann, betreiben auch noch Norwegen, Kanada, Portugal und Dänemark das Kampfpanzer-Modell. Während Lissabon plant seine 37 Leopard 2A6Pos ab 2026 unter anderem mit Active Protection Systemen (APS) aufzurüsten und Kopenhagen seine 44 Leopard 2 (26 2A7M+DK-Varianten und 18 2A5DK-Varianten) auf 2A7M+DK bringen möchte, verfügt Oslo über 52 Leopard 2A4NOs, von denen allerdings nur 36 im Einsatz sind (der Rest ist eingelagert). Alle aktuellen Leoparden werden dort ab 2025 entweder durch K2 Black Panther oder Leopard 2A7 ersetzt. Kanada hat etwa 40 Leopard 2 im Einsatz, davon 20 2A4M-CANs und 20 2A6M-CANs. Weitere etwa 40 Leopard 2A4 sind als Trainingsfahrzeuge im Einsatz oder werden zu ARVs umgebaut.
Abseits der diskutierten Leopard 2-Übergabe wurden zuletzt auch in Großbritannien Gerüchte über die Lieferung englischer Kampfpanzer an die Ukraine bekannt. Wie Sky News berichtete könnten vorerst zehn Fahrzeuge vom Typ Challenger 2 (von BAE-Systems/Land Systems, einem Unternehmen der Rheinmetall-Gruppe) zur Abwehr der russischen Angriffe an Kiew gehen. Entsprechende Diskussionen würden demnach bereits seit Wochen laufen, eine Übergabe könnte auch andere Staaten zu ähnlichen Unterstützungsleistungen motivieren.
UK considering supplying Ukraine with Challenger 2 tanks to fight Russian forces https://t.co/HwjUt5e2oF
— Sky News (@SkyNews) January 9, 2023
Ein erster Schritt hin zu einer größeren Lieferung?
Aus ukrainischer Perspektive ist der Aufwand für die Übernahme von „nur” zehn Fahrzeugen (vor allem mit Blick auf Ausbildung und Logistik, die gezogene 120-Millimeter-Kanone kann zudem nur britische Munition verschießen) überproportional groß. Allerdings könnte die Lieferung nur der erste Schritt hin zu einer deutlich umfangreicheren britischen Unterstützung sein, hat die Panzertruppe (Yeomanry) des Landes doch insgesamt 150 Challenger 2 in Reserve, welche nicht auf Challenger 3 hochgerüstet werden. „Es ist klar, dass Kampfpanzer den Ukrainern entscheidende Fähigkeiten verleihen könnten. Unser Premierminister hat Präsident Wolodymyr Selenskyj daher zugesagt, dass Großbritannien seine Unterstützung für Kiew beschleunigen und das Land auch mit der Art militärischer Technologie versorgen wird, die der Ukraine dabei hilft, den Krieg zu gewinnen”, so ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak vor Journalisten in London.