Das am 20. Jänner von den USA angekündigte umfangreiche Militär-Hilfspaket für die Ukraine listet neben vielen Posten wie M2 Bradley-Schützenpanzern auch den Sammelbegriff „Artilleriemunition”. Das US-Magazin Politico hat nun Informationen veröffentlicht, wonach darunter auch sehr moderne GLSDB-Gleitbomben fallen sollen.
Die Abkürzung GLSDB steht für „Ground-Launched Small Diameter Bombs”, also vom Boden gestartete Bomben mit kleinem Durchmesser. Über eine Lieferung wird seit Monaten spekuliert, das System könnte aus den – durch die Ukraine seit Längerem mit „durchschlagendem” Erfolg eingesetzten – M270-HIMARS-Startern eingesetzt werden. Die Reichweite geht dank ausklappenden Trapezoidflügeln sogar über die bisherige HIMARS-Munition hinaus.
Mehr als ein „Abfallprodukt”
Die Waffenkombi basiert auf M26-Raketen mit 227-Millimeter-Kaliber, welche einst mit Cluster-Munition bestückt waren und die nach deren Verbot nun verfügbar sind. Mehr als 300.000 davon sollen in den US-Arsenalen noch vorhanden sein und ein Teil davon wurde mit der ersten Generation der 125-Kilogramm-Lenkbombe mit kleinem Durchmesser (SDB) GBU-39 von Boeing kombiniert. Erstmals zum Einsatz kam die Kombi im Oktober 2006 im Irak, der Preis ist mit rund 35.000 Euro vergleichsweise niedrig. Der Adapter ist zudem einfach zu fertigen und das Ergebnis eine hochpräzise „Raketenbombe”, die über eine Reichweite von rund 150 Kilometern verfügt.
Sie wird – jeder MLRS-Starter kann zwei Abschusscontainer mit jeweils sechs Raketen aufnehmen – von der HIMARS abgefeuert. Der M26-Antrieb bringt die GBU-39 dann auf eine Höhe, die ungefähr der Fallhöhe einer von einem Flugzeug abgeworfenen Bombe entspricht. Sie macht dann nach der Trennung aber keine ballistische Kurve, die für Gegner – wenn genug Zeit bliebe – vielleicht berechenbar wäre, sondern kann tief fliegen und manövrieren. Die Treffgenauigkeit der GPS-gelenkten Waffen liegt angeblich bei nur einem Meter. Die bodengestartete Kombi ist nach erfolgreichen Erprobungen ab 2015 seit 2019 verfügbar.
Laut dem schwedischen Mitentwickler Saab sind diese „kleinen” SDBs mit einer Radar-Rückstrahlfläche von nur 0,015 Quadratmeter auch von modernen Luftabwehrraketen schwer zu erfassen und zudem immun gegen elektronische Störsender, höchstens beeinflussbar durch – viele andere Anwendungen aber mitverfälschendes – GPS-Spoofing. In Zukunft könnte sogar ein Laser eingebaut werden, der es dem System ermöglicht, auch sich bewegende Ziele zu erfassen. Ein Fühler im Kopf der Waffe kann dabei so eingestellt werden, dass die Explosion entweder über dem Boden erfolgt oder ganz kurz nach dem Einschlag.
GLSDB (ground launched small diameter bombs) will reduce sanctuary for Russians. Life is about to start getting very uncomfortable for Russian navy, airforce and ammunition handlers on Crimea, along the ‚land bridge’…and hopefully soon for repair crews on Kerch Bridge. https://t.co/si3zOai3uT
— Ben Hodges (@general_ben) January 18, 2023
„Leben bald sehr unangenehm”
Ben Hodges, in den westlichen Medien sehr präsenter pensionierter US-General und ehemaliger Kommandant der US-Truppen in Europa, glaubt zu wissen, dass diese Waffe in den russischen Militärkreisen bereits für Panik sorgt: „Bei der derzeitigen Frontlinie würde diese Munition mit einer maximalen Reichweite von 150 Kilometern im Wesentlichen das gesamte seit Februar 2022 besetzte ukrainische Territorium und sogar Teile der nördlichen Krim abdecken. Für die russische Marine, die Luftwaffe und die Munitionstransporter sowie -lager auf der Krim und entlang der ,Landbrücke’ wird das Leben daher bald sehr unangenehm werden. Und hoffentlich bald auch für die Reparaturmannschaften auf der Kertsch-Brücke”, schrieb er auf Twitter.
Russische Militärblogger warnen vor Eskalation
In der Tat haben diverse russische Kriegsberichterstatter und -beobachter-Seiten die GLSDB-Kombo bereits als Bedrohung ausgemacht und thematisieren sie mit entsprechenden Sujets und Kommentaren. Auf Сводки от ополчения Новороссии heißt es beispielsweise: „Werden wir also bald Tausende von GLSDBs niederkommen sehen? Mal langsam. Erstens wurde die Massenproduktion von GLSDBs noch nicht begonnen, die ersten Auslieferungen werden erst im Frühjahr erwartet und auch die dürften keiner Serienfertigung entstammen. Zweitens sind unsere SAMs in Syrien bereits auf GBU-39 gestoßen, und Pantsir S1 (Anmerkung: ein mobiles russisches Kurzstrecken-Luftabwehrsystem mit Kanonen und Lenkwaffen) ist in der Lage, sie abzuschießen. Auch gibt es noch keine Bestätigung der kolportierten Reichweite von 130 bis 150 Kilometern. Zudem ist der Sprengkopf relativ klein, er hat nur 93 Kilogramm und verursacht dadurch deutlich geringere Schäden als herkömmliche HIMARS-Einschläge.”
Dennoch sei es eine sehr ernste Sache, solche GLSDB an die ukrainischen Streitkräfte zu übergeben: „Der Feind wird ein weiteres Mittel haben, um hinter unseren Linien zu wirken. Alle befreiten Gebiete sowie Teile der Krim sind von Treffern bedroht. Darüber hinaus befinden sich Brjansk, Belgorod und Kursk (einschließlich des Kernkraftwerks) in der Reichweite. Niemand kann garantieren, dass das Kiewer Regime seine Angriffe auf Ziele beschränken wird, die in den Bereich des Luftverteidigungssystems fallen. Lieferungen von derartiger Langstreckenmunition werden zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führen.”
Und weil diese „Ausweitung” des Arms der Ukrainer natürlich auch Hochwert-Ziele auf der Krim betrifft, hat auch der Kreml bereits scharf reagiert: „Allein dass darüber diskutiert wird, die Ukraine mit solchen Waffen auszustatten, die russisches Territorium erreichen können, ist extrem gefährlich. Der Konflikt würde damit eine neue Ebene erreichen”, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 19. Jänner.
Update vom 7. Februar: Hier geht es zu einem weiterführenden Bericht zum Thema von der Neuen Zürcher Zeitung.
Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um Boeing und hier zu weiteren Meldungen rund um Saab.