Der Kommandant der 4. Panzergrenadierbrigade im großen Militär Aktuell Interview: Brigadier Siegwald Schier über die Notwendigkeit bodengebundener Luftabwehr, Investitionen in Panzerpioniere, Panzerabwehr und elektronische Kampfführung sowie beachtenswerte Erfolge bei der Personalakquise.
Herr Brigadier, angesichts der jüngsten sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa steht die militärische Landesverteidigung wieder verstärkt im Fokus. Was heißt das für Ihre 4. Panzergrenadierbrigade?
Auch wenn jetzt die militärische Landesverteidigung wieder im Vordergrund steht, bleibt die Schutzoperation das bestimmende Thema für das Österreichische Bundesheer (-> aktuelle Meldungen rund um das Bundesheer). Für die 4. Panzergrenadierbrigade bedeutet das, dass wir uns neben diesem Hauptauftrag aber zusätzlich verstärkt um die klassische militärische Landesverteidigung, also die Abwehroperation gegen einen regulären, konventionell kämpfenden Gegner, zu kümmern haben. Dabei bewährt es sich, dass wir als harter Kern des Bundesheeres die Rekonstruktionsfähigkeit der mechanisierten Truppe aufrechterhalten konnten.
Sie meinen beispielsweise den Beibehalt von Panzerkräften, obwohl Investitionen in diesem Bereich vielfach kritisiert wurden.
Der Ukraine-Krieg zeigt, dass es in modernen Konflikten nach wie vor um den Kampf der verbundenen Waffen geht: um die Koordinierung von Feuer und Bewegung, um den Kampf mit Steilfeuer und schlussendlich um den Kampf Panzer gegen Panzer. Es war daher aus meiner Sicht richtig, die Fähigkeit zum mechanisierten Kampf zu bewahren. Dadurch können wir jetzt auf den vorhandenen Fähigkeiten weiter aufbauen und dabei ist für uns die Nutzungsdauerverlängerung des Kampfpanzers Leopard 2A4 und des Schützenpanzers Ulan von entscheidender Bedeutung. Zusätzlich geht es nun darum, Fähigkeitslücken zu schließen.
Welche wären das konkret?
Hier geht es vor allem um die unmittelbare Kampfunterstützung der mechanisierten Truppe: die Fliegerabwehr, also die bodengebundene Luftabwehr, und Panzerpioniere, um mit Bergepanzern, Brückenlegepanzern und anderen Systemen die eigene Bewegung zu fördern und die feindliche Bewegung zu hemmen. Beide Waffengattungen waren früher in der Brigade vorhanden, wurden aber aus Sparzwängen gestrichen und müssen nun neu aufgebaut werden. Wir haben zudem mit dem Aufbau der elektronischen Kampfführung begonnen, es sind bereits erste Systeme in die Brigade zugelaufen und es wird auch hier in
Zukunft zu einer Fähigkeitserweiterung kommen. Außerdem gilt es die Panzerabwehr insbesondere auf große Reichweiten zu stärken und bei der Artillerie mit Hochpräzisionsmunition von der Flächenwirkung hin zur punktgenauen Wirkung zu gehen. Ziel muss es sein, in Zukunft das gesamte Fähigkeitsspektrum einer Panzergrenadierbrigade abbilden zu können.
Unter dem Strich wird dafür auch Hardware benötigt. Wenn wir recht informiert sind, wird aktuell auch die Beschaffung neuer Ulan-Schützenpanzer diskutiert.
Das kann ich so nicht bestätigen, da ich nicht tief genug in die entsprechenden Planungen eingebunden bin. Diese werden derzeit unter Federführung der Direktion Fähigkeiten und Grundsatzplanung vorangetrieben. Was ich aber bestätigen kann, ist, dass wir zu unseren schweren Systemen weitere Begleitsysteme benötigen. Dabei geht es um Führungsunterstützung, Granatwerfer, Fliegerabwehr, Sanität und Ähnliches und natürlich sollte man aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der einfacheren Versorgung danach trachten, alle benötigten Begleitsysteme auf einer Systemfamilie abzustützen.
Damit meinen Sie ein Fahrzeug, das in unterschiedlichsten Varianten und Versionen betrieben werden kann?
Genau. Im Bereich der mittleren Infanterie kann diese Systemfamilie beispielsweise der Pandur sein, der jetzt schon als gepanzerter Mannschaftstransporter zum Einsatz kommt und bei dem es in weiterer Folge Varianten für die Panzerabwehr, die Fliegerabwehr oder die Führungsunterstützung geben soll. An welche Systemfamilie im Bereich der 4. Panzergrenadierbrigade gedacht wird, kann ich aktuell aber nicht beurteilen.
Sie sprechen von eher langfristigen Vorhaben. Gibt es auch Beschaffungen, die schon jetzt bei der Truppe spürbar sind?
Hier wären die neuen Nachtsichtbrillen und unsere Schwerlastsysteme zu nennen, die bereits eingeführt wurden. Zudem ist das modifizierte Sturmgewehr 77 A1 MOD bei uns im Bereich der Kaderpräsenzeinheiten und der Miliz zugelaufen und es wurden bereits drei Verbände mit dem neuen Tarnanzug ausgestattet, wobei der Zulauf bei einem weiteren Verband unmittelbar bevorsteht. Weiters erproben wir aktuell die neue Rüstung 23 inklusive neuer Kampfwesten und eine neue flammhemmende Bekleidung für mechanisierte Kräfte.
Unter dem Strich steht Ihre Brigade damit vor einem enormen Fähigkeitsgewinn, oder?
Ich bin sehr optimistisch, dass wir gegenüber den fehlenden Investitionen der vergangenen Jahrzehnte in den nächsten Jahren einen immensen Zulauf an neuen Fähigkeiten haben werden. Dies setzt aber auch einen deutlichen Personalaufwuchs und eine hoffentlich reduzierte Assistenzleistung im Inland voraus, um mit dem modernen Gerät auch entsprechend ausbilden und üben zu können.
„Ich bin sehr optimistisch, dass wir gegenüber den fehlenden Investitionen der vergangenen Jahrzehnte in den nächsten Jahren einen immensen Zulauf an neuen Fähigkeiten haben werden.“
Die Situation am Arbeitsmarkt ist herausfordernd. Wie zuversichtlich sind Sie trotzdem, das notwendige Personal zu finden?
Meine Soldaten werben wann und wo immer es geht und verbuchen dabei auch beachtenswerte Erfolge. Zum Beispiel hat sich von unserem bislang letzten Einrückungstermin Oktober 2022 im Endeffekt ein Drittel aller Grundwehrdiener für ein längeres Dienen entschieden. Sei es, weil sie als Jungkaderleute bei uns begonnen oder für eine Kaderpräsenzeinheit unterschrieben haben, weil sie in die Miliz gegangen sind oder für das „Modell 6+3” gezeichnet haben.
Ein Drittel klingt extrem viel – wie hoch ist diese Zahl üblicherweise?
Ein Drittel klingt nicht nur viel, sondern ist aus meiner Sicht auch sehr gut. Konkrete Vergleichszahlen zu nennen ist jedoch schwierig, weil wir dieses Jahr nicht wie zuvor üblich alle unsere Grundwehrdiener in den Assistenzeinsatz zu schicken hatten, sondern erstmals seit längerer Zeit wieder grob die Hälfte aller Grundwehrdiener einer hochwertigen Ausbildung mit entsprechend hohem Erlebniswert zuführen konnten und sich von diesen 50 Prozent überdurchschnittlich viele Grundwehrdiener weiter verpflichtet haben.
Der Assistenzeinsatz ist für ihre Bemühungen um Personalaufwuchs also ein Nachteil?
Ich werde nur Soldaten zu einer Weiterverpflichtung im System Militär motivieren können, die das Militär auch erleben. Und Militär erleben bedeutet für mich eine anspruchsvolle Grundausbildung in der jeweiligen Waffengattung durchzuführen und einen dementsprechend hohen Erlebniswert zu ermöglichen.
Inwieweit muss vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine die Ausbildung in Ihrer Brigade angepasst werden?
Wir ziehen laufend unsere Lehren und Folgerungen aus internationalen Konflikten und dabei bestätigt der Krieg in der Ukraine unser Festhalten am Kampf der verbundenen Waffen. Neue Waffensysteme wie Drohnen, elektronische Kampfführung, neue Aufklärungsmittel oder Ähnliches beeinflussen diesen Kampf, aber sie verändern ihn nicht grundlegend. Wir halten daher an unserer grundsätzlichen Stoßrichtung in der Ausbildung fest, adaptieren aber dort, wo es notwendig ist.
„Wir ziehen laufend unsere Lehren und Folgerungen aus internationalen Konflikten und dabei bestätigt der Krieg in der Ukraine unser Festhalten am Kampf der verbundenen Waffen.“
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Nehmen wir als Beispiel das Panzerbataillon 14, das sich parallel zum Kampf mit dem Kampfpanzer und dem Zusammenwirken Panzer und Panzergrenadier jetzt vermehrt auch mit der Bedrohung durch Drohnen und den notwendigen passiven Schutzmaßnahmen beschäftigt. Hier geht es einerseits um neue Tarnmittel, die eine Wärmeabstrahlung nach oben minimieren, um durch Aufklärungsmittel aus der Luft schwerer aufspürbar zu sein. Andererseits gilt es, sich in der Gefechtstechnik anzugewöhnen, im Stand nur mit geschlossenen Luken oder mit Schutzmechanismen über geöffneten Luken zu agieren, um das Abwerfen von Wirkmitteln in den offenen Turm zu verhindern.
Sie meinen Netze oder Gitter, wie man Sie auch in der Ukraine zu sehen bekommt?
Ja, genau – Netze, die wie Sonnenschirme aufgespannt werden können und die gleichzeitig zur Minimierung der Wärmeabstrahlung und als Fangnetz nach oben dienen.
Hätten Sie vor zwei oder drei Jahren gedacht, dass Sie derartige Entwicklungen auf dem Radar haben müssen?
In diesem Bereich vielleicht nicht, aber beispielsweise herrscht zwischen Panzer und Panzerabwehr seit Jahrzehnten ein steter Wettstreit um das bessere Wirkmittel und das bessere Schutzmittel. Diese Entwicklung hat zu Top-Attack-Lenkwaffen, Tandemhohlladungen und explosiven Reaktivpanzerungen geführt – und nun eben wieder zu neuen Überlegungen.
Die Ukraine zeigt auch, dass es für das eigene Überleben auf dem Schlachtfeld von entscheidender Bedeutung ist, stets in Bewegung zu bleiben. Inwieweit muss die Ausbildung dahingehend angepasst werden?
Dieses Prinzip stimmt – ist aber für uns nichts Neues und wurde durch uns so bereits ausgebildet. Um rasches Gegenfeuer zu unterlaufen, hat unsere Artillerie schon in den vergangenen Jahren entsprechend agiert und auch im Bereich der Führungseinrichtungen waren wir mit dem abgesetzten Einsatz von Antennen bereits auf diesem Weg. Damit gehen im Falle raschen Feindfeuers zwar die Antennen verloren, die restliche Führungseinrichtung bleibt aber erhalten und kann weiter eingesetzt werden. Und genau das macht mechanisierte Kräfte aus: Rasch und beweglich zu agieren – sowohl in der Verteidigung als auch im Angriff.