Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Brigadier Philipp Eder, seit Herbst 2023 Militärkommandant von Kärnten. Wir haben den Ukraine-Experten des Bundesheeres gefragt, warum der russische Präsident Wladimir Putin jetzt über Frieden mit Kiew spricht, ob ein Waffenstillstand wahrscheinlich ist und welches Ziel die USA im Ukraine-Krieg (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) verfolgen.
Herr Brigadier, vor einigen Tagen ließ Russlands Präsident Wladimir Putin der Welt ausrichten, er sei zum Einfrieren der Kampfhandlungen entlang aktueller Frontlinien bereit. Wie ernst meint Putin es tatsächlich mit diesem Waffenstillstands-Angebot?
Ich denke schon, dass er das ernst meint, weil die ursprünglichen Kriegsziele derzeit nicht erreichbar erscheinen. Das sind die Einnahme der kompletten Ukraine, der Austausch der Regierung von Volodymyr Selenskyj, und die Neutralisierung der ukrainischen Armee. Außerdem ist da noch die Gefahr, dass bei zu hohen Verlusten in der russischen Armee, die Stimmung zu Hause irgendwann kippt. Ich vermute, Putin setzt auf Einfrieren des Konflikts, um ihn später möglicherweise fortzusetzen. Andererseits weiß Putin, dass die ukrainische Seite seinen Bedingungen nicht zustimmen wird. Denn der Zehn-Punkte-Friedensplan von Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht ja den kompletten Rückzug russischer Truppen aus allen eroberten Gebieten vor, inklusive der Krim. Es ist für Putin daher relativ einfach, jetzt die Friedenstaube zu spielen, wissend, dass es zu keiner Einigung kommen wird.
„Es ist für Putin relativ einfach, jetzt die Friedenstaube zu spielen, wissend, dass es zu keiner Einigung kommen wird.“
Wie müsste sich die Situation verändern, damit beide Seiten bereit sind, von ihren Maximalforderungen abzuweichen und der Weg frei für realistische Friedensverhandlungen ist?
Sowohl die Ukrainer als auch die Russen glauben nach wie vor, dass sie ihre Ziele am Schlachtfeld erreichen können. Ich sehe daher auf keiner der beiden Seiten Bereitschaft für eine Kompromisslösung. Wenn die Situation bleibt, wie sie ist – dass also keine Seite entscheidende Raumgewinne verzeichnen kann – könnte es einen Waffenstillstand geben, der den Konflikt einfriert. Dazu bräuchte die Ukraine aber Sicherheitsgarantien, vor allem des Westens, aber auch der Russen, dass Moskau kein Interesse mehr daran hat, weitere Teile der Ukraine anzugreifen. Ob das automatisch einen NATO-Beitritt der Ukraine bedeutet, ist eine politische Frage.
In letzter Zeit brachten Medien öfter den Begriff der Kriegsmüdigkeit ins Spiel und meinen damit, dass die EU-Bevölkerung des Krieges in der Ukraine überdrüssig sei. Sehen Sie das auch so und wie könnte sich diese Stimmung auf den Krieg auswirken?
Seit dem Ende der Jugoslawienkriege glaubten die Europäer, dass auf dem Kontinent der ewige Friede ausgebrochen ist. Sie wollen nicht wahrhaben, dass das nicht mehr so ist und wünschen sich den Zustand von vor Ausbruch des Ukraine-Krieges zurück. Umso mehr, als die Wirtschaftssanktionen gegen Russland gefühlt europäischen Nationen schaden und durch Nachrüstungsmaßnahmen in der Europäischen Union Geld aus anderen Bereichen wie dem Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen abgezogen wird. Es ist daher verständlich, wenn die europäische Bevölkerung sagt, stoppt diesen Krieg. Das weiß die russische Führung, und versucht das auszunützen. Das ist mit ein Grund, warum Putin jetzt Friedensverhandlungen anbietet.
Neben dem Nahen Osten und dem pazifischen Raum ist Europa ein weiterer Konfliktherd, der die Ressourcen der USA bindet. Welches Szenario strebt Washington in Hinblick auf den Ukraine-Krieg an?
Für die USA ist dieser Kriegsschauplatz eine nicht gewünschte Ablenkung von ihrem eigentlichem strategischen Schwergewicht, das sie nach Asien verlagert haben. Die USA konzentrieren sich derzeit in erster Linie auf China, in wirtschaftlicher aber auch militärischer Hinsicht. Alles, was Europa nicht selbst lösen kann, ist für die USA daher unangenehm, weil sie hier eigentlich keine Ressourcen investieren wollen. Je schneller der Krieg vorbei ist, desto lieber wäre es den Amerikanern. Was Washington befürchtet, ist eine Eskalation, die irgendwann dazu führen könnte, dass auch NATO-Staaten von diesem Krieg betroffen sind, weil sich dann automatisch die Frage des Bündnisfalles stellt. Daher denke ich, dass die USA die Ukraine so lange unterstützen werden, bis dieser Krieg vorbei ist, um zu verhindern, dass er zu nahe an westliche Verbündete heranrückt. Das bedeutet aber auch, dass Putin keinen vollständigen Sieg über die Ukraine erringen darf. Denn, so die Befürchtungen, würde der Westen Putin die Einnahme der Ukraine durchgehen lassen, könnte das ihn oder einen allfälligen Nachfolger zu weiteren Eroberungen in Europa motivieren.
„inzwischen BIN ICH etwas skeptisch, ob sich das russische Vorgehen aus rein rationalen Gesichtspunkten beurteilen lässt. Und das macht das Ganze so schwer vorhersehbar.“
Nun gehen zahlreiche Experten davon aus, dass selbst, wenn Putin die Ukraine einnehmen würde, er dennoch nicht weiter auf EU-Territorium und damit auf NATO-Gebiet vorstoßen würde. Wie sehen Sie das?
Rational betrachtet, kann man durchaus zu diesem Schluss gelangen. Gleichzeitig muss man aber sagen, dass schon der Angriff auf die Ukraine eine irrationale Entscheidung war, weil niemand im Westen die Absicht hatte oder hat, Russland in irgendeiner Form anzugreifen. Also diese ganze Angst vor der NATO-Osterweiterung, das Gefühl von der NATO umschlossen zu werden, ist aus meiner Sicht komplett irrational. Daher bin ich inzwischen etwas skeptisch, ob sich das russische Vorgehen aus rein rationalen Gesichtspunkten beurteilen lässt. Und das macht das Ganze so schwer vorhersehbar.
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