Europa-Parlamentarier Lukas Mandl (ÖVP) ist Mitglied eines EU-Sonderausschusses, der sich mit der unerwünschten Einflussnahme externer Akteure auf demokratische Prozesse innerhalb der EU beschäftigt. Nachfolgend gibt er einen Einblick in die wichtigsten Zielsetzungen des Ausschusses – dazu gehört unter anderem die Stärkung gegen hybride Angriffe.
Mit dem Beginn des parlamentarischen Arbeitsjahres startet im Europa-Parlament auch die Arbeit des Sonderausschusses mit dem langen, beinahe unaussprechlichen Titel „Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation”. Ich gehöre diesem Ausschuss als Hauptmitglied an und verbinde mit meiner Arbeit dort eine klare Agenda und klare Zielsetzungen:
(1) Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit als Voraussetzung für die Entwicklung der Gesellschaft und der Einzelnen ist in Gefahr, wenn „unter falscher Flagge” – durch Troll-Fabriken der Roboter – Inhalte verbreitet werden, die wie Meinungen realer Personen wirken sollen, deren Intention aber ist, Hass und Neid sowie allerlei andere negative Emotionen zu generieren und so gesellschaftliche Spaltungen zu verursachen. Dieses Szenario ist nicht Theorie, sondern tägliche Praxis. Der Sonderausschuss wird das aufdecken und klarlegen müssen. Dann müssen Schlüsse gezogen und konkrete Maßnahmen gesetzt werden, um echte Meinungsfreiheit unter realen Menschen europaweit zu verteidigen und weltweit durchzusetzen.
(2) Pressefreiheit
Wir Menschen verzehren kaum rohes Fleisch. Wir verzehren gekochtes Fleisch. Mit medial vermittelten Inhalten verhält es sich im Social Media Zeitalter umgekehrt: Wir konsumieren immer weniger seriös aufbereitete Information. Wir konsumieren allerlei Inhalte, die – intentional geleitet durch Algorithmen, für die in der einen oder anderen Weise bezahlt wird – uns über die verschiedenen Kanäle erreichen. In der Vergangenheit gab es Zensur durch Obrigkeiten in Europa. Wo es die noch gibt, gehört sie rigide bekämpft; auch in anderen Teilen der Welt. Die heute akute Bedrohung der Pressefreiheit ist aber (infra)struktureller Natur. Die Bedeutung journalistisch aufbereiteter Inhalte gehört verstanden. Die entsprechenden Strukturen gehören abgesichert: materiell und ideell.
(3) Demokratie
Einflussnahmen von außerhalb Europas auf gesellschaftliche und politische Diskurse durch bewusst verbreitete Falschinformation hat in der Vergangenheit demokratische Urnengänge beeinflusst. Angesichts dieser gravierenden Tatsache müssen wir die Natur der größten Gefahren für unsere europäischen Demokratien im 21. Jahrhundert verstehen. „Fake News” führen dazu, dass immer weniger „wahr” von „unwahr” unterschieden werden kann, dass Fakten nicht als solche erkannt werden, und dass letztlich das Beschreiten illegitimer Wege ebenso viel Berechtigung für sich beanspruchen kann – und auch bekommt – wie das Beschreiten legitimer Wege. Diesen Gefahren zu begegnen verlangt ein Bündel von Maßnahmen und wird schlussendlich zu einer anderen Art von Politik führen müssen. Hier werde ich im neuen Sonderausschuss als Leiter der Transatlantic Friends Of Israel (TFI) auch die Vernetzung mit Israel suchen, weil der Staat Israel über lange und intensive Erfahrung mit der Bedrohung seiner Demokratie von außen verfügt.
(4) Hybride Kriegsführung
Der Begriff wirkt technisch, drückt aber etwas sehr plastisches aus: Tatsächlich drückt sich jene Form von Krieg, der Europa heute ausgesetzt ist, nicht in jenen Bildern aus, die bisher mit dem Begriff des Krieges in Verbindung gebracht werden. „Hybride Kriegsführung” meint die strukturierte Unterminierung staatlicher und gesellschaftlicher Systeme etwa durch Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur oder Einflussnahmen durch Falschinformation wie die oben geschilderten. Die Zahl der Cyber-Angriffe auf Europa und in Europa hat sich seit Beginn der Pandemie in etwa verdoppelt. Das ist eines von vielen Alarmzeichen, die uns dringend fordern, Europa gegen hybride Angriffe, wie sie subkutan täglich ausgeführt werden, zu wappnen.
(5) Technologie
Europa droht ein Kontinent des Konsums zu werden – weil bei uns immer mehr konsumiert wird, was in anderen Teilen der Welt erfunden und produziert wird. Wir brauchen aber auch Innovation und Produktion in Europa. Das ist wichtig für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Das ist aber nicht minder wichtig für die Sicherheit und die Behauptung des „European Way Of Life”. Der technische Begriff, der für derlei zur Anwendung kommt, ist jener der „strategischen Autonomie”. In Krisen muss Europa sich selbst helfen können, weil zum Wesen einer Krise gehört, dass vorher unklar ist, von welcher Seite während der Krise Unterstützung zu erwarten ist. Das gilt ganz besonders für das Feld der Informationstechnologie.
(6) Counterintelligence
Die im Sonderausschuss zu behandelnde Materie in Kombination mit zuletzt bekannt gewordenen nachrichtendienstlichen Aktivitäten etwa Chinas, Russlands und der Türkei in Europa sowie mit der virulenter werdenden Herausforderung, mit durch Stellen außerhalb Europas öffentlich verbreiteten Falschinformationen umzugehen, untermauern, dass der Sonderausschuss sich auch mit Notwendigkeiten, Wirkungsweisen und Effektivität von Counterintelligence-Maßnahmen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten befassen muss. Es gilt hier auch, einschlägige Erfahrungen der Mitgliedsstaaten – bestenfalls unter Einbeziehung des Vereinigten Königreichs – zu bündeln, um seriöse Schlüsse zu ziehen.
(7) Bildung
Der effektivste Schutz vor der schädlichen Wirkung von Falschinformation ist Bildung. Für Kinder und Jugendliche ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Familien, Schulen, formale und informelle Bildungseinrichtungen, Medien und alle Erwachsenen betrifft. Für jeden Meschen ist das eine Frage lebenslanger Bildung, weil sich auch die Bedrohungsszenarien entwickeln, immer komplexer und immer perfider werden. Bildung hilft dabei, die Plausibilität einer Information zu prüfen. Eine Bürgerin oder ein Bürger, die oder der über gutes Allgemeinwissen verfügt, wird kaum oder gar nicht anfällig sein für Falschinformationen, Verschwörungstheorien und deren zersetzende Kraft.
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