Nachdem das Bundesheer alarmiert worden war (siehe Teil 1 unserer Serie zum Burgenlandeinsatz 1921/22), verlegten die Truppen an das niederösterreichisch-burgenländische sowie steirisch-burgenländische Grenzgebiet mit der Aufgabe, die ungarischen Freischärler von weiteren Übergriffen auf österreichisches Staatsgebiet abzuhalten.
Der gesamte Grenzschutz in der Steiermark wurde dem Regimentskommando des Alpenjägerregiments Nr. 9 unterstellt. Daher ging der Regimentsstab unter der Führung von Oberst Medicus nach Hartberg ab. Im Einsatzgebiet wurde er nun als „Grenzschutzkommando Hartberg” bezeichnet. Das Beziehen der Grenze verlief ohne Störungen durch die Freischärler. Trotzdem hatte das Grenzabschnittskommando in den ersten Tagen viel zu organisieren und konnte daher die Detailgliederung erst am 3. September weitermelden. Das Grenzschutzkommando Hartberg gliederte sich in folgende zwei Unterabschnitte: einen für das I./AJR Nr. 9 (Kommandant Oberst Stegmüller) sowie einen weiteren für das AJR Nr. 10 (Kommandant Oberst Causig).
Die Gliederung des Grenzschutzkommandos (I./AJR Nr. 9)
Das Unterabschnittskommando des AJR Nr. 9 unter dem Kommando von Oberst Stegmüller hatte ebenfalls den Standort Hartberg bezogen und teilte sich Anfang September wiederum in vier Unterabschnitte. Diese Orte lagen an markanten Anmarschrouten und sollten auch in weiterer Folge die Zentren der ungarischen Angriffe bilden.
Im Süden befahl Major Lamminger (2. Kompanie mit zwei HMG Zügen und einen schweren MG-Zug der MG-Kompanie I) den Abschnitt Burgau-Neudau-Wörth. Ein weiterer Abschnitt war St. Johann in der Heide mit Stützpunkt westlich der Allhauer Brücke unter dem Kommando von Major Eppich (1. Kompanie mit zwei HMG Zügen).
Nördlich davon, im Bereich Lafnitz stand das Kommando unter Major Walland (Halbe 3. Kompanie) sowie im Bereich Haideneggendorf-Sinnersdorf unter dem Kommando von Oberstleutnant Weiss (Halbe 3. Kompanie und ein schwerer MG-Zug der MG-Kompanie). Im Raum Hartberg stand auch die Abschnitts- später Brigadereserve, bestehend aus der 4. Kompanie unter Major Gerzabek mit zwei HMG Zügen sowie der halben MG Kompanie I unter dem Kommandanten der MG-Kompanie Oberstleutnant Siegel.
Am selben Tag, dem 3. September 1920, begannen auch die Einfälle ungarischer Banden auf steirisches Gebiet. Die Ziele der feindlichen Angriffe waren häufig dieselben: Neudau, Burgau, Wörth und Allhau.
Im Laufe des Monats September ereigneten sich allein im Abschnittskommando Hartberg des AJR Nr. 9 insgesamt 14 Zwischenfälle mit Freischärlern. Der steirische Landeshauptmann Anton Rintelen intervenierte daher in Wien, um die Bundesbehörden dahin zu bewegen, die steirisch-ungarische Grenze mit mehr Soldaten zu schützen. Nach einigen Tagen hatte sein Drängen Erfolg: Im Laufe des Septembers wurde ein Bataillon des Kärntner Alpenjägerregiments Nr. 11 an die burgenländisch-steirische Grenze verlegt und dem Grenzschutzkommando Hartberg unterstellt.
Hier eine detaillierte Auflistung der Kampfhandlungen im Bereich des AJR Nr. 9:
Datum | Ort | Aktivität |
4. September, 16.30 Uhr | Brücke bei der Schafflermühle Allhau | Freischärler greifen zweimal im Abstand von 15 Minuten an, zweiter Angriff mit MG |
5. September, 10.30 Uhr | östlich Pinggau/Friedberg | Explosionen hörbar |
6. September | Brücke bei der Schafflermühle Allhau | Schusswechsel zwischen Soldaten AJR Nr. 9 und Freischärlern |
9. September | Brücke bei Schiefer (östlich Fehring) | Schießerei mit Freischärlern |
15. September | Abschnittskommando Steiermark | Meldung über Bewaffnung von Zivilisten im Bereich Allhau. Sicherungsmaßnahmen werden verstärkt in Neudau |
15. September (ganze Nacht) | Neudau/Textilfabrik | Gefecht mit Freischälern, welche die Textilfabrik plündern wollten |
16. September, 18.00 Uhr | Neudau | Freischärler greifen Feldwachen an |
16./17. September Mitternacht | Wörth | Angriff auf AJR Nr. 9 mit MG Unterstützung |
17. September, 1.00 Uhr | Wörth | erneuter Angriff auf denselben Wachposten |
16./17. September | Hohenbruck | Angriff auf Feldwachen erfolgreich abgewehrt |
16./17. September | Schiefer | Angriff auf Feldwachen erfolgreich abgewehrt |
18. September, 15.00 Uhr | Brücke bei der Schafflermühle Allhau | von sechs Freischärlern besetzt und von einer Offizierspatrouille vertrieben |
21. September | Neudau | Feldwache nimmt nach einem Gefecht drei Freischärler gefangen |
26. September, 22.00 Uhr | Brücke bei der Schafflermühle Allhau | Angriff von Freischärlern durch Schwarmführer Janschitz im Keim erstickt |
Der Druck der ungarischen Freischärler ließ jedoch nicht nach: Im darauffolgenden Monat Oktober kam es zu zwölf weiteren Zwischenfälle mit Freischärlern im Bereich des Abschnittskommandos Hartberg.
Datum | Ort | Aktivität |
5. Oktober, 23.00 Uhr | Brücke bei Allhau | Abwehr von 50 bis 70 Freischärlern |
7. Oktober | Brücke bei Lafnitz | Freischärlergruppe wird durch eigene Truppen vertrieben |
9. Oktober | Brücke bei Allhau | kurzes Feuergefecht ohne Verletzte |
13. auf 14. Oktober | Brücke bei Allhau | kurzes Gefecht mit Freischärlern |
14. Oktober, 22.00 Uhr | Neudau | Gefecht mit Handgranateneinsatz |
15. Oktober, 9.45 Uhr | Burgau | kurzes Gefecht mit Freischärlern |
15. Oktober, 11.00 Uhr | Brücke bei Allhau | kurzes Gefecht mit Freischärlern |
16. Oktober, 21.00 Uhr | Neudau | kurzes Gefecht mit Freischärlern |
17. Oktober, 19.30 Uhr | Lafnitz | Hauptmann Walland vertreibt mit 30 Alpenjägern eine Freischärlergruppe |
19. Oktober | Neudau | Angriff von Freischälern mit MG |
22. auf 23. Oktober | Grenzbrücke Wörth | kurzes Gefecht mit Freischärlern |
29. auf 30. Oktober | Wachposten Schäfersteg | zwei Angriffe durch Freischärler |
Die Organisation der Truppen im Grenzschutz
Nach Ansicht des Ministeriums befanden sich Anfang Oktober sehr viele Truppen und Verbände im Grenzschutzeinsatz in der Steiermark. Diese hohe Anzahl sollte nun nicht mehr von einem Regimentskommando (AJR Nr. 9), sondern vom Brigadekommando Nr. 5 geführt werden. Am 15. Oktober erhielt das 5. Brigadekommando den Befehl, nach Hartberg zu verlegen, um den Oberbefehl im Grenzschutzabschnitt Steiermark vom AJR Nr. 9 zu übernehmen, welches in weiterer Folge nur noch den Unterabschnitt Hartberg führte.
Gemeinnützige Arbeiten im Grenzgebiet
Im Einsatzgebiet an der steirisch-burgenländischen Grenze wurde nicht nur gegen die ungarischen Freischärler gekämpft, sondern auch die Infrastruktur wiederhergestellt. Im Laufe des Grenzschutzeinsatzes errichteten die Pioniere der steirischen Truppenkörper zahlreiche Brücken neu, oder reparierten beschädigte Brücken. Darüber hinaus wurden zahlreiche Straßen befestigt und damit befahrbar gemacht.
Die Brücke von Allhau wurde beispielsweise zu Beginn des Grenzschutzeinsatzes am 1. September 1921 von ungarischen Freischärlern mit Hilfe von Handgranaten in Brand gesteckt. Die Verstärkung der Brücke wurde von einem Pionierzug des technischen Bataillons Nr. 5 unter dem Kommando des Hauptmannes Platchinger und einem Technischen Zug des Alpenjägerregiments Nr. 9 unter dem Kommando von Major Kahlen durchgeführt. Somit konnte die Verkehrsinfrastruktur aufrechterhalten werden.
Fazit
Der Einsatz im Grenzschutz in den ersten beiden Monaten stand unter dem Eindruck zahlreicher Gefechte mit ungarischen Freischärlern, in welchen sich das Bundesheer auszeichnen konnte. Dies, als auch die Instandsetzung der Infrastruktur im Grenzgebiet, steigerte das Ansehen des Bundesheeres in der Bevölkerung beträchtlich.
Im nächsten Teil geht es um den tragischen Höhepunkt des Grenzschutzeinsatzes: dem Unfall von Pinggau. Hier geht es zum ersten Teil unserer Serie, in dem es um die Alarmierung des Bundesheeres geht.