Jus-Studentin, Kanzleimitarbeiterin, Flügelstürmerin beim SK Rapid: Es ist nicht so, dass Lisa Rammel langweilig wäre. Warum sich Frau Wachtmeister trotzdem als Milizsoldatin beim Bundesheer engagiert.
Ein Juni-Nachmittag in Wien. Graue Wolkenmassen schieben sich über dem 9. Gemeindebezirk unheilvoll zusammen. In der Ferne ist bereits erstes Grummeln zu hören. Um die Ecke biegt ein Blitz in Metallic-Türkis: Wachtmeister Lisa Rammel parkt schwungvoll ihre blank polierte Vespa neben dem Café, in dem sie die nächste halbe Stunde aus ihrem Leben als Milizsoldatin erzählen wird. Sie trägt ein T-Shirt in Eisfarben – Vanillegelb, softes Rosa, Himmelblau –, angesagte Adidas-Sneakers und auf der Nase eine große Hipster-Brille. „Ich bin ganz froh, wenn ich nicht im Flecktarn ausrücken muss”, sagt sie lachend: „Ich trage die Uniform prinzipiell gerne, oft ist aber die private Kleidung komfortabler.”
Geboren wurde Lisa Rammel 1999 im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs. Als Schülerin spielt sie Trompete und Klavier, ist im Orchester und in einer Band aktiv. Mit 15 Jahren entdeckt sie das Fußballspielen für sich. Zu dieser Zeit entsteht auch der Wunsch, später als Richterin tätig zu sein. „In der Oberstufe hat uns dann allerdings ein Informationsoffizier besucht, der eigentlich nur die Burschen zum Thema Bundesheer aufklären sollte. Aber alles, was er über sportliche Tätigkeiten, die Action bei der Ausbildung und den Teamgeist beim Heer erzählte, hat mich sofort abgeholt.”
Die junge Frau beschließt, nach der Matura und dem obligatorischen Summer-Splash-Urlaub die Ausbildung beim Bundesheer anzutreten. „Meine Mutter war sehr überrascht von meiner Idee, sie dachte, bei zwei Töchtern bleibt sie unberührt vom Thema Wehrdienst”, erzählt die 24-Jährige grinsend. Einwände gegen die Jobwahl spart sich die Mutter von vornherein: Sie weiß, wenn die Tochter sich etwas in den Kopf setzt, zieht sie das auch durch.
Aus den anvisierten drei Jahren auf der Militärakademie werden dann doch nur zwölf Monate: „Eigentlich wollte ich die Berufsoffizierslaufbahn einschlagen”, erzählt Rammel: „Am Ende des ersten Jahres wurde mir aber bewusst, dass ich mich immer wieder in dieser männerdominierten Umgebung beweisen werden muss.” Natürlich habe sie von Anfang an gewusst, dass sie als Frau in der Minderheit sein wird. Von den 19 weiblichen Anwärterinnen, die mit ihr am ersten Tag gestartet sind, sei nur eine tatsächlich Berufsoffizier geworden. Stark zu schaffen macht Rammel zudem, dass neben den vielen Diensten fast keine Zeit für Familie, Freunde und das geliebte Hobby Fußball bleibt: „Mir ist klar geworden, dass sich dieses Problem nie so einfach lösen lässt, da man nie weiß, wo man später stationiert wird.”
Die Niederösterreicherin beantragt ihre Entlassung, nimmt das Jus-Studium auf – und meldet sich zur Miliz. „Meine Zeit beim Bundesheer hat einfach sehr viel Spaß gemacht, und dass mir das Heer erhalten bleibt, hat den Vorteil, meine alten Kameraden immer mal wieder zu treffen.” Aber auch tiefergehende Gründe haben die junge Frau zur Milizlaufbahn bewegt: „Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Mir ist es wichtig, dass ich die Pfeiler unseres Landes verteidige, etwa Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.”
Alle zwei Jahre rückt Wachtmeister Rammel nun für acht bis zwölf Tage zu Übungszwecken ein. Zusätzlich betreut sie das Projekt „Miliz wirbt Miliz” („Damit uns die Grundwehrdiener nach der Ausbildung nicht abhandenkommen”) und lässt sich zum Informationsoffizier ausbilden. In Schulklassen gibt sie Einblicke in den Grundwehrdienst und beantwortet Fragen der Schülerinnen und Schüler – ganz wie es auch für sie vor einigen Jahren begonnen hat. „Uns ist dabei wichtig, dass wir die jungen Menschen nicht plump abwerben wollen, sondern informieren möchten.“
Von ihrer eigenen Ausbildungszeit möchte sie keine Sekunde missen. Sie sei richtiggehend in die Kommandantenfunktion hineingewachsen, die Ausbildung habe ihr Selbstbewusstsein enorm gesteigert. Auch für die berufliche Zukunft konnte sie einiges mitnehmen: „Die Welt der Rechtsanwälte ist ja auch eher männerdominiert.”
Dass sie vom rauen Ton in der Kaserne nach „18 Jahren Hotel Mama” erst einmal überfordert war, sieht sie heute locker. Schnell habe sie verstanden, dass die lauten Ansagen wichtig sind, um im Ernstfall klare, strukturierte Befehle zu erhalten. Mittlerweile beherrscht die Soldatin den respekteinflößenden Befehlssprech selbst ganz gut: „Ich habe Grundwehrdiener ausgebildet – da braucht es einfach einen anderen Ton.” Auch das Tragen der Heeresbekleidung hilft: „Wenn ich die Uniform anziehe, schlüpfe ich in eine andere Rolle, nämlich die eines Kommandanten. Das ist wie Verantwortung überstülpen.”
Zudem schätzt die Niederösterreicherin die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten beim Heer. Sie selbst hat schon von Seminaren zum Thema „Wehrpolitik”, „Präsentationstechnik” oder „Führungsverhalten” profitiert. Auch das mache sich für ihre zivile Karriere bezahlt. Im ORF-Format „Brennpunkt Österreich” stieß die überzeugte Milizsoldatin vor Kurzem auf den engagierten Friedensaktivist Klaus Heidegger. Diskutiert wurde über Waffenlieferungen für die Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) und gewaltfreie Verteidigung. „Zuerst hat mich die Situation ein wenig überfordert. Aber je länger ich im Nachhinein über das Gesprochene nachgedacht habe, desto überzeugter bin ich, dass militärische Stärke sein muss, um wehrhaft zu bleiben”, so Rammel. Und ja, auch das Schießtraining mache ihr Spaß: „Ich bin sogar gar nicht so schlecht darin.” Natürlich habe man anfangs einen Heidenrespekt vor der Waffe und den Auswirkungen eines Einsatzes. Aber man werde so umfassend geschult, dass man bestens darauf vorbereitet sei.
Und der Fußball? Die wieder mehr zur Verfügung stehende Freizeit widmet Rammel – neben ihrem Studium und einem Minijob in einer Anwaltskanzlei – ganz dem SK Rapid. Seit Jänner spielt sie als linke Flügelstürmerin beim grün-weißen Traditionsverein, der erst seit kurzer Zeit ein Frauenteam hat. „Obwohl sie sich so lange Zeit gelassen haben, mit dem Mädchen- und Frauenfußball zu starten, merkt man jetzt dafür umso mehr, dass hier ein ordentliches Konzept und viel Engagement dahinterstecken”, meint die Sportlerin. „Ich wollte einfach Teil des ersten Kapitels dieser tollen Geschichte sein.” Was Fußball und Bundesheer gemein haben, sei die starke Kameradschaft: „Ich bin eben ein voller Teamplayer.”
Schnell möchte man von der vielseitigen jungen Frau noch wissen, wo sie sich in fünf Jahren sieht. Als Richteramtsanwärterin vielleicht, allerdings würde auch eine Fußball-Karriere im Profisport nicht ausgeschlossen werden. In zehn Jahren soll es zum festen Job auch eine kleine Familie geben. Und das Militär? „Das soll, so lange es geht, natürlich ein Teil meines Lebens bleiben! Grundsätzlich schließe ich nichts aus, vielleicht lande ich eines Tages ja sogar im Ministerium?”
Die dreißig Minuten sind um. Rammel muss zum Fußballtraining. Es regnet mittlerweile in Strömen, Blitze zucken, Donner hallt. Die Soldatin besteht trotzdem darauf, die Vespa zu benutzen, statt auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Man versucht erst gar nicht, die Rapidlerin umzustimmen. Man weiß: Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, zieht sie das auch durch.
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