Gershon Baskin ist Experte für den Nahostkonflikt. Er setzt sich seit Jahrzehnten mit Mechanismen für einen möglichen Frieden auseinander und verfügt über ausgezeichnete Kontakte zum politischen Flügel der Hamas. Ein Gespräch über eine mögliche Zweistaatenlösung, die deutsche Unterstützung für Israel und den aktuellen Vorschlag für eine Feuerpause.
Herr Baskin, US-Außenminister Antony Blinken sagte am Montag, dass der unter Vermittlung Ägyptens ausgearbeitete Vorschlag Israels an die Hamas für eine Feuerpause außerordentlich großzügig sei. Ist er das tatsächlich?
Soweit ich weiß, bietet Israel die Aufhebung jenes Kontrollpunkts an, der die Menschen daran hindert, vom Süden in den Norden des Gazastreifens zu gelangen. Wenn das stimmt, ist das ein großes israelisches Zugeständnis. Außerdem soll eine große Zahl palästinensischer Gefangener freigelassen werden, wahrscheinlich bis zu tausend Gefangene für 33 israelische Geiseln. Um diesen Vorschlag auszuarbeiten, hat eine Abordnung des ägyptischen Geheimdienstes drei Tage in Israel verbracht. Das ist beispiellos. Die Ägypter übten großen Druck auf die Israelis aus. Jetzt machen sie der Hamas Druck und erwarten eine Einigung.
„Die Ägypter übten großen Druck auf die Israelis aus. Jetzt machen sie der Hamas Druck und erwarten eine Einigung.“
China organisierte kürzlich Gespräche, die eine Annäherung zwischen Fatah und Hamas anbahnen sollten. Was kann man von diesen Gesprächen erwarten?
Diese Gespräche sind nicht wichtig. Jeder weiß, dass es nach dem Krieg eine palästinensische Einheit geben muss, die den politischen Flügel der Hamas integriert. Die jetzt als Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Peking sprechen, sind direkte Vertreter von Präsident Mahmoud Abbas. Die Erfolgsaussichten für ein Abkommen zwischen Abbas und der Hamas sind aber gleich Null. Daher werden diese Gespräche nicht der Weg zur Einigung sein.
Derzeit wird viel über die Zweistaatenlösung gesprochen. Wie schätzen Sie die Chance für eine Umsetzung ein?
Die Zweistaatenlösung ist wieder da. Nicht nur die USA, die ganze Welt und vor allem die Staaten des Nahen Ostens sprechen darüber. Grund ist, dass der israelisch-palästinensische Konflikt längst nicht mehr auf den Landstrich zwischen Jordan und Mittelmeer beschränkt ist. Er hat sich ausgeweitet und bedroht die Sicherheit und Stabilität der gesamten Region. Es ist aber auch offensichtlich, dass mit der gegenwärtigen Führung in Israel und Palästina eine Zweistaatenlösung nicht zu machen ist. Wenn es aber zu einem politischen Wandel in Israel und Palästina kommt, wird es internationalen Druck geben, um die beiden Parteien zu einem regionalen Abkommen zurückzubringen.
„Es ist aber auch offensichtlich, dass mit der gegenwärtigen Führung in Israel und Palästina eine Zweistaatenlösung nicht zu machen ist.“
Welche Rolle kann Europa in Hinblick auf eine Zweistaatenlösung spielen?
Alle europäischen Länder müssen den Staat Palästina anerkennen. Sie reden seit 30 Jahren darüber, aber anerkennen nur einen der beiden Staaten. Eine Anerkennung Palästinas beendet zwar nicht die Besatzung durch Israel, aber sie verändert die Parameter bei zukünftigen Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung. Die Zweistaatenlösung ist übrigens die einzige Möglichkeit, die Hamas zu besiegen. Denn die Hamas ist gegen die Zweistaatenlösung. Und wenn man die Hamas besiegen will, muss man den Palästinensern Hoffnung, Freiheit und Würde geben und Israel Sicherheit bieten. Die Zweistaatenlösung ist der Weg, um voranzukommen. Ich glaube daher, dass sie realer ist als je zuvor.
Seiner Staatsräson folgend, unterstützt Berlin Israel bedingungslos. Wie sehr ist Israel damit wirklich geholfen?
Deutschland sollte Israel nicht nur blind unterstützen, sondern dabei helfen, Frieden mit seinen Nachbarn zu schließen. Es gibt ein gutes Sprichwort im amerikanischen Englisch. Es besagt, dass man einen guten Freund nicht betrunken fahren lässt. Und Israel sitzt gerade betrunken am Steuer.
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