Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Brigadier Berthold Sandtner, Militäranalyst bei der Landesverteidigungsakademie. Wir haben den Experten gefragt, was gegen einen neuen Libanon-Krieg spricht, was ein solcher für die Region bedeuten würde und ob die Drohung der Hisbollah, Raketen auf Zypern abzufeuern, realistisch ist.

Herr Brigadier, in den vergangenen Wochen hat sich die Rhetorik zwischen Israel und der Hisbollah verschärft. Beide betonen, sie seien bereit für einen Krieg. Was spricht denn aus israelischer beziehungsweise Hisbollah-Sicht gegen einen solchen?
Die Hisbollah hat es seit dem 7. Oktober klar vermieden, in eine unmittelbare Kriegshandlung mit Israel einzusteigen und eine tatsächliche Nordfront zu eröffnen – etwas, was sich die Hamas wohl erwartet hätte. Das ist unterblieben, denn die Hisbollah weiß, fordert sie Israel zu einem dritten Libanon-Krieg heraus, könnte das für sie in einer militärischen Niederlage enden. Sie könnte zu einem Rückzug nach Norden gezwungen werden, wenn Israel zum Litani-Fluss hin angreift. Auf israelischer Seite will eigentlich niemand außer den Hardlinern einen weiteren Krieg haben, weil Israel militärisch bereits stark herausgefordert ist. Man hat sehr viele Kräfte für den Feldzug in Gaza mobilisieren müssen. Durch diesen zweiten Brennpunkt im Norden droht für Israel die Gefahr, sich operativ zu überspannen. Daher hat Premierminister Benjamin Netanjahu auch angekündigt, die Kräfte in Gaza zu verringern und Truppenteilen aus dem Süden in den Norden zu verlegen. Bei einer möglichen Libanon-Offensive besteht außerdem die Gefahr, dass Israel sich dort in einen längeren Krieg wie bereits 2006 verwickelt mit entsprechend hohen Opferzahlen unter den israelischen Streitkräften.

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Sollte Israel sich für eine Offensive im Libanon entscheiden, welche militärischen Ziele würden die israelischen Streitkräfte verfolgen?
Aus der Sicherheitszone entlang der israelischen Seite der Grenze mussten wegen des Beschusses durch die Hisbollah 60.000 bis 70.000 Zivilisten evakuiert werden. Das ist der Grund, warum die Hardliner so sehr auf eine Offensive drängen. Sie unterstützen die Idee, die Sicherheitszone auf die andere Seite der Grenze zu klappen. Das heißt, die Hisbollah 20, 30, vielleicht 40 Kilometer weit in den Norden zu drängen. Dadurch könnten Waffen der Hisbollah mit kürzerer Reichweite, also Mörser, Granatwerfer, Panzerabwehrrohre und ähnliches, nicht mehr auf Israel abgefeuert werden. So eine Sicherheits- oder Pufferzone könnte Ziel einer israelischen Offensive sein. Der Raketenbeschuss der Hisbollah auf Israel würde dadurch natürlich nicht gestoppt werden.

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Sie haben die Raketen der Hisbollah erwähnt, die weit nach Israel hinein reichen. Wie sieht es denn mit einer möglichen Bodenoffensive der Hisbollah aus?
Die Hisbollah ist eine gut ausgerüstete Streitkraft. Die Voraussetzungen für eine Bodenoffensive sind jetzt aber denkbar schlecht für die Hisbollah. Sie wären vielleicht Anfang Oktober besser gewesen, als Israel noch nicht auf einen Angriff vorbereitet war. Inzwischen ist Israel an der Grenze mit mindestens vier Divisionen aber sehr stark aufgestellt. Dass der Hisbollah jetzt ein überraschendes Manöver gegen Israel gelingt, halte ich für denkunmöglich.

„Ich bezweifle, dass es ein gemeinsames Vorgehen der libanesischen Streitkräfte mit der Hisbollah gegen einen israelischen Angriff geben würde.“

Welche Rolle könnte die libanesische Armee im Falle eines weiteren Libanon-Krieges spielen?
Da die politischen Zustände im Libanon äußerst volatil sind, ist diese Frage schwer zu beantworten. Ob die libanesische Armee im Falle einer israelischen Intervention gegen die israelischen Streitkräfte eingesetzt werden, oder Beirut es als einen Krieg zwischen der Hisbollah und Israel ansieht, ist schwer zu beantworten. Zwar gibt es immer wieder Kritik von offiziellen libanesischen Stellen, wenn die Israelis Hisbollah-Stellungen im Südlibanon bombardieren. Aber ein Einschreiten der libanesischen Streitkräfte gibt es diesbezüglich nicht. Darüber hinaus spielen die libanesischen Streitkräfte und auch die libanesischen Behörden im Südlibanon eigentlich keine Rolle, weil das Hisbollah-Land ist. Ich bezweifle daher, dass es ein gemeinsames Vorgehen der libanesischen Streitkräfte mit der Hisbollah gegen einen israelischen Angriff geben würde. Ich glaube, viel eher wird von Seiten des offiziellen Libanon versucht, eine politische Lösung zu finden, damit es nicht zu einem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah auf libanesischem Staatsgebiet kommt. Auch die USA machen dahin gehend Druck.

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Was würde ein weiterer Libanon-Krieg für die Region bedeuten und wie ernst ist die Drohung der Hisbollah zu nehmen, Raketen auf Zypern abzufeuern, wenn es Israel im Falle eines Krieges die Nutzung von Flughäfen gestattet?
Man kann davon ausgehen, dass ein tatsächlicher Krieg zwischen der Hisbollah und Israel dazu führen würde, dass sich die Raketenbedrohung aus dem Libanon heraus nach Israel massiv verschärft. Die Hisbollah würde sich nicht mehr nur auf die Grenzräume konzentrieren, sondern ihren Beschuss auf ganz Israel ausweiten. Weiters ist davon auszugehen, dass sich die Hisbollah mit anderen Stakeholdern in der Region abstimmt, so wie es immer wieder im Ansatz erkennbar ist. So hätten etwa die Huthi grundsätzlich die technischen Möglichkeiten, Raketen bis Israel zu schießen. Es gibt noch immer Teile der Hamas im Gazastreifen, die nicht geschlagen sind. Das heißt, es fliegen nach wie vor Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel hinein und man würde sicher diesen Raketenterror auf ganz Israel ausweiten. Das ist das eine. Das zweite wäre natürlich, dass die Gefahr von Terroranschlägen in Israel steigen würde. Etwa durch Gruppen wie Palästinensisch Islamischer Jihad, IS, Hamas und so weiter, weil man sozusagen wieder Aufwind in der eigenen Sache sieht. Raketen auf Zypern sind technisch möglich, ich halte das aber für sehr unwahrscheinlich, weil die Hisbollah sich damit eine sehr große politische Gegnerschaft schafft. Daher: Von der Reichweite her ja, realistisch nein.

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Quelle@Bundesheer