Laut der deutschen Staatssekretärin Siemtje Möller gibt es unter den NATO-Staaten „informelle Absprachen” zum Verzicht auf die Lieferung bestimmter Waffensysteme an die Ukraine. Dadurch soll das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Russland möglichst gering gehalten werden. Russland könnte ansonsten die Lieferung westlicher Kampfpanzer und Kampfflugzeuge offiziell als Kriegseintritt werten und militärische Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Frau Möller sagte, Waffensysteme dieser Art würden bisher nicht in die Ukraine geliefert, als Antwort auf die Frage warum die deutschen ausgemusterten Marder-Schützenpanzer noch immer nicht auf den Weg gebracht wurden.
200 Schützenpanzer aus den USA
Ein Rundruf von Mitarbeitern des Sicherheitsexperten Gustav Gressel (European Council on Foreign Relations in Berlin) hat allerdings ergeben, dass man in mehreren NATO-Ländern von so einer Abmachung – zumindest offiziell – nichts wissen will. Dazu kommt, dass beispielsweise die US-Nationalgarde seit Anfang Mai mehr als 200 Schützenpanzer M113 aus Einheiten in fünf US-Bundesstaaten an die Ukraine abgibt, oder dass das Pentagon beispielsweise Portugal auffordert, ebensolche (auch wieder ex-US-Army) M113 für die Ukraine freizumachen.
Und sogar was Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber betrifft, dürfte Frau Möllers Behauptung wohl nur für der Kalmierung der deutschen Öffentlichkeit gedient haben – das gilt selbst für komplette, flugfähige Gesamtsysteme, wie man seit einer Pressekonferenz von US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin nach einem Treffen alliierter Verteidigungsbeamter am 23. Mai weiß. Zudem konnten die Ukrainer durch Ersatzteile und Lenkwaffen für MiG-29 und Su-25 aus osteuropäischen Beständen die operationellen Stückzahlen dieser Typen erhöhen. Allerdings ist oft nicht gleich eindeutig, wer da was an Gerätschaften tatsächlich liefert, wird viel dementiert und falsch berichtet.
Neben dem Dank an Dänemark für die Überlassung von Harpoon-Anti-Schiffs-Flugkörpern an die Ukraine zur Verteidigung seiner (restlichen) Küste beziehungsweise gegen die russische Seeblockade, dankte Austin in der Pressekonferenz auch der tschechischen Republik für die – so sollte es gehandhabt werden – bereits erfolgte Lieferung von Kampfhubschraubern an die ukrainischen Heeresflieger. Austin: „Ich bin Dänemark besonders dankbar, da das Land heute angekündigt hat, dass es einen Harpoon-Werfer und Raketen zur Verfügung stellen wird, um der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Küste zu helfen. Ich möchte auch der Tschechischen Republik für ihre erhebliche Unterstützung danken, einschließlich einer kürzlich abgewickelten Spende von Kampfhubschraubern, Panzern und Raketensystemen. Ebenso für die Reparatur von Dutzenden beschädigten ukrainischen Fahrzeuge aus ehemaliger sowjetischer Fertigung. Und heute kündigten mehrere Länder neue Spenden von dringend benötigten Artilleriesystemen und Munition an, darunter Italien, Griechenland, Norwegen und Polen. Und lassen Sie mich auch das Vereinigte Königreich für seine führende Rolle bei der Koordinierung der Sicherheitshilfe und für die beträchtlichen Mengen britischer Ausrüstung, die weiterhin in die Ukraine fließen, danken. Ich bin diesen Ländern und allen Ländern, die heute aufgestanden sind, zutiefst verbunden.”
„Schulden-Hinds” nun gegen Russland
Austin nannte in seiner Rede weder den Hubschraubertyp, noch die Menge. Aber die tschechische Luftwaffe betrieb bislang 15 Mil-Mi-24, genauer sieben Mi-24V und acht spätere Mi-35 (eine spätere Exportversion der -24V). Es ist – wie bei dem Ost-Gerät anderer Staaten – davon auszugehen, dass die älteren Varianten abgegeben wurden, in diesem Fall die sieben Mi-24V. Westlicher Ersatz für den Rest bestehend aus vier AH-1Zs Viper und acht UH-1Ys Venom hat Prag bereits bestellt, angeblich hat man im Zuge der „Rotation” die USA ersucht, deren Auslieferung zu beschleunigen und erhofft sich Rabatt auf die Bell-Hubschrauber.
Die Mil-Mi-24 flog in der UdSSR erstmals 1969, ihr Einsatz in der damaligen CSSR begann 1978, als die ersten Mi-24D-Hubschrauber im 51. Hubschrauberregiment in Prostějov in Dienst gestellt wurden. Schließlich erwarb die Tschechoslowakische Volksarmee bis 1982 insgesamt 28 Mi-24D und dann zwischen 1985 und 1989 weitere 31 der modernisierten Mi-24V-Variante und zwei Mi-24DU-Trainingshubschrauber mit Doppelsteuerung. Bei Auflösung der Tschechoslowakei und Teilung der Streitkräfte mit der Slowakei verblieben 16 Mi-24D, 20 Mi-24V und ein Mi-24DU bei Prag. Ab 2003 wurden die meisten dieser Maschinen sukzessive ausgemustert und schließlich 2004/2005 durch 17 neue Hubschrauber aus Russland ersetzt. Diese neuen Maschinen beglichen einen Teil sowjetischer Alt-Schulden, die erste Charge jener sieben Mi-24V traf 2003 ein und zehn weitere Drehflügler wurden 2005/2006 ausgeliefert. Alle siebzehn Mi-24V/Mi-35 waren seit dem 1. Oktober 2008 dem 221. Hubschraubergeschwader (vrlt 221. = vrtulníkovou letka) mit Sitz in Náměšť nad Oslavou zugeteilt.
Die taktischen Nummern:
Mi-24V: 0981, 7353, 7354, 7355, 7356, 7357 und 7358
Mi-35: 3362, 3365, 3366, 3367, 3368, 3369, 3370, 3371 und 7360
Hinds in Blau-Gelb
Die Ukraine kennt natürlich den Mi-24 aus dem eigenen Inventar, bis zum 24. Februar waren insgesamt 34 Stk. beim 7. separaten Armee-Luftfahrtregiment der ukrainischen Armee auf dem Luftwaffenstützpunkt Novi Kalinow, dem 11. separaten Armee-Luftfahrtregiment auf dem Luftwaffenstützpunkt Cherson und dem 16. separaten Armee-Luftfahrtregiment auf dem Luftwaffenstützpunkt Brody im Dienst. Ursprünglich erbte die junge Ukraine nach der Auflösung der UdSSR rund 350 dort befindliche (frühe) Hind. Der Bestand schrumpfte allerdings schnell, als rund 140 Maschinen exportiert wurden (hauptsächlich in afrikanische Staaten), der größte Teil des Rests wurde eingelagert. Als Russland 2014 die Halbinsel Krim eroberte und prorussische Separatisten versuchten, lokale Behörden in der gesamten Ostukraine zu stürzen (für die Ukraine ist seither real Kriegszustand), wurden vier oder fünf blau-gelbe Mi-24 abgeschossen und die Staffeln hastig zu Stützpunkten in Charkiw, Dnipro und Mariupol verlegt. Nach 2014 erfolgten Reaktivierungen wurde das 7. Regiment zur 12. Luftfahrtbrigade erweitert und eine neue 18. Brigade in Poltawa aufgestellt.
Kiew verfolgte seit 2008 auch eigene Upgrades für seine Hinds, als das Konotop Aircraft Repair Plant in Zusammenarbeit mit dem französischen Unternehmen SAGEM (das die ehrgeizigere zweite Stufe umsetzen würde) eine zweistufige Modernisierung entwickelte. Von da an produzierte die Konotop Aviakon-Fabrik die Version PU-1, zunächst durch Zerlegen und Renovieren von Hinds, die oft in sehr schlechtem Zustand aus der Lagerung genommen wurden. Jedes Upgrade dauerte vier Monate, endete mit drei Testflügen und kostete 25 Millionen Griwna (750.000 bis 1 Millionen Euro). Schließlich ist die PU-1 dank polnischer Helme mit PNL-3-Nachtsichtbrillen und überarbeiteter Cockpit-Beleuchtung auch nachts einsatzbereit. Ergänzt wird dies durch ein MAR-695-GPS-Navigationssystem und einen FPM-01KV-Lasermarkierer, der nachts als Zielansprache fungieren kann. Alle Modelle können (und tun dies normalerweise) B8V20-Raketenhülsen auf ihren Stummelflügeln montieren, die jeweils 20 S-8-Raketen tragen. Einige waren übrigens jahrelang (in weiß) mit den ukrainischen Blauhelmen im Kongo im Einsatz.
Ukrainische Mi-24 waren seit dem ersten Kriegstag am 24. Februar aktiv und unterstützten beispielsweise einen robusten Gegenangriff auf russische Fallschirmjäger, die den Flughafen Antonov im Kiewer Vorort Hostomel besetzt hatten. Am 1. April entfesselten um 5.00 Uhr morgen offensichtlich auch zwei ukrainische Hinds – die Ukraine verneint das allerdings bisher – mit S-8-Salven einen massiven Großbrand in einem Öllager in der russischen Stadt Belgorod (rund 30 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt). Dieser Angriff war angesichts der Bedrohung durch das berüchtigte mehrschichtige russische Luftverteidigungssystem durchaus kühn. Über den gesamten Konflikt der vergangenen drei Monate, behauptet das russische Militär, zahlreiche ukrainische Mi-24 abgeschossen zu haben. Der einzige bisher von der Ukraine bestätigte Verlust ist aber nur eine Maschine der 16. Brigade, die von Oberstleutnant Aleksandr Marynyak Miroslavovich und Major Ivan Romanovich gesteuert und am 8. März über Kiews östlichem Vorort Browary abgeschossen wurde. Das Fehlen weiterer bestätigter Mi-24-Verluste könnte auch bedeuten, dass man sich bemüht, diese Plattformen zu erhalten und selektiver einzusetzen. Sollten die Kämpfe einst enden, wird Kiew wohl vor der Wahl stehen, entweder erneut zu versuchen, seine Hinds zu modernisieren – was sich wohl nicht mehr lohnen wird – oder mit westlicher Hilfe moderne Kampfhubschrauber zu importieren.
Weiterführende Info: Dieser Beitrag bietet tiefergehende Details zu Kiews gesamtem militärischen Helikoptersektor.