Die britische Royal Air Force (RAF) hat eine neue Aufgabe für ihre Tranche-1 Typhoon gefunden: Nach längerer Zeit im „Paint Shop” in RAF in Coningsby (Lincolnshire) machen der gänzlich eingeschwärzte ZJ914 und wohl bald auch weitere Altersgenossen als weltweit stärkste Feinddarsteller zweite Karriere.
Die Jets sollen als High-End-Aggressoren im Training gegen andere Typhoon- und F-35B-Besatzungen von Frontstaffeln sowie potenzielle Gäste antreten und diesen – da stärker als die ebenfalls schwarzen F-16C in den USA und gut geeignet, um etwa feindliche Su-27/30 zu mimen – alles abverlangen.
Das Feinddarsteller-/Zieldarstellungskonzept fußt auf den in den USA seit den schmerzhaften Erfahrungen im Vietnamkrieg aufgestellten „roten” Aggressor-Staffeln, die man von „Red Flag” (USAF, Nellis) und „Top Gun” (USN, Fallon) kennt. Seit einigen Jahren wird dieses Segment aus Kostengründen verstärkt zum ausgelagerten Geschäftsmodell einiger privater Firmen, die für die Bereitstellung zig-tausender Vertragsstunden alle verfügbaren klassischen Jets aufkaufen, welche weltweit von Luftwaffen ausgeschieden werden. Auch österreichische Eurofighter-Piloten haben 2017 in Deutschland bereits auf Luftziele geschossen, die von in Wittmund stationierten ex-israelischen A-4N Skyhawk der kanadischen Firma Discovery-Air (nun „Top Aces”) gezogen wurden (siehe Bericht).
Die RAF hat zwar ihre reservierten Luftkampfarenen etwa über den Hebriden an die Firma Qinetic ausgelagert, eigene Aggressoren bislang aber noch nicht betrieben. Das ändert sich nun, nachdem das bereits geplante Abstellen der 24 frühen Tranche-1 Einsitzer-Typhoons nach einer Überprüfung der strategischen Verteidigungs- und Sicherheitanalyse (SDSR) von 2015 wieder revidiert wurde und diese – da sie nur begrenzte Kapazitäten für Upgrades bieten – bis 2030 „abgeflogen” werden sollen. Im Gegensatz dazu wurden die ersten 14 Zweisitzer der RAF bereits ausgeschieden, diese werden im Rahmen des Programms „Reduce-To-Produce” für Ersatzteile verwendet. Für die Einsitzer kommt zu den luftpolizeilichen Aufgaben (wie sie auch in Österreich wahrgenommen werden) nun die „Red Air”-Rolle. Natürlich braucht es zum Simulieren heutiger moderner Gegner die nötigen EloKa-Bibliotheken beziehungswise Selbstschutzfähigkeiten, aber jene Defensive Aids Sub-System (DASS) – erkennbar am „Stachel” am Heck – fehlen ohnehin nur in den österreichischen Jets (Stichwort Indonesien). Diese Sensorbereiche und auch das Radom wurden natürlich nicht „geschwärzt”.
Im Juli 2018 gab der damalige RAF Luftmarschall Sir Steven Hillier, bekannt, dass das Geschwader Nr. IX die erste der neuen Einheiten mit Tranche 1 und Zweitrolle sein wird. Dementsprechend wurde das Geschwader am 31. März 2019 als Tornado GR4-Betreiber in RAF Marham (Norfolk) aufgelöst, bevor es in Lossiemouth (Schottland) neuformiert wurde. Dort wurde es zunächst zur vierten Luftpolizei-Alarmeinheit (QRA oder Quick Reaction Alert) der RAF, eine Rolle die neben ihrer neuen Mission als Aggressor fortgesetzt wird. Zusammen mit dem Geschwader XII ist IX nun die siebente Typhoon-Einheit, XII hat als Zweitrolle die gemeinsame britisch-katarische Einheit auf RAF Coningsby, wo Personal für die künftige Typhoon-Flotte der Luftwaffe des Emirats Katar geschult wird.
Air Commodore Mark Chappell erklärt als „Typhoon-Force”-Kommandant den realen Missionsmix übrigens anders als die offizielle Website der RAF, laut der das IX. das Herzstück der britischen QRA sei, die innerhalb von Minuten nach Auslösen eines Alarms abheben könne. Er bestätigte britischen Kollegen auf Nachfrage, dass deren Hauptaufgabe die Feinddarstellung sein wird. Diese werden gesamt jene „geschwärzten” T1 fliegen, während sich die Piloten derselben Einheit für den QRA-Dienst – russische Bomber fliegen wieder regelmäßig von Norden die britische Luftverteidigungszone(n) entlang – in vollständig aufgerüstete Tranche-2/3-Jets schnallen werden. Demnach könne nur dann erwartet werden, dass das Geschwader Nr. IX zu QRA-Aufgaben wechselt, wenn T2/T3-Schwestergeschwader im Ausland eingesetzt werden, beispielsweise bei der Operation Shader im Nahen Osten. Chapell im O-Ton: „In fact, the Typhoon will be the most advanced aggressor anywhere — at least until the only incoming F-35 much later takes on the role.”
Update: Wie der Evening Express berichtet, befinden sich die Aggressoren bereits im ersten großen Übungsszenario „Point Blank” gegen UK und USMC F-35 über der Nordsee.
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