Kurz erinnerte die Meldung an die Eisenbahnferngeschütze der beiden Weltkriege, freilich ohne dem – zur Wirkung – unverhältnismäßigen Aufwand eigener Gleisbettungen und Mannschaften in Kompaniestärken. Jedenfalls soll es kurz vor dem Jahreswechsel einem Prototypen auf Basis der selbstfahrenden US-Haubitze M109A6 Paladin SPH (Self Propelled Howitzer) mit der Bezeichnung M982A1 Exaclibur in Tests am sogenannten „Yuma Proving Ground” in Arizona gelungen sein, ein Ziel in einer Entfernung von 43 Meilen (70 Kilometer) erfolgreich zu treffen und damit einen neuen Weltrekord für Präzisionsfeuer aufzustellen. Mit der Integration innerhalb der US Armee wurde BAE-Systems beauftragt.
Bei M982A1 Excalibur handelt es sich um das US-Army-Projekt ERCA (Extended Range Cannon Artillery). Leiter des „Funktionsübergreifenden Langstrecken-Präzisionsfeuerteams” (LRPF) der US-Army ist Brigadegeneral John Rafferty: „Was wir vor einigen Minuten eindrucksvoll demonstriert haben, ist der Erfolg eines neuen Systemansatzes zur Aufrüstung unseres Kanonensystems. Und das ERCA-System ist genau das – eine Plattform, das Treibmittel, die Projektile und die Zünder. Wir haben das erfolgreich vereinigt auf einen direkten Zieltreffer bei 43 Meilen gebracht, ein großartiger Moment um das Jahrzehnt zu beenden. Aber wir haben noch einen langen Weg bis zur breiten Truppeneinführung vor uns.”
Raketenunterstützte 155-mm Granate
Bei den Tests verschoss ERCA zunächst eine Standardgranate, die ihr Ziel aufgrund starken Gegenwinds aber um etwa 100 Meter verfehlte. Im Vergleich zu jener wird das neue Artilleriegeschützsystem aber zwei neue Spitzentechnologien erhalten: die raketenverstärkte und präzisionsgelenkte NAMMO XM1113-Granate und das 155 mm/58 Kaliber Rohr (statt dem aktuellen 39 Kaliber Rohr) der neun Meter langen Kanone XM907, was die Reichweite sogar auf bis zu 100 Kilometer und damit eine drei Mal so hohe Feuerdistanz wie traditionelle 155-mm-Artillerie erhöhen soll. Durch die Erkenntnisse der Prototypenphase sollen Fähigkeitslücken in den indirekten Feuersystemen der Armee geschlossen und die Feuerrate und -reichweite durch die Entwicklung von Software- und Hardware-Integrationslösungen für die Energieverteilung verbessert werden. Das Entwicklungsprogramm zielt darauf ab, dem Anwender eine erweiterte Reichweite zu bieten und gleichzeitig das Gewicht der aktuellen Systeme beizubehalten, um die Auswirkungen auf die Haltbarkeit des Chassis zu minimieren.
Hauptauftragnehmer BAE-Systems
Am 15. Juli 2019 gab BAE-Systems (USA) bekannt, dass man den Zuschlag für die Integration jenes neuen ERCA-Systems von der US-Armee erhalten habe. Der initiale Vertrag hat ein Volumen von rund 40 Millionen Euro. Die Entwicklung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Rüstungszentrum des Army Combat Capabilities Development Command (CCDC). Für die erste Phase wird BAE Systems mit dem Bau von 18 ERCA-Systemen beauftragt, die ab 2023 eingesetzt werden sollen. Das neue Artilleriesystem soll dann als M1299 bezeichnet werden. Im Rahmen separater Verträge entwickelt BAE-Systems außerdem Präzisionsführungskits mit Anti-Jamming-Funktionen (PGK-AJ), die in der ERCA-Feuerungsumgebung eingesetzt werden können. PGK-AJ ist kompatibel mit bestehenden und neuen Langstreckengeschossen für mehrere Schießplattformen, einschließlich eben der selbstfahrenden Haubitze M109A7.
Das ERCA-Programm ist eines der wichtigsten, kurzfristigen Bemühungen der US Army im Rahmen ihrer Modernisierungsprioritäten. Laut Brigadegeneral Rafferty ist „die Steigerung des Langstrecken-Präzisionsfeuers notwendig, da potentielle Gegner ihre eigene Kanonenartillerie weiterentwickelt haben und deren Fähigkeiten die der amerikanischen Artillerie in punkto Reichweite und Anzahl inzwischen teilweise schon übertrifft. Es gilt die Fähigkeiten der 155-mm-Indirektfeuersysteme der US-Armee für Operationen auf aufkommenden Schlachtfeldern und Near-Peer-Umgebungen wiederherzustellen.”
Über 200 Millionen Euro
Im letzten Haushalt der US Army für 2020 wurden daher rund 75 Millionen Euro für die strategische Langstrecken-Kanoneninitiative eingeplant. Laut Haushaltsplanungen sind für 2021 dann noch einmal 53 Millionen Euro und für 2022 weitere 63 Millionen Euro veranschlagt. Das Budget soll in vier Bereiche fließen: Die Kanone, die ERCA-Geschosse (von Raytheon), die Entwicklung eines tragbaren Nah-Luftabwehrsystems zum Selbstschutz und den ERCA-Ladeautomat. Dieses Herzstück soll spätestens 2024 integriert werden und die Feuerrate deutlich erhöhen. In Summe soll das neue Geschütz dann eine 10-fache Fähigkeit durch eine Kombination aus größerer Reichweite, erhöhter Feuerrate, erhöhter Letalität, erhöhter Zuverlässigkeit und höherer Überlebensfähigkeit bieten.
Das erste Bataillon soll 2023 – noch ohne Ladeautomat – mit ERCA ausgestattet sein, das zweite Bataillon 2024 dann inklusive jenem. Das soll der US- Army wieder die Möglichkeit einer Zielbekämpfung in der Tiefe des Raumes („Deep Strike”) ermöglichen, ohne ballistische Raketen oder Kampfflugzeuge. Derzeit hat die US Army insgesammt 975 M109A6 Paladin Selbstfahr-Haubitzen im Bestand, von denen 580 auf den Stand M109A7 hochgerüstet werden sollen.
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