Eine mögliche Ausweitung des Ukraine-Krieges und eine Konfrontation Russlands mit der EU, Störungen der Lieferketten und neue Migrationsströme – das sind nur drei der von der Direktion Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen des Verteidigungsministeriums heute im Raiffeisenforum in Wien präsentierten aktuell größten Risiken für Österreich.
In der begleitend zur Veranstaltung veröffentlichten Publikation „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen” wird das Risikobild Österreichs für die kommenden zwölf bis 18 Monate auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dargestellt und werden Ableitungen für die österreichische Verteidigungspolitik und das Österreichische Bundesheer zur Diskussion gestellt.
Nach der Eröffnung von Gastgeber Generalmajor Erwin Hameseder, Milizbeauftragter des Österreichischen Bundesheers und Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes, sprach Verteidigungsministerin Klaudia Tanner eine Keynote zum Thema. „Wir müssen in der Ukraine, im Nahen Osten und anderswo tagtäglich Dinge erleben, die wir uns so bis vor Kurzem noch nicht vorstellen konnten. Wir haben es lange Zeit für selbstverständlich gehalten, dass es auf unserem Kontinent keinen Krieg mehr geben kann und die militärische Landesverteidigung daher nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen hat. Die jüngsten Entwicklungen haben aber dazu geführt, dass wir nun anders denken müssen und dass wir nun auch in Österreich eine ,Zeitenwende’ eingeleitet haben, mit Investitionen von mehr als 18 Milliarden Euro alleine bis 2027.”
„Auch wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann müssen wir das nicht auch tun und ich bin überzeugt davon, dass der Schüssel zu mehr Sicherheit neben der stärkung der eigenen verteidigungsfähigkeit in mehr Zusammenarbeit liegt.“
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner
Ministerin Klaudia Tanner weiter: „Wir müssen erkennen, dass wir auf europäischer Ebene die Investitionen hochfahren müssen und dass der Strategische Kompass kein Papiertiger bleiben darf. Wir alle müssen unseren Beitrag leisten und dazu gehört auch, unsere eigenen Verteidigungsfähigkeiten zu stärken. Die Entwicklungen in der Ukraine zeigen auf vielen Ebenen, wo es den Hebel anzusetzen gilt – alleine schon wenn wir auf die Luftverteidigung blicken, die wir auf allen Ebenen aufbauen und stärken müssen.” Tanner abschließend: „Auch wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann müssen wir das nicht auch tun und ich bin überzeugt davon, dass der Schüssel zu mehr Sicherheit neben der Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit in mehr Zusammenarbeit liegt.”
Anschließend folgte die Vorstellung des Risikobilds 2024 durch Generalmajor Peter Vorhofer, Leiter der Direktion Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen (-> Interview in Militär Aktuell). „In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, in unserem Risikobild viele Vorhersagen zu treffen – und wir sind sicher, dass uns das auch heuer wieder gelingen wird.” Vorhofer schloss daran einen Ausblick auf das nächste Jahr an: „Die Zahl der Kriege wird weiter steigen, weil der Krieg als Mittel der Politik zurück ist und immer mehr Mächte ihre Interessen auch militärisch vertreten und durchzusetzen versuchen.”
„Die Zahl der Kriege wird weiter steigen, weil der Krieg als Mittel der Politik zurück ist und immer mehr Mächte ihre Interessen auch militärisch vertreten und durchzusetzen versuchen.“
Generalmajor Peter Vorhofer
Die von Vorhofer abgeleiteten größten Risiken für Österreich sind:
- militärische Konflikte mit Auswirkungen auf Österreich,
- eine mögliche Konfrontation von Russland und der EU,
- eine eingeschränkte Strategiefähigkeit sowie
- Störungen der Lieferketten.
- Weitere Risiken bestehen in Migrationsströmen nach Österreich und in Richtung der EU,
- in Informations- und Desinformationskampagnen internationaler Akteure (Generalmajor Vorhofer: „Es war noch nie so billig und noch nie so leicht, synthetische Inhalte zu kreieren und damit demokratische Länder und Strukturen zu unterminieren.”),
- in Cyberangriffen und dem Kampf in Computernetzwerken,
- sowie in der Schwächung der europäischen Integration durch gezielte Angriffe und Zwangsausübung von externen Akteuren.
Die Effekte daraus „sind für uns alle schon spürbar”, so Vorhofer, der seine Aussage mit einigen Beispielen unterstrich: „Auf der ganzen Welt wird aufgerüstet, die Funktion großer internationaler Organisationen in der Konfliktsicherung wird immer weiter zurückgedrängt und zudem steht der westliche liberal-demokratische Ansatz vor allem im ,globalen Süden’ zunehmend unter Druck.” Die einzige Schlussfolgerung, um Österreich fit für zukünftige Herausforderungen zu machen und die Resilienz des Landes zu stärken, könne laut Vorhofer nur in einer adäquaten Vorbereitung liegen. „Darauf muss nun der volle Fokus liegen.”
In einem Panel sprachen anschließend Ukraine-Russland-Experte Gerhard Mangott, Afrika-Expertin Antonia Witt vom Leibnitz Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Westbalkan-Expertin Marie-Janine Calic von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Günther Barnet,
von der Generaldirektion Verteidigungspolitik, und Generalmajor Günter Hofbauer, der Planungschef des Bundesheeres, über die jüngsten geo- und sicherheitspolitischen Entwicklungen, Kriege der Zukunft und militärstrategische Ableitungen daraus.Die wichtigsten Aussagen der Panel-Teilnehmer:
- Gerhard Mangott: „Russland ist in der Lage, den Krieg lange zu führen und zu finanzieren. Wir werden im März die Krönung von Wladimir Putin zum neuen und alten Präsidenten Russlands sehen und ganz wesentlich für die weitere Entwicklung des Krieges in der Ukraine wird sein, wie sich die Hilfs- und Unterstützungspakete und die Finanz- und MIlitärhilfen des Westens weiter entwickeln. Ob diese Pakete kommen oder nicht, wird mitentscheidend für die weitere Entwicklung des Krieges sein.”
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Marie-Janine Calic: „Es deutet alles darauf hin, dass die Konflikte und Spannungen am Westbalkan anhalten werden – einen großen Krieg halte ich allerdings für unwahrscheinlich. Keiner der Akteure vor Ort kann ein Interesse an einer Eskalation haben, auch Serbien nicht, dass sich aktuell mit der EU in Beitrittsverhandlungen befindet und diese Option wohl nicht riskieren möchte.”
- Antonia Witt: „Wir sehen im Unterschied zu früher aktuell keine laufenden Friedensbemühungen und -gespräche am Kontinent. Gerade in der Sahel-Zone und im Sudan ist mit einer weiteren Eskalation der aktuellen Situation und von Gewaltkonflikten zu rechnen.”
- Günther Barnet: „Das kritischste Entwicklungsszenario sehe ich aktuell in einer kompletten Destabilisierung Nordjordaniens. Wenn das gelingt, gibt es eine Landverbindung zwischen dem Iran und der Westbank und könnten über diese Verbindung Waffen im großen Sti geschmuggelt werden, was für Israel unter dem Strich eine ungleich größere Herausforderung sein wird und auch andere Aktuere wie die Hisbollah verstärkt auf den Plan rufen dürfte.”
- Generalmajor Bruno Hofbauer: „Wir werden uns als Bundesheer 180 Grad umorientieren müssen, um das Bundesheer kriegsfähig zu machen. Dafür braucht es Zeit, Geld und Personal – wir müssen die Kampfkraft herstellen, die Durchhalte- und Einsatzfähigkeit stärken und auch die notwendig Führung sicherstellen. Wir müssen uns vorbereiten und es muss klar sein, dass dort, wo Militär drauf steht, auch Militär drinnen sein muss. Das erwartet sich die Politik und auch die Gesellschaft.”
Arnold Kammel, Generalsekretär im Verteidigungsministerium, zog abschließend drei wichtige Schlussfolgerungen mit sicherheits- und verteidigungspolitischen Ableitungen für Österreich und das Bundesheer.
„Wir müssen erstens strategiefähiger werden und diese Strategie auch entsprechend leben und umsetzen. Dafür müssen wir uns aber die Frage stellen, wo unsere Abhängigkeiten sind und wie wir diese reduzieren können”, so Kammel. „Zweitens müssen wir unsere militärischen Hausaufgaben machen, um militärisch handlungs- und einsatzfähig zu sein. Und abschließend müssen wir drittens auch die geistige Landesverteidigung stärken, um all das, was wir heute erwähnt und andiskutiert haben, auch nachhaltig mit Inhalt zu hinterlegen.”
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