2019 hat die Hirtenberger-Gruppe ihre Rüstungssparte Hirtenberger Defence an das ungarische Staatsunternehmen HDT Defence Industries verkauft. Was hat sich dadurch geändert? Welche neuen Chancen bieten sich und welche Zukunftsthemen beschäftigen das Unternehmen? Ein Gespräch mit Geschäftsführer Carsten Barth.
Herr Barth, 2019 wurde die Defence-Sparte von Hirtenberger verkauft. Inwiefern hatte dieser Eigentümerwechsel Auswirkungen auf das Tagesgeschäft?
Fast keine. Wir wurden in keine Konzernstrukturen eingegliedert, es gab keine Umstrukturierungen oder Personalwechsel, wir operieren eigenständig und eigenverantwortlich immer noch von Österreich aus und unser Geschäftsfeld ist immer noch das gleiche. Für die Zukunft erhoffen wir uns von dem Eigentümerwechsel aber natürlich positive Impulse für unsere Weiterentwicklung. Dahingehend wäre in den vergangenen Monaten bereits einiges geplant gewesen, aufgrund der Coronasituation sind wir da aber noch nicht so weit, wie wir gerne wären.
Mit dem neuen Eigentümer müssten sich doch auch auf dem ungarischen Markt Möglichkeiten ergeben, oder?
Definitiv. Wir haben dort nun ein ganz anderes Standing und natürlich hoffen wir, dass sich im Rahmen des von Ungarn massiv vorangetriebenen Modernisierungs- und Erneuerungsprogramms auch für uns Absatzchancen ergeben. Ich gehe davon aus, dass wir dort mittel- bis langfristig auch Produktions- und Fertigungsfähigkeiten aufbauen werden und ich bin zuversichtlich, dass sich durch die starke Positionierung Ungarns in der NATO auch darüber hinaus Synergien und Chancen für uns ergeben.
Wie sieht die aktuelle Auftragslage von Hirtenberger Defence aus?
Für dieses, nächstes und übernächstes Jahr sehr gut. Die Schwierigkeit liegt aktuell eher bei der Abarbeitung. Coronabedingt ist die Durchführung beispielsweise von Abnahmeschießen schwer, dadurch kommt es leider zum Teil zu ungeplanten Verzögerungen und Verschiebungen.
Zuletzt konnte ihr Unternehmen einen Auftrag der französischen Streitkräfte über 120 Kommandomörser M6 C-640 Mk1 sowie 18.000 Patronen 60-mm-Munition an Land ziehen (Militär Aktuell berichtete). Welche anderen Vertragsabschlüsse gab es in den vergangenen Monaten?
Es laufen derzeit einige große Ausschreibungen, etwa in Deutschland (Anm.: Dort geht es um die geplante Beschaffung von rund 160 Mörsersystemen und 25.000 Patronen als Erstausstattung im Kaliber 60 mm), aber auch in anderen Ländern. Aus Neuseeland haben wir einen Auftrag für die kompletten 81-mm-Mörser bekommen, für die Bundeswehr bereiten wir in den kommenden Jahren die komplette 120-mm-Mörser-Munition auf, in Großbritannien liefern wir Munition und auch an das Bundesheer haben wir 120-mm-Leuchtmunition geliefert. Der spannendste Auftrag ist aber wohl der aus Frankreich, den Sie angesprochen haben.
Inwiefern?
Dort geht es nicht nur um eine Munitions- und Waffenlieferung, sondern darum, das System weiterzuentwickeln (für den M6 C-640 Mk1 soll unter anderem ein leichtes „Behelfs-Zweibein” entwickelt werden) und es zu digitalisieren inklusive Qualifikation und Einführung. Das etabliert uns dort in einer Dimension, die sehr langfristig angelegt ist.
Stichwort Digitalisierung: Inwiefern ist das bei Mörsern bereits ein Thema?
Das ist eines unserer großen Zukunftsthemen, damit erlauben wir dem Kunden schließlich die Einbindung des Mörsers in seine digitale Umgebung oder in Battlemanagement-Systeme. Außerdem steigt damit das Einsatzspektrum für Kommandomörser, weil damit auch indirekt geschossen werden kann. Mit unserer „Mortar Digital Aiming Solution” (kurz MDAS) haben wir der Schweizer Armee ein digitales Richtmittel für 81-mm-Mörser verkauft, mit dem das Einrichten und Zielen unabhängig von Richtkreisen sowie Periskopen und auch ohne GPS-Daten möglich ist. Etwas Vergleichbares gibt es von keinem anderen Anbieter und da bemerken wir auch von existierenden und neuen Kunden großes Interesse. Das Produkt ist fertig, für die gesamte Flotte unserer 81er-und 120er-Werfer verfügbar und Mitte des kommenden Jahres werden wir dann die Serienfertigung starten.
Was sind weitere Zukunftsthemen?
Im Zuge der Digitalisierung sehen wir auch im Trainings- und Simulationsbereich Möglichkeiten. Wir entwickeln dafür gerade eine eigene App, mit der wir unseren Kunden nicht nur das tägliche Üben, sondern auch die Vorbereitung auf spezielle Situationen und konkrete Einsätze erleichtern. Mit dem GRAM (Anm.: Grid Aiming Mode, digitales Richtmittel für Kommandomörser) haben wir außerdem eine Technologie entwickelt, mit deren Hilfe Kommandomörser schneller, präziser und auch indirekt zum Einsatz kommen können. Dieses elektronische Richtmittel ist auch auf älteren Systemen nachrüstbar. Ein weiteres Thema ist die Leistungssteigerung der HE-Munition …
Da geht es um mehr Sprengkraft und Leistung?
Genau. Das ist von Kundenseite gewünscht, auch aus logistischen Gründen. Wenn ich mit weniger Munitionseinsatz die gleiche Wirkung erzielen kann, werden Ressourcen für andere Themen frei. Mit unserer Confrag-Technologie haben wir diesbezüglich aber sehr gute Argumente. Immer mehr zum Thema werden zudem fahrzeuggestützte Werfer mit größerem Kaliber.
Wie die von Hirtenberger gemeinsam mit ST Engineering vertriebenen semiautomatischen 120-mm-Granatwerfer (SRAMS)?
Ja. Dänemark führt gerade ein ähnliches israelisches System auf seinen Piranha-Fahrzeugen ein, die Franzosen sind ebenfalls dabei und wir sehen auch in vielen anderen Ländern Potenzial. Der Vorteil ist, dass sich SRAMS in vorhandene – auch hochgeländegängige – Fahrzeuge einrüsten lassen und damit eine gute und kostengünstige Alternative zu selbstfahrender Artillerie darstellen.
Welche Zukunftschancen geben Sie der Mörserei generell?
Sehr große. Das indirekte Feuer wurde in den vergangenen Jahren beinahe stiefmütterlich behandelt, da besteht angesichts der aktuellen Bedrohungslage insbesondere bei NATO-Ländern, aber auch in Asien und Nordamerika großer Nachholbedarf – und zwar auf Artillerie- und auch Mörserseite. Der Stellenwert der Mörserei wird damit sicher steigen.
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