Am 20. Jänner lädt die Plattform „Wehrhaftes Österreich” unter dem Motto „70 Jahre Bundesheer: Gestern. Heute. Morgen.” bereits zum zwölften Mal zum Tag der Wehrpflicht ein (-> Rückblick auf den Tag der Wehrpflicht 2024). Im Vorfeld sprachen wir mit Brigadier Erich Cibulka, Präsident der Offiziersgesellschaft und Vorsitzender des Dachverbands der wehrpolitischen Vereine Österreichs, über die zentrale Bedeutung der Wehrpflicht für das Österreichische Bundesheer – und die Rückkehr zum Militärdienst in anderen Ländern. 

Herr Brigadier, warum braucht es den Tag der Wehrpflicht?
Mit dem Tag der Wehrplicht erinnern wir an die Volksbefragung im Jänner 2013, mit der damals in Österreich über die Beibehaltung der Wehrpflicht entschieden wurde. Bereits unmittelbar danach herrschte aber die Sorge, dass die Entscheidung nur eine Momentaufnahme darstellen könnte. Angesichts der Art und Weise, wie die Diskussionen rund um die Volksbefragung geführt wurden, schien nicht abgesichert, ob das, was wir unter Wehrpflicht verstehen, auch langfristig gesichert ist. Diese Befürchtungen haben sich dann auch rasch bewahrheitet. Man hat zwar den Grundwehrdienst behalten, aber nicht die Wehrpflicht.

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Wie meinen Sie das konkret?
Aus unserer Sicht umfasst die Wehrpflicht sowohl den Grundwehrdienst als auch verpflichtende Truppenübungen – ein Ziel, von dem wir derzeit jedoch weit entfernt sind. Um dies zu ändern, haben wir uns im Dachverband drei zentrale Ziele gesetzt, die alle auch in der Bundesverfassung verankert sind: Erstens den Erhalt und die Stärkung der Wehrpflicht, zweitens die Ausrichtung des Österreichischen Bundesheeres nach dem Prinzip eines Milizsystems und drittens die Wiederbelebung der Umfassenden Landesverteidigung. Wir sehen es als unsere Aufgabe, für diese drei Punkte einzutreten. Der Tag der Wehrpflicht ist eine konkrete Maßnahme, um diese Anliegen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

„Aus unserer Sicht umfasst die Wehrpflicht sowohl den Grundwehrdienst als auch verpflichtende Truppenübungen – ein Ziel, von dem wir derzeit jedoch weit entfernt sind.“

Die Volksbefragung über die Wehrpflicht erfolgte 2013, nur ein Jahr später annektierte Russland die Krim und im Februar 2022 begann die vollumfängliche Invasion der Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg). Seitdem überlegen viele Länder, die Wehrpflicht wiedereinzuführen oder haben diesen Schritt bereits gesetzt. Sehen Sie darin eine späte Bestätigung für den Ausgang der Volksbefragung in Österreich?
Durchaus. Vor allem auch, weil damals der Bevölkerung von vielen politischen und militärischen Entscheidungsträgern erzählt wurde, dass man unbedingt den internationalen Beispielen folgen müsse, man die Wehrpflicht ohnehin nicht mehr benötige. Im Fall der Fälle habe man eine zehnjährige Vorwarnzeit, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Diese Vorwarnzeit hätte damals einsetzen müssen, was aber nicht der Fall war. Im Gegenteil, folgte damals im Herbst 2014 – nur wenige Monate nach der Annexion der Krim – unter Verteidigungsminister Gerald Klug sogar der größte Kahlschlag in der Geschichte des Österreichischen Bundesheeres. Heute sind nicht nur die skandinavischen Länder zur Wehrpflicht zurückgekehrt, auch Deutschland überlegt intensiv (-> Deutsche wollen die Wehrpflicht zurück). Und dabei geht es nicht mehr nur um die Wehrpflicht für Männer, sondern für beide Geschlechter.

Baltische Verteidigungsminister: „Ukraine kämpft auch für uns“

Welche Rolle spielt die Wehrpflicht heute für die Sicherheit und Einsatzbereitschaft des Österreichischen Bundesheeres?
Ohne Wehrpflicht gibt es kein Bundesheer und keine Sicherheit. Die Bedeutung der Wehrpflicht kann also gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Allerdings möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass zur Wehrpflicht eben nicht nur der Grundwehrdienst gehört, sondern auch die verpflichtenden Milizübungen. Nur damit werden wir das Ziel von kampfbereiten Streitkräften erreichen können und warum man vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, des Ukraine-Krieges und des hybriden Krieges in ganz Europa diese nicht schon längst wieder eingeführt hat, entzieht sich meinem Verständnis. Die Schere zwischen militärischem Anspruch und Realität wird so mit jedem Tag größer, weil laufend mehr erfahrene Milizsoldaten aus Altersgründen ausscheiden als sich neue freiwillig verpflichten

„Hybride Kriegsführung findet über große Distanzen statt, und wir erleben täglich, dass dieser Krieg längst Realität ist und weiter eskaliert.“

Wie können wir in Österreich eine offene und realistische Debatte über die Wiedereinführung verpflichtender Milizübungen führen und dabei sicherstellen, dass die Maßnahme auch politisch und gesellschaftlich mitgetragen wird?
Mein Appell an die Politik lautet: Wir müssen geopolitische Entwicklungen realistisch betrachten und daraus ebenso realistische und ehrliche Konsequenzen ziehen. Im baltischen Raum werden solche Themen mit völliger Offenheit diskutiert. Dort akzeptiert man staatliche Maßnahmen, die möglicherweise den eigenen Wohlstand beeinträchtigen, aber die nationale Souveränität sichern. Hierzulande fehlt es nicht an Wissen oder Experten, die warnen – aber die Gefahr wird oft verharmlost, verbunden mit der Annahme, dass niemand bei uns einmarschieren wird, weil wir ja neutral sind. Dabei geht es nicht um physische Grenzverletzungen. Hybride Kriegsführung findet über große Distanzen statt, und wir erleben täglich, dass dieser Krieg längst Realität ist und weiter eskaliert. Der Schutz dagegen beginnt bei einem klaren Bewusstsein für diese Bedrohung – und eben mit der Wiedereinführung verpflichtender Milizübungen. In Fragen der Verteidigungspolitik täte uns ein rot-weiß-roter Schulterschluss über alle Parteigrenzen hinweg sehr gut.

Hier geht es zu weiteren Bundesheer-Meldungen und hier zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an”.

Quelle©Privat