Im ersten deutschen „TV-Triell” für die Bundestagswahl in der Aktuellen Stunde des WDR-Europaforums am 20. Mai (Bericht) war auch der frisch augeflammte Nahostkonflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern prominentes Thema. Moderatorin Ellen Ehni stellte eingangs an Angela Merkel’s Knesset-Statement „Die Sicherheit Israels ist Teil von Deutschlands Staatsräson” in den Raum.
Keiner der Teilnehmenden widersprach. SPD-Kandidat Olaf Scholz betonte, wie wichtig es sei, die Sicherheit Israels langfristig zu gewährleisten. „Wir haben natürlich auch ganz konkrete Verpflichtungen”, so der Finanzminister. Dazu gehörten eben auch Waffenlieferungen an Israel, ohne deren Art genau anzusprechen. CDU-Kandidat Armin Laschet betonte in diesem Zusammenhang, dass die EU in dem seit 1948 existierenden Konflikt eine Zwei-Staaten-Lösung anstrebe, die zwar Gespräche mit Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas einschließe, direkte Gespräche mit der Hamas jedoch nicht. Was Deutschland betrifft, so „steht eine historische Verantwortung was die Verteidigungsfähigkeit Israels betrifft, außer Frage.”
„Nicht diese Atom-Boote”
Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock sieht zuvorderst indirekte Kontakte als wichtigen Teil der Diplomatie. „Es muss eine Telefondiplomatie über andere Länder geben, die Einfluss auf die Hamas haben”, so Baerbock. Rüstungsexporte nach Israel schließt sie – im Gegensatz zu Aussagen aus 2018 (siehe Video weiter unten) – in Zukunft explizit nicht aus, „vorausgesetzt es handelt sich nicht um diese Atom-Boote”, wie Frau Baerbock sie während der Sendung mehrmals begrifflich einordnete. Nach viel fachlicher Kritik zu ihren früheren Aussagen und Formulierungen beispielsweise zur Energiepolitik, ist auch in diesem durchaus sensitiven Bereich wenig Sattelfestigkeit gepaart mit mangelnder Festlegung erkennbar. Denn die Bundesrepblik Deutschland und deutsche Hersteller stellen gar keine Atom-Boote her, sondern die – hoch nachgefragten und wahrscheinlich weltweit leistungsfähigsten – dieselelektrischen U-Boote in Kombination mit außenluftunabhängigem Brennstoffzellen-Antrieb (AIP). Was Israel betrifft, sind das die sogenannte „Dolphin”- und „Dolphin-II”-Serien, Sonderanfertigungen der Modelle 212 sowie 212A von Thyssen-Krupp Marine-Systems (ehemalige Howaldtswerke Deutsche Werft/HDW).
Abseits jener – aber keineswegs nur bei Frau Baerbock – oft schmerzhaften Unkenntnis militärrelevanter Themen ist dessen Hochkommen im angehenden deutschen Bundestagswahlkampf aber ein guter Zeitpunkt, sich dessen Status näher anzusehen. Immerhin geht es um eine halbe Milliarde Euro pro Boot (Angaben zum ersten Los von drei aus 2006), wovon die deutsche Bundesregierung nicht dementiert die ersten beiden plus 135 Millionen des dritten übernommen zu haben. In Folge waren es sechs Boote, die letzten drei als „Dolphin-II” mit Brennstoffzellen-Antrieb, ausgeliefert beziehungsweise übernommen mit der INS „Tanin” ab Juni 2014. Jenes und INS „Rahav” wurden (die Kosten laut Janes Defence von rund 1,04 Milliarden Euro wurden wieder zu einem Drittel von Berlin getragen) je zur Hälfte von den TKMS-Werften in Kiel und Emden gebaut. Nordseewerke in Emden lieferten die Hecksektionen, Bug und Turm entstanden bei HDW in Gaarden. Mit einer Reichweite von 4.500 Kilometer (Statement zu Militär Aktuell in Eckernförde: „Wahre Begrenzung ist heute der gebunkerte Lebensmittelvorrat”) sind es die größten Ihrer Art, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurden. (Vergleich: Das größte und letzte U-Boot aus dem Krieg ist in Bremerhaven zu besuchen: Typ XXI).
Diese U-Boote aus Deutschland können zu ihren Torpedos mit konventionell bestückten, als vermutlich auch – vielleicht hatte Frau Baerbock das gemeint – mit nuklearen „Popeye”-Marschflugkörpern ausgerüstet werden. Jene sollen von den untersten vier (von zehn) Torpedorohren gestartet werden, die mit 650 Millimeter einen größeren Durchmesser als die seit Jahrzehnten in West und Ost üblichen von 533 Millimeter aufweisen (sollen). 2002 soll das vor Sri Lanka (mit Indien) getestet worden sein, es gibt dazu aber keinerlei offizielle Bestätigung oder Kommentar aus Berlin oder Tel Aviv. Ebenso ob diese Fähigkeit eine spätere „Umrüstung” ist oder von Anfang an werftseitig so gebaut wurde. Während Israel überhaupt dementiert Atomwaffen zu besitzen, werden in Europa (beispielsweise von SIPRI) für Israel aber rund 90 Kernwaffen beziehungsweise Gefechtsköpfe angenommen. Mindestens ein israelisches U-Boot dürfte jedenfalls fast ständig im Mittelmeer aber auch im Persischen Golf kreuzen, in erster Linie als Abschreckung gegen den Iran. Mit von getaucht gestarteten Marschflugkörpern könn(t)en zum Beispiel Luftabwehrsysteme aber auch Atomanlagen ausgeschaltet werden. Aber auch vor feindlichen Küsten über längere Zeit mittels der ausgefeilten visuellen, Abhör- und Aufzeichnungssensoren an den diversen Masten (von ELBIT und ATLAS-Elektronik) der eigenen polit-/militärischen Führung wertvolle Lagebild-Informationen zur Verfügung gestellt werden. Zudem transportieren die Boote die Spezialeinsatzkräfte der Marinekommandoeinheit der „Flotille 13”, besser bekannt als „Shayetet”.
- Premierminister Benjamin Netanjahu bedankte sich damals 2012 in einem Brief persönlich bei Kanzlerin Angela Merkel: „Liebe Angela, ich möchte Dir persönlich und im Namen der israelischen Regierung dafür danken, dass Du der Lieferung eines weiteren U-Boots zugestimmt hast. Diese U-Boote helfen Israel, unser immenses Bedürfnis an Verteidigung in diesen turbulenten Zeiten zu gewährleisten. Die deutsche Rüstungslieferung wird auf großartige Weise und langfristig zur Sicherheit des jüdischen Staates beitragen.”
- Ein israelischer U-Boot-Kommandant sagte ein Jahr später der britischen Sunday Times: „Wir sind eine Unterwasser-Angriffseinheit. Wir operieren weit entfernt von den Grenzen unseres eigenen Landes. Mit der 1.500-Kilometer-Reichweite unserer U-Boot-Marschflugkörper können wir jedes Ziel im Iran treffen.”
- Israels ehemaliger Verteidigungsminister Ehud Barak sagte im israelischen TV anlässlich der Unterschrift für das sechste Boot im April 2012 (es erreichte Israel 2017): „Die Beschaffung der deutschen U-Boote stärkt die israelische Marine, die immer mehr eine Schlüsselrolle dabei spielt, regionalen Herausforderungen zu begegnen. In den letzten Jahren machten wir unsere Marine zur Speerspitze, zum langen Arm des israelischen Militärs.”
- Generalmajor Ram Rothberg, als Oberste Befehlshaber der israelischen Marine, zeigte sich 2013 erfreut und weist auf eine lange Beziehung hin: „Aus strategischer Sicht freue ich mich über die Vereinbarung über das sechste U-Boot für die Streitkräfte, 54 Jahre, nachdem wir das erste U-Boot erworben haben. 2011 feierten wir den 100. U-Bootfahrer-Lehrgang.”
Zu viele U-Boote?
Mittlerweile geht es bereits um den Ersatz der drei ersten deutschen „Dolphin”-Boote (ohne Brennstoffzellen-Antrieb) INS „Dolphin”, „Leviathan” und „Tekumah”, in Dienst gestellt zwischen Juli 1999 und Juli 2000, stationiert in Haifa und in Israel kampfwertgesteigert ab 2010. Am 26. Oktober 2016 fasste das israelische Kabinett laut Presseberichten den Beschluss, drei weitere U-Boote zu beschaffen. Es soll sich um weiterentwickelte „Super Dolphin”-Boote handeln, in die modernste, im kommenden Jahrzehnt verfügbare Technologie sowie KI integriert wird. Im folgenden Monat haben dann Israel und Deutschland ein Rahmenabkommen dazu unerzeichnet, die Boote sollen bis 2027 als Ersatz für die ersten drei ausgeliefert werden (siehe hier, zum 17. Dezember 2016 gehen).
Und das, obwohl das israelische Militär die Notwendigkeit von so vielen U-Booten stets bestritten und die steigenden Wartungskosten beklagt hat. Ein in Israel erhobener Vorwurf lautet, Netanyahu habe bereits das sechste U-Boot (INS „Dragoon”) in Deutschland bestellt, obwohl ihn Experten informierten, dass fünf für ausreichend erachtet werden. „Der periphere Nutzen eines sechsten U-Boots rechtfertigt nicht angemessen die enormen Kosten des Betriebs”, schreibt Netanyahus damaliger Vizepremierminister Mosche Jaalon in einer eidesstattlichen Aussage. Heute gilt es in Israel als erwiesen, dass TKMS im Umfeld Netanjahus „Überzeugungsarbeit” über seinen Vertriebspartner Miki Ganor in Millionenhöhe leistete, um ihn zum Kauf der vom deutschen Staat weiterhin subventionierten U-Boote zu bewegen. In Israel sorgten die U-Boot-Geschäfte in den vergangenen Jahren für eine Staatsaffäre, der Verdacht der Korruption steht im Raum. Hat ein Vertriebspartner von TKMS Amtsträger in Israel bestochen, damit diese sich für den Kauf immer weiterer Boote einsetzten? Was wusste Israels Premier Benjamin Netanyahu? Schließlich sind einige der Akteure in seinem direkten Umfeld zu finden: Herrn Ganor‘s Rechtsberater David Schimron ist solcher auch für Premierministers Netanyahu und ist auch dessen Cousin.
Man könnte es in Summe auch so sehen: Was als Handeln aus historisch-moralischer Verantwortungsübernahme für den Holocaust präsentiert wurde und bis heute – siehe eingangs – staatstragend bekundet wird, diente ansteigend auch den wirtschaftlichen Interessen deutscher Rüstungskonzerne (welche in Deutschland insgesamt ein weit schwächeres Standing genießen als etwa in Frankreich oder England) sowie innenpolitischen Akteuren in Israel. In Deutschland blieb es ob der Aufregung in Israel hingegen juristisch ruhig. Die zuständige Staatsanwaltschaft Bochum sah „keine Anhaltspunkte für Straftaten bei Mitarbeitern von TKMS, beziehungsweise keine Anhaltspunkte für die Beteiligung deutscher Staatsbürger oder Taten auf deutschem Grund”. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, das die Behörde lange Zeit gegen „unbekannt” führte, wurde Anfang dieses Jahres eingestellt.
Hier geht es zu weiterführenden Informationen (inklusive einem Video) rund um Israels potenzielle Atomwaffen.