Das Research Center Pharmaceutical Engineering (RCPE GmbH) in Graz arbeitet an einem Konzept, das Europa unabhängiger von globalen Lieferketten machen soll. Im Gespräch erklärt Caroline Schober, Chief Strategy Development and Communications Officer, die Idee der Notfallproduktion von Medikamenten – und welche Rolle dabei Politik und das Bundesheer spielen.
Frau Schober, was genau ist das RCPE und woran arbeiten Sie?
Das RCPE ist eine Non-Profit-GmbH im Eigentum der Technischen Universität Graz, der Universität Graz und Joanneum Research. Wir sind ein sogenanntes K1-Kompetenzzentrum, das von Bund und Land über die FFG beziehungsweise SFG gefördert wird aber hauptsächlich mit Unternehmenspartnern zusammenarbeitet. Wir entwickeln keine neuen Wirkstoffe, sondern kümmern uns um den Schritt danach: Wie ein Wirkstoff in eine funktionierende Darreichungsform – etwa Tablette, Flüssigkeit oder Inhalator – gebracht wird. Wir befassen uns sowohl mit der Formulierung als auch mit der dafür nötigen Prozesstechnik und den Produktionsverfahren.
Welches zentrale Problem adressiert das Projekt „Notfallproduktion”?
Das Ziel ist, für Krisensituationen – etwa Pandemien oder Versorgungsengpässe – eine autarke Produktion von Medikamenten zu ermöglichen, eine Forschungs-Pilotanlage besteht bereits. Auf kleinem Raum könnte sogar unterirdisch produziert werden. Wir konzentrieren uns auf zwei technologische Ansätze: Erstens die langfristige Lagerung von Wirkstoffen in sogenannten „Smart Storage Containern”, die den Wirkstoff über Jahrzehnte stabil halten. Zweitens die sogenannte „Continuous Manufacturing”-Technologie – eine kontinuierliche Produktion, die flexibel hochgefahren werden kann, wenn Bedarf besteht. Damit lassen sich in relativ kleinen, energieeffizienten Anlagen binnen weniger Wochen Millionen Tabletten herstellen.
Warum ist eine solche Notfallproduktion überhaupt notwendig?
Europa ist bei Wirkstoffen stark von Asien abhängig. Rund 70 Prozent der Wirkstoffe stammen aus China oder Indien, die Grundstoffe sogar zu etwa 80 Prozent. Schon in normalen Zeiten kommt es regelmäßig zu Lieferausfällen, derzeit fehlen allein in Österreich jedes Jahr rund 500 Medikamente. Gerade bei lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika, Schmerzmittel und Blutdruckpräparate führt das zu chronischen Engpässen – eine Situation, die sich in Krisen dramatisch verschärft. Gleichzeitig fehlen rechtliche und organisatorische Grundlagen, um im Notfall schnell zu reagieren – etwa bei Zulassungen, Verpackungsregeln oder der Nutzung gemeinsamer europäischer Vorräte.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung?
Die Notfallproduktion muss technisch, personell und rechtlich professionell vorbereitet sein. Es geht nicht nur um Technik, sondern auch um Zuständigkeiten und Strukturen. Eine solche Anlage muss unter „Good Manufacturing Practice”-Bedingungen (GMP) betrieben werden, also unter den sehr hohen Standards der Medikamentenproduktion. Dafür braucht es geschultes Personal und die „Vorab-Zulassung” der Produktion jeder Arznei im Voraus. Auch die Frage, wem eine solche Anlage gehört, ist entscheidend: Damit sie im Ernstfall auch wirklich sofort verfügbar ist, müsste sie in öffentlicher Hand betrieben werden – alles andere wäre zu riskant. Politisch gilt es außerdem zu klären, wann überhaupt ein „Notfall” vorliegt und wer über den Start entscheidet. Nicht zuletzt: Selbst eine kompakte Anlage von etwa 400 Quadratmetern Fläche benötigt stabile Stromversorgung, Wasser und Luftreinheit. In einem Blackout‑Szenario müsste ein Notstromaggregat vorhanden sein, das die sensiblen Prozessparameter exakt hält.
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Welche Rolle könnte das Bundesheer dabei spielen?
Das Bundesheer verfügt über Erfahrung in Logistik, Infrastruktur und Szenarienplanung. Es wäre daher ein logischer Partner – nicht notgedrungen für die Produktion selbst, aber für Gebäude, Logistik, Organisation, Sicherung und gegebenenfalls Schutz der Anlagen. Das militärische Denken in Szenarien und Redundanzen entspricht genau dem, was in der zivilen Medikamentenversorgung bisher fehlt. Wir erleben in der Landesverteidigung das größte Verständnis dafür, dass man Systeme aufbauen und betriebsbereit halten muss, bevor sie gebraucht werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Aktuell geht es darum, Bewusstsein zu schaffen – für die bestehende Versorgungslücke und die technischen Lösungen, die es bereits gibt. Das Konzept ist patentiert, Prototypen existieren, und das Interesse wächst – auch international. Nun braucht es politische Entscheidungen, um aus Forschung Realität werden zu lassen. Denn bis eine betriebsbereite Anlage Tabletten produziert, vergehen mindestens drei Jahre. Der beste Zeitpunkt zum Handeln ist also jetzt.








