Wenn Quantencomputer Verschlüsselung brechen, Energie zur Waffe wird und Genetik zur strategischen Ressource. Ein Gespräch mit Technologieanalyst Michael Lauster über die Zukunft der Verteidigung.

Michael Lauster nach seiner Rede bei den Tech Days von Panasonic. ©Militär Aktuell/bqu
Michael Lauster ist Leiter des Lehrstuhls für Technologieanalysen und -vorausschau an der RWTH Aachen sowie Direktor des Fraunhofer‑Institut für Naturwissenschaftlich‑Technische Trendanalysen (INT). Seine Arbeit fokussiert sich auf die methodische Vorbereitung auf technologische Entwicklungen und Zukunftsperspektiven; mit dem Anspruch, dass „Zukunftswissen Gegenwartswissen” ist.

Beim Branchenevent „Panasonic Presents Defence Tech Days” in Ottobrunn bei München sprach Professor Michael Lauster, Leiter des Lehrstuhls für Technologieanalysen und -vorausschau an der RWTH Aachen und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT), über neue Technologien und KI im Sicherheitsbereich.

Nach seiner Keynote nahm er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Militär Aktuell. Warum künftige Kriege längst im digitalen Raum begonnen haben, wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologien das Denken in der Verteidigung verändern und weshalb der Mensch selbst zur nächsten Schnittstelle zwischen Technik und Krieg werden könnte.

Herr Professor Lauster, Sie sprachen von der „Wehrtechnik der Zukunft”. Wie weit in die Zukunft blicken Sie dabei eigentlich?
Ich denke an die Mitte dieses Jahrhunderts, etwa an die Jahre zwischen 2040 und 2050. In dieser Zeit werden viele der Technologien, über die wir heute sprechen, tatsächlich Realität sein. Aber die sicherheitspolitische Lage zwingt uns, schon jetzt handlungsfähig zu werden. Die bisherigen Prozesse sind für das Tempo, das wir heute brauchen, schlicht zu langsam.

„Vom politischen Beschluss bis zum ersten System vergehen meist rund zwölf Jahre. Bis ein System dann voll einsatzfähig ist, vergehen oft zwei Jahrzehnte.“

Warum dauert es so lange, bis neue Technologien tatsächlich in der Truppe ankommen?
Weil der gesamte Prozess extrem träge ist. Vom politischen Beschluss bis zum ersten System vergehen meist rund zwölf Jahre. Bis ein System dann voll einsatzfähig ist, also mit Ausbildung, Ersatzteilen und Logistik, vergehen oft zwei Jahrzehnte. Die Ursachen sind vielfältig. Aufgrund der langen Entwicklungs- und Beschaffungszeiten werden häufig Änderungen der Anforderungen notwendig. Das kostet Zeit und Geld. Gleichzeitig handelt die Industrie nach betriebswirtschaftlichen Regeln, um die langen Zeiten zwischen den einzelnen Beschaffungsvorgängen zu überbrücken und Auslastungsspitzen und -täler auszugleichen. Für Unternehmen ist das sinnvoll, militärisch ist es in der heutigen Zeit verheerend.

Sie fordern ein Denken in Systemen. Was bedeutet das konkret für die Streitkräfte?
Es geht darum, dass alle Komponenten zusammenwirken. Sensoren, Waffen, Fahrzeuge, Kommunikation – alles muss aufeinander abgestimmt sein. Nicht das einzelne Waffensystem ist entscheidend, sondern das Zusammenspiel aller Komponenten des Systems. Also Streitkräfte als einheitliches Ganzes.

Warum das All zum nächsten Konfliktfeld wird

Sie haben die Digitalisierung des Gefechtsfelds als eine wichtige Technologie dargestellt, die bereits lange in der Diskussion ist. Wo liegen die größten technischen Hürden auf dem Weg dahin?
Zum einen in der Entdeckbarkeit. Wer Daten sendet, macht sich im elektromagnetischen Spektrum bemerkbar. Zum anderen in der Bandbreite: Wenn zu viele Systeme gleichzeitig kommunizieren, ist das Netz schnell überlastet. Und schließlich in der Cybersicherheit. Man muss sich darauf verlassen können, dass die Informationen, die man bekommt, nicht unerwünscht verändert wurden. Künstliche Intelligenz kann helfen, Daten zu filtern und die Datenmenge auf das Wesentliche zu reduzieren. Aber sie wirft auch neue Fragen auf.

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Welche Fragen sind das?
Zum Beispiel, wie viel Entscheidungsmacht wir Maschinen geben wollen. Im militärischen Umfeld gilt das sogenannte OODA-Prinzip: Observe, Orient, Decide, Act. Wer diesen Zyklus am schnellsten durchläuft, gewinnt. KI kann das enorm beschleunigen. Aber je mehr Entscheidungen an Maschinen ausgelagert werden, desto weniger Zeit bleibt dem Menschen, sie zu überprüfen. Damit verschiebt sich der Zeitpunkt, an dem Verantwortung wahrgenommen werden kann. Und wir müssen uns fragen, ob wir das wollen und wie wir ethische Grenzen bereits während der Entwicklung überprüfbar in die Systeme einbauen.

Sie haben auch auf den enormen Energiebedarf solcher Systeme hingewiesen.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Eine moderne Grafikkarte, die für KI-Berechnungen eingesetzt wird, braucht fast ein Kilowatt Leistung. Wenn man solche Systeme massenhaft verwendet, entsteht ein gewaltiger Energiebedarf. Deshalb wird an energieeffizienten Prozessoren und Energieversorgungen gearbeitet. Dazu zählen etwa kleine modulare Reaktoren, die auf neuen Brennstoffkreisläufen wie Thorium-Salzen beruhen, um mobile Rechenzentren zu versorgen. Für kleine, intelligente Sensoren forscht man an Methoden des Energy Harvesting sowie neuen Konzepten für Batterien und Akkumulatoren.

 „Tabus werden brüchig, wenn die Technologie erst einmal da ist. Wenn etwas möglich ist, wird es irgendwann auch jemand anwenden.“

Ein weiteres Thema, das Sie angesprochen haben, sind Quantentechnologien. Warum sind die für die Sicherheitspolitik so bedeutend?
Weil sie bislang ungeahnte Möglichkeiten eröffnen und gleichzeitig große Gefahren bergen. Laser, die wohl bekanntesten Quantensysteme, sind inzwischen in vielfältigen Anwendungen – von der Kommunikation über Produktionswerkzeuge bis hin zu Waffen – eingeführt. Quantenkommunikation, also die sichere Übertragung von Kryptoschlüsseln, ist gerade auf dem Weg in die Anwendung. Quantensensoren werden uns die hochexakte Vermessung des Erdmagnetfelds und damit eine GPS-unabhängige Navigation ermöglichen. Verschränkte Photonen lassen uns um Hindernisse herum sehen und in Form von Qubits Berechnungen ausführen, die wir mit heutigen Computern nicht bewerkstelligen könnten.

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Und gleichzeitig bedrohen Quantencomputer bestehende Verschlüsselungen.
Das ist richtig. Die meisten Verschlüsselungsverfahren beruhen auf Berechnungen wie der Primzahlzerlegung sehr großer Zahlen. Klassische Computer, auch die schnellsten, benötigen so lange für solche Berechnungen, dass ein Entschlüsselungsversuch sinnlos ist. Für hinreichend leistungsfähige Quantencomputer sind derartige Probleme jedoch ein gefundenes Fressen – selbst die besten heute verfügbaren Verschlüsselungen wären in Sekundenbruchteilen geknackt. Es gibt inzwischen das Prinzip „Collect now, decrypt later”: Daten werden heute abgefangen und gespeichert, um sie in einigen Jahren mit Quantencomputern zu entschlüsseln. Wer glaubt, seine Kommunikation sei sicher, nur weil sie heute verschlüsselt ist, irrt. Wir müssen uns schon jetzt auf Verschlüsselungsverfahren vorbereiten, die auch gegenüber Quantenangriffen sicher sind, sogenannte post-quantenkryptographische Verfahren.

Sie definierten den Menschen selbst als Teil der technologischen Entwicklung. Sie sagten, dass der Mensch künftig zur nächsten Schnittstelle zwischen Technik und Krieg werden könnte. Wie ist das zu verstehen?
Wenn Technologien immer schneller werden, entsteht automatisch die Frage, ob der Mensch überhaupt noch mithalten kann. Man kann also darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, den Menschen selbst anzupassen. Ich spreche hier von drei Stufen: Anbauen, Einbauen und Umbauen.

 „Daten werden heute abgefangen und gespeichert, um sie in einigen Jahren mit Quantencomputern zu entschlüsseln.“

Was bedeuten diese drei Begriffe?
Anbauen beschreibt alle technischen Erweiterungen, die der Mensch tragen kann. Exoskelette, Nachtsichtgeräte, Kraftverstärker, Wearables – alles, was die Leistungsfähigkeit erhöht, aber abnehmbar ist. Aus juristischen und ethischen Gesichtspunkten erscheint mir dies noch am unproblematischsten. Unter Einbauen verstehe ich Technik oder Chemie, die direkt in den Körper eingebracht wird, etwa durch Implantate oder Medikamente, die Sinne erweitern oder die Konzentration steigern und Müdigkeit unterdrücken. Hier sind juristische und ethische Fragestellungen schon deutlich ausgeprägter. Und Umbauen betrifft schließlich Veränderungen des menschlichen Genoms selbst. Das ist sicher der tiefgreifendste und gefährlichste Schritt, weil er den Menschen selbst verändert und tiefgehende juristische, aber vor allem ethische Fragen aufwirft.

Ist das nicht reine Science-Fiction?
Leider nicht. Seit 2012 ist die Genschere CRISPR-Cas bekannt, die vergleichsweise einfach, preiswert und sicher genetische Veränderungen ermöglicht. Und wir wissen, dass solche Eingriffe bereits stattgefunden haben. 2018 hat ein chinesischer Forscher ein Zwillingspaar angeblich so verändert, dass sie gegen HIV immun sein sollen. Das wurde weltweit kritisiert, aber es zeigt, dass Tabus brüchig werden, wenn die Technologie erst einmal da ist. Wenn etwas möglich ist, wird es irgendwann auch jemand anwenden – ob wir das wollen oder nicht. Deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen.

©Militär Aktuell

Könnten genetisch veränderte Menschen als Waffe eingesetzt werden?
Theoretisch ja. Praktisch ist das ein ethisches Minenfeld. Klassische Biowaffen sind Viren oder Bakterien. Genetisch veränderte Menschen wären etwas völlig anderes. Das Völkerrecht kennt dafür noch keine Kategorie. Wir müssten neue rechtliche und moralische Grenzen definieren. Aber zuerst müssen wir überhaupt bereit sein, über das Thema offen zu sprechen.

Das führt eine Gesellschaft in ein Dilemma. Einerseits gilt es, sich moralisch zurückzuhalten, andererseits muss man vorbereitet sein.
Genau das ist das ethische Dilemma wehrtechnischer Forschung. Ethische und moralische Standards sind nicht zwingend allgemeinverbindlich. Auch wenn man selbst eine bestimmte Technologie nicht verwenden will, ist es notwendig, sich eine gewisse Beurteilungsfähigkeit im Hinblick darauf zu verschaffen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Aggressor sie einsetzt. Wir müssen also wissen, was möglich ist, um reagieren zu können, wenn andere diese Grenzen überschreiten. Das lässt sich nur durch entsprechende Forschung erreichen – heißt aber nicht, dass man deshalb die eigenen moralischen Standards aufgibt.

 „Auch wenn man eine Technologie nicht verwenden will, ist es notwendig, sich eine Beurteilungsfähigkeit im Hinblick darauf zu verschaffen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Aggressor sie einsetzt.“

Wenn man Ihnen zuhört, entsteht der Eindruck, dass der eigentliche Krieg gegen den sogenannten Westen längst begonnen hat. Nicht auf dem Gefechtsfeld, sondern in Laboren, Netzwerken und Köpfen.
Moderne Konflikte beginnen selten mit einem Schuss. Sie beginnen mit gezielter Vorbereitung in Form von Forschung, Entwicklung, Rüstung, aber auch mit Cyberangriffen, Desinformation und Sabotage. Ziel dieser hybriden Kriegsführung ist die Destabilisierung einer Gesellschaft. Und hier sind wir als offene Gesellschaften besonders verwundbar. Wir müssen lernen, unsere Gesellschaft als Ganzes resilient zu machen.

Was verstehen Sie unter Resilienz in diesem Zusammenhang?
Resiliente Systeme brechen nicht sofort vollständig zusammen, wenn eine krisenhafte Situation auftritt. Sie behalten zumindest in den lebenswichtigen Teilen ihre Funktion und können sich innerhalb bestimmter Grenzen wieder erholen. Ein Prinzip dabei ist Redundanz. In Zeiten des Kalten Krieges war das selbstverständlich. Heute gilt sie oft als ineffizient und wird aus Kostengründen gestrichen. Das rächt sich in Krisen. Resilienz heißt, vorbereitet zu sein, Alternativen zu haben und handlungsfähig zu bleiben, auch wenn etwas schiefgeht.

Worauf kommt es in den nächsten Jahren am meisten an?
Auf Klarheit und Konsequenz. Wir müssen begreifen, wie eng Technik, Sicherheit und Gesellschaft miteinander verwoben sind. Wir müssen schneller werden, aber gleichzeitig bewusster handeln. Und wir dürfen nicht verdrängen, was möglich ist. Andere nutzen diese Möglichkeiten vielleicht schon gegen uns.

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Quelle©Militär Aktuell/bqu; Pixabay