Um den vor etwas mehr als einem Jahr neu aufgeflammten Bürgerkrieg in Syrien auszutrocknen, wurde im Jänner eine neue maritime EU-Mission zur Überwachung und Durchsetzung des UN-Waffenembargos vereinbart. Ihr Ziel wird sie aber wohl nicht erreichen können.
Es ist noch gar nicht so lange her, da schien General Chalifa Haftar kurz vor der Einnahme von Tripolis zu stehen. Seine Truppen kämpften bereits in den Vororten der libyschen Hauptstadt, die international anerkannte „Regierung der Nationalen Übereinkunft” (GNA) stand kurz vor ihrem Zusammenbruch. Dann trat mit Ende des vergangenen Jahres die Türkei in den lybischen Bürgerkrieg ein und die Lage wandelte sich fundamental: Die von Russland unterstützte Libysche Nationalarmee (LNA) von Haftar wurde in die Defensive gedrängt und Anfang Juni musste sie mit Tarhuna ihren letzten Stützpunkt im Westen des Landes räumen. Schon zuvor hatte sie den strategisch wichtigen Fliegerhorst al-Watiyah in der Nähe der Grenze zu Tunesien an die GNA verloren.
Aus dem Bürgerkrieg wurde mit dem Eintritt der Türkei ein Stellvertreterkrieg, dessen Neubefüllung die neue EU Naval Force Mediterranean (EUNAVFOR MED) „Irini” eigentlich verhindern soll. Die EU will durch die im Jänner beschlossene Mission mithilfe von Luftüberwachung, Satelliten und maritime Komponenten einerseits gegen illegale Erdölausfuhren vorgehen und andererseits den Waffenschmuggel in Richtung Libyen weitgehend unterbinden. Tatsächlich kann die im April gestartete Mission das aber bestenfalls im Ansatz. Da die von der Türkei seit Monaten offen mit Waffen, militärischen Beratern und Ausbildnern sowie syrischen Söldnern unterstützte GNA den Großteil ihres Nachschubs über den Seeweg erhält, war Ankara an einer möglichst zahnlosen Ausgestaltung der Mission interessiert.
Als wäre es nicht schon unrealistisch genug, dass im Anlassfall NATO-Fregatten türkischen (ebenfalls NATO-)Fregatten gegenüberstehen könnten, welche türkische Roll-On/Roll-Off-Schiffe mit Kriegsgütern begleiten, die von „Irini“ eigentlich kontrolliert werden sollten, muss der jeweilige Flaggenstaat der Durchsuchung auch noch zustimmen. Da wird neben Ankara wohl auch das ebenfalls auf der GNA-Seite von Premier al-Sarraj stehende Emirat Katar kaum eine Zustimmung zur Durchsuchung eigener Schiffe geben. Folglich verhinderten türkische Kriegsschiffe erst kürzlich, dass griechische Kräfte einen Frachter auf dem Weg nach Libyen kontrollieren.
Überhaupt nicht mandatiert in „Irini“ sind Luftpatrouillen von EU-Kampfflugzeugen, um den Waffennachschub per Luftfracht für die LNA zu unterbinden oder zu stören. Dazu müssten EU/NATO-Jets auf Souda in Kreta oder Akrotiri in Zypern stationiert werden, plus Tanker- und AWACS-Komponenten. Nur mit solchen CAPs (Combat Air Patrols) wären die großen Il-76TD-Transporter der in der Ukraine und in Kasachstan registrierten Frachtlinien ZetAvia, Azee Air und Jenis sowie Sigma Air abzufangen. Diese werden einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebendem Russen zugeordnet und verzeichneten seit März rund 100 Flüge in Richtung Libyen. Auch die Türkei setzt neuerdings parallel zu ihren Versorgungsschiffen und mit Unterstützung von Katars C-17s verstärkt auf Lufttransporte mit C-130, A400M und Il-76.
Natürlich machen diese Nachschubflüge die großen Lufttransporter zu beliebten Angriffszielen – Il-76 beider Seiten wurden bereits durch Drohnen mit Lenkwaffen am Boden zerstört. Während dazu von Regierungsseite türkische TB2 Bayraktar-Modelle samt türkischem Personal genutzt werden, fliegt die LNA chinesische bewaffnete Drohnen Wing Loong sowie Spezialflugzeuge zur Aufstandsbekämpfung (COIN) AT-802 Typ Erzengel. Dabei hat sich zuletzt ein regelrechtes Duell mit zerstörten beziehungsweise abgeschossenen Systemen auf beiden Seiten zwischen den TB2 Bayraktar und Haftars russischen Pantsir S1-Flugabwehrsystemen auf MAN-Chassis entwickelt, wie sie eigentlich nur die Emirate in Verwendung haben. Abu Dhabi unterstützt General Haftar seit Jahren auch mit anderen Gerätschaften, die einfach über die ägyptische Landgrenze nahe der historisch bekannten Bahnstation El Alamein kommen. Oder es fliegt selbst ein, wie vor Jahren MiG-21 aus ägyptischen Überschussbeständen, vier Kampfhubschrauber Mi-24P aus Weißrussland oder wie berichtet (LINK) zuletzt MiG-29 aus ebenfalls weißrussischen Beständen, die über den Iran nach Syrien und weiter nach Libyen gelangt waren.
Neben den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützen übrigens – mit Ausnahme von Katar – auch alle anderen arabischen Länder General Haftar, da sie Tripolis als Hort islamistischer Moslembrüder-Milizen und Terroristen sehen. Neben Kairo ist zudem wie vorhin bereits erwähnt Russland auf der Seite des weißhaarigen Marschalls. Wie die Türkei finanziert Moskau über die Söldnerfirma „Wagner” syrische Kämpfer, die in Libyen gegen die GNA und viele Landsleute kämpfen. Mittlerweile dürften rund 11.000 Syrer im Land sein, Hunderte sind bereits gefallen und viele zur Gegenseite übergelaufen. Manche fielen auch der Covid-Pandemie zum Opfer, weigerten sich deshalb zu kämpfen und wollten ausgeflogen werden.
In der EU hält Italien zur Tripolis-Regierung, während das „Irini” kommandierende Griechenland – entrüstet über ein jüngstes rohstoffrelevantes „Seerechtsabkommen“ der Türkei mit der in Tripolis belagerten GNA, welches Rhodos oder Kreta völlig ignoriert – eher auf der Seite Haftars steht. Ebenso wie Frankreich, das mit Rafále-Jets mehrere Bildaufklärungseinsätze über Misrata, der wichtigsten Luftbasis der GNA-Regierung, flog. Weitere Unterstützer Haftars sind Saudi-Arabien sowie der Sudan, von dort stehen rund 3.000 Krieger etwa der Jandjawid-Milizen unter LNA-Kommando.
All das lässt für die Zukunft des Landes wenig Positives vermuten, gegen die Waffenlieferungen könnte wohl nur mit einem massiven Militäreinsatz vorgegangen werden. Dazu ist allerdings keine EU-Regierung bereit und so belässt man es eher bei symbolischer Aktivität. Während sich das Bundesheer wie berichtet mit bis zu 15 Stabsoffizieren an der Mission beteiligt, hat das deutsche Parlament Anfang Mai beispielsweise der Entsendung von immerhin 300 deutschen Soldaten und einem P-3C Orion-Flugzeug zur Unterstützung von „Irini“ zugestimmt, aber zunächst ein Marineschiff verneint. Frankreich kündigte an, sich mit den Fregatten Jean Bart und Aconit zu beteiligen, zwei wären bereits im Einsatz. Weitere Truppensteller sind Griechenland, Italien und das eher pro GNA eingestellte Polen, das 120 Mann mit B-28B1R-Flugzeugen nach Sigonella auf Sizilien und Luxemburg gesendet hat. Und Malta hat die EU – kurz nach Beginn der Mission – darüber informiert, sich „nicht länger“ an „Irini” beteiligen zu wollen.