Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Philipp Dienstbier, Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Wir haben mit dem Nahost-Experten über die Huthis im Jemen gesprochen, wie die internationale Schifffahrt auf die Bedrohung durch die Miliz reagiert und warum es bisher nicht gelang, ihre Fähigkeit zum Bechuss von Schiffen zu degradieren.
Herr Dienstbier, seit Oktober 2023 beschießen die Huthis Frachtschiffe auf ihrer Fahrt durch das Rote Meer. Welche Folgen hat der Beschuss für Reedereien, Verbraucher und den Energiemarkt?
Die Seewege vor der Küste des Jemen sind eine der wichtigsten Lebensadern des Welthandels, gerade für die Wareneinfuhren per Schiff aus Ostasien nach Europa, die bis November 2023 quasi vollständig durch den Golf von Aden und das Rote Meer verliefen. Ein Großteil der Frachtschiffe und Tanker umfahren bei ihrer Passage von Ost nach West inzwischen die Meerenge vor der Küste Jemens. Allerdings passieren noch 40 Prozent der Handelsschiffe weiterhin das Bab Al-Mandab – zumeist solche, die sich aufgrund ihrer Eigner oder Fracht vor den Huthi-Angriffen in Sicherheit wiegen, wie etwa Tanker mit iranischem oder russischem Öl an Bord. Doch auch diese Schiffe werden immer wieder, vermutlich versehentlich, angegriffen.
Der Beschuss treibt die Frachtkosten in die Höhe, denn entweder müssen Reedereien den längeren – und daher teureren – Weg um das Kap der Guten Hoffnung wählen oder ein Vielfaches der Versicherungskosten für die risikoreiche Fahrt durch das Rote Meer bezahlen. Dies macht sich bei den Endkosten bemerkbar, wenngleich die Steigerung dort nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt, weil Transportkosten bei den meisten Produkten nur einen kleinen Anteil am Gesamtpreis haben. Anfangs führte der Beschuss auch zu Verwerfungen internationaler Lieferketten, die sich aber inzwischen neugeordnet und auf die Situation eingestellt haben. Auch regionale Häfen, wie den der saudische Stadt Dschidda, die durch die Angriffe abgeschnürt wurden, sind durch andere Routen, wie den Landweg über die arabische Halbinsel, ersetzt worden.
„Das Geschäft ist lukrativ und viele wollen daran mitverdienen.“
Die Huthis werden vom Iran unterstützt und mit Waffen beliefert. Über welche Routen gelangen denn diese Waffen in den Jemen?
Die Waffen gelangen einerseits auf dem Seeweg – teils über Dritthäfen, teils direkt – in die von den Huthis beherrschten Landteile im Norden des Jemens, vor allem über den wichtigsten von der Huthi-Miliz kontrollierten Hafen in Hudaida. Andererseits wird ein bedeutender Teil der Waffen aber auch auf dem Landweg über kriminelle Gruppen im Süden des Landes, der eigentlich von der international anerkannten Regierung kontrolliert wird, nach Norden geschmuggelt. Das Geschäft ist lukrativ und viele wollen daran mitverdienen – selbst ohne ideologische Verbindungen zu den Huthis oder Iran.
Laut einem UN-Bericht vom Oktober würden die Huthis Gebühren von einigen Schifffahrtsagenturen erheben, damit deren Schiffe das Rote Meer und den Golf von Aden unbehelligt durchfahren können. Können Sie das bestätigen?
Ich kann das nicht eindeutig verifizieren. Ich halte es aber für nicht unwahrscheinlich, dass die Huthis versuchen würden, aus der Situation Kapital zu schlagen. Bei der Verteilung humanitärer Hilfen unterschlägt die Miliz immer wieder Teile der Hilfsmittel und sie schreckte in der Vergangenheit auch nicht davor zurück, Gelder von Entwicklungsorganisationen zu erpressen. Dass man aus der Not Geld macht, hat also System. Die im UN-Bericht kolportierte Höhe der Schutzgelder, welche die Reedereien angeblich zahlen – monatlich 180 Millionen US-Dollar (rund 170 Millionen Euro) – scheint mir nach dem, was man aus Industriekreisen hört, aber wohl zu hoch gegriffen.
„internationale Marineeinsätze bieten keinen vollständigen Schutz, weil dafür nicht genügend Kräfte zur Verfügung stehen.“
Warum gelang es den USA bisher nicht, die Huthis davon abzuhalten, in internationalen Gewässern Schiffe zu beschießen und dadurch eine der weltweit wichtigsten Schifffahrtsrouten zu stören?
Die internationalen Marineeinsätze haben durchaus mehrere tausend Durchfahrten von zivilen Schiffen erlaubt und können damit auch Erfolge aufweisen. Es ist aber richtig, dass sie keinen vollständigen Schutz bieten, weil dafür nicht genügend Kräfte zur Verfügung stehen.
Auch die Landangriffe der USA, Großbritanniens und Israels haben den Huthis zwar geschadet, aber konnten ihre Fähigkeiten nicht ausreichend degradieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Miliz nach beinahe einem Jahrzehnt Bürgerkrieg gehärtet, resilient und gut organisiert ist. Satellitenaufnahmen zeigen, dass sie zunehmend unterirdische Infrastruktur ausbauen, um sich vor Luftangriffen zu schützen und auch ihre Attacken werden immer komplexer. Neben Raketen und Marschflugkörpern setzen die Huthis unbemannte U-Boote und kleine Drohnenschiffe ein. Zudem darf man nicht außer Acht lassen, dass die Miliz massiv von externen Akteuren unterstützt wird, neben Iran wohl auch vermehrt durch Russland, etwa mit Satellitendaten.
Letztendlich könnten die USA und ihre Verbündeten einen nichtstaatlichen Gewaltakteur, wie die Huthi-Miliz, nur mit einem massiven Kräfteaufwand – wohl auch mit Bodentruppen – effektiv bekämpfen und müssten ihm durch eine politische Lösung des Jemen-Krieges und einen Staatsaufbau im zerstörten Land die Grundlage entziehen. Nach den Erfahrungen des Westens in Afghanistan und Irak sehe ich aber keine politische Bereitschaft und öffentliche Unterstützung dafür, das hierfür nötige Personal, Material und Geld aufzubringen, zumal eine solche Intervention verlustreich und langwierig wäre.
Laut eigenen Angaben stören die Huthis den Schiffsverkehr, um ein Ende des Krieges in Gaza zu erzwingen. Wie erfolgreich sind sie mit dieser Strategie und würde der Beschuss tatsächlich enden, wenn es in Gaza einen Waffenstillstand gibt?
Ich halte die Angriffe der Huthis für wenig zielführend, um eine Friedenslösung in Gaza zu erzielen, sondern sehe sie eher als Versuch der Huthis, sich propagandistisch zu profilieren, um ihren Stellenwert innerhalb der Iran-geführten sogenannten „Achse des Widerstands” zu steigern und letztlich von internen Missständen, wie der grassierenden Armut und absoluten Perspektivlosigkeit in den von ihnen beherrschten Gebieten, abzulenken. Dazu passt, dass der vermeintliche „Widerstand” gegen Israel, die USA und den Westen aufwändig in der Huthi-Propaganda und auf Social Media inszeniert wird. Das mediale Echo, das die Huthis auch bei uns erzielen, hilft ihnen dabei.
Sollte es zu einem Waffenstillstand in Gaza kommen, wäre meine Erwartung, dass die Huthis zwar die Angriffe vorrübergehend einstellen würden, jedoch nur um die Waffenarsenale wieder aufzufüllen und künftig erneut eskalieren zu können, wenn es politisch opportun scheint.
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