Tarnen und Täuschen – worauf es ankommt und was noch dahintersteckt. Ein Interview mit Florian Lenz, Erfinder von Phantomleaf.
Herr Lenz, worauf kommt es beim Tarnen an?
Den Gegner zu verstehen. Wenn ich durch seine Augen sehe, weiß ich, worauf ich achten muss. Wenn ich keine Empathie habe, um mich in den anderen hineinzuversetzen, dann kann ich nicht mit ihm kommunizieren. Tarnen ist nichts anderes als die Unterbindung von Kommunikation. Das Gegenüber kann, wenn ich getarnt bin, die Signale nicht mehr lesen.
Und wie setzt man das um?
Es bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder versucht man so mit dem Hintergrund zu verschmelzen, dass überhaupt kein Signal beim Gegenüber ankommt – „Tarnen”. Oder man gibt ihm Falschinformationen – das klassische „Täuschen”. Phantomleaf versucht beides zu verbinden. Die Tarnmittel wirken so, dass man zwar etwas sieht, es aber unbewusst fehlinterpretiert und man in Folge über das Gesehene hinwegblickt.
Man sieht etwas, versteht es aber nicht. Wie funktioniert das?
Der Mensch will mit möglichst wenig Energieaufwand und in möglichst kurzer Zeit verstehen, was er da sieht. Das funktioniert gewissermaßen automatisiert. Er orientiert sich an erlernten Mustern, nennen wir sie „Objektschablonen”. Wenn man übt, kann man aber auch darüber hinausgehen und – ohne eine „Objektschablone” zu sehen – mehr in der Umgebung entdecken. Daher geht es beim Tarnen auch sehr um das Verschaffen eines Zeitgewinns.
Reicht es nicht, sich perfekt an die Umgebung anzupassen, also natürliche Mittel am Tarnanzug zu montieren?
Nehmen wir als Beispiel den Ghillie, einen Tarnanzug für Scharfschützen (-> Scharfschützen-Ausbildner „Mattle” im Interview), der mit dem, was vor Ort vorhanden ist, bestückt wird. Natürlich erzeugt man beeindruckende Erfolge, wenn man Ghillies komplett im Farbverlauf der Umgebung gestaltet. Es wirkt dann alles wie aus einem Guss. Das Problem ist nur: Wenige Meter daneben schaut es schon wieder anders aus und die Details haben sich eventuell komplett verändert. An manchen Orten kann das Täuschen wiederum funktionieren, wenn man sich in der Stadt beispielsweise als Müllhaufen ausgibt. Der kann auch vor verschiedenen Hintergründen liegen, womit man gleichsam „hintergrundunabhängig” wird, was ein großer Vorteil des Täuschens ist.
„Tarnen ist nichts anderes, als die Unterbindung von Kommunikation. Das Gegenüber kann, wenn ich getarnt bin, die Signale nicht mehr lesen.“
Phantomleaf-Erfinder Florian Lenz
Liegen ja, aber im Einsatz muss man sich ja auch bewegen können.
Genau. Bewegung heißt aber nicht nur, von A nach B zu gehen. Das Konzept geht viel weiter. Gehen wir von einer Drohne aus: Von jeder Seite sieht sie mich und meinen Schatten vor einem anderen Hintergrund. Auch das ist eine Form der Bewegung. Ich bin also in permanenter Bewegung, ohne mich aktiv zu bewegen und ohne es zu wissen. Man muss daher den eingangs erwähnten Satz auch hier anwenden: Wenn ich weiß, aus welchen Richtungen mich der Gegner suchen wird, bin ich im Vorteil.
Welche Unterschiede gibt es im Tarnen im urbanen im Verhältnis zum natürlichen Raum?
Bäume und Sträucher erleichtern den Unterschlupf. Im Urbanen hat man es häufig mit planen Flächen zu tun, die einen sehr homogenen Hintergrund schaffen. Dort ist die taktische Bewegung entscheidend, also ob man Grenzbereiche geschickt ausnutzt.
Wo fängt man an, wenn man erst am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Tarnen steht?
Man muss denken können, wie es der andere tut. Ich rate daher dazu, sich beispielsweise Videos genau anzusehen, in denen Tarnmuster angewendet und verglichen werden. Man sieht dann aus den Augen des Gegners, da man das Tarnmuster ja vor verschiedenen Hintergründen sieht.
Worauf sollte man dabei achten?
Vor allem auf die wissenschaftlich korrekte Vergleichbarkeit der Aufnahmen: Gleichheit von beispielsweise Kameraeinstellung, Lichteinfall, Haltung der Person.
Was kann man noch alles tun, um sich fortzubilden?
Die Grundlagen des Tarnens und Täuschens, die sich in jedem infanteristischen Lehrbuch wiederfinden, bleiben sehr wichtig. Darüber hinaus gilt: Üben, üben, üben. Und zwar unter realistischen Bedingungen und nach einer umfänglichen Bedrohungsanalyse. Also sich zu fragen: Von welchen Entfernungen könnte ich aufgeklärt werden? Ist der Gegner nachtkampffähig? Welche technischen Hilfsmittel könnte er zur Verfügung haben?
Mit welchen künftigen Herausforderungen hat man es bei der Entwicklung von Tarnmustern zu tun?
Ich sage immer wieder: Drohnen und KI (= Künstliche Intelligenz). Das ist die Zukunft. Beide lassen sich aber auch täuschen. Darum ist die Modularität der Tarnanzüge so wichtig. Beim Tarnen geht es letztlich um Individualität, nicht um Uniformität.
Woran wird außerdem gearbeitet?
Die Infrarotsignatur, die durch Wärmebildkameras eingefangen werden kann, zu unterdrücken, obwohl der Soldat sich bewegt, ist ebenfalls ein großes Thema. Dazu kommt noch, dass die Stoffe idealerweise schnell trocknend, vor Insekten schützend und auch noch flammhemmend sein sollen.
Gäbe es denn die Möglichkeit, die perfekte Tarnung zu entwickeln?
Natürlich gibt es Forschung zur aktiven Tarnung, die sich der Umgebung auf technischem Weg anpasst – das kostet und muss auch im Einsatz bestehen können. So gesehen ist es die größte Herausforderung, preiswert zu bleiben.
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