Das Bundesheer geht neue Wege: Die rot-weiß-roten Streitkräfte sind Teil eines Satellitenforschungsprogramms, das möglicherweise die Betriebsweise eines Teils der globalen Militärsatellitenflotte grundlegend verändern könnte.
Im Jänner 2024 haben sich die Niederlande und Österreich unter dem Titel „LEO2VLEO” zusammengeschlossen. In dem von der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) geförderten Projekt sollen neue Ansätze in der Satellitensteuerung erforscht werden. Dabei geht es um die Entwicklung von Satelliten, die flexibel zwischen erdnahen Umlaufbahnen (LEO, unter 2.000 Kilometer) und sehr niedrigen Umlaufbahnen (VLEO, unter 450 Kilometer) pendeln können. Ziel des Vorhabens ist es, kostengünstige Aufklärungssatelliten als weltraumgestützte Krisenreaktionsinstrumente einzusetzen. Die EDA bezeichnet das Projekt als potenziellen „Game Changer”.
Der Vorteil von VLEO-Satelliten: In sehr niedrigen Erdumlaufbahnen ermöglichen sie dank ihrer geringeren Distanz zur Erdoberfläche hochauflösendere Bilder mit kleineren und kostengünstigeren Kameras, als Satelliten in höheren Umlaufbahnen. Zudem profitieren sie von einer schnelleren Kommunikation und einem geringeren Risiko von Kollisionen mit Weltraummüll.
Dazu kommt: Satelliten mit der Fähigkeit, ihre Orbithöhe zu ändern, können flexibel Ort und Zeitpunkt ihres Überflugs über potenziellen Beobachtungszielen anpassen. Dies erhöht die Einsatzflexibilität und verringert gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Nachvollziehbar, dass diese Eigenschaften vor allem für die militärische Aufklärung von großem Interesse sind.
Der Nachteil: Satelliten in sehr niedrigen Umlaufbahnen sind höherer Reibung durch die dort immer noch vorhandene, wenn auch extrem dünne, Erdatmosphäre ausgesetzt. Erforderlich sind daher widerstandsfähigere Materialien, um der Oberflächenerosion standzuhalten, gegebenenfalls auch eine aerodynamische Form. Und dieser Luftwiderstand in niedrigen Höhen führt auch dazu, dass nichts sehr lange im VLEO bleibt.
Die ISS Raumstation, die in rund 400 Kilometer Höhe die Erde an der Grenze vom LEO zum VLEO umkreist, sinkt beispielsweise mit rund zwei Kilometer pro Monat und muss daher regelmäßig gehoben werden. Bis 2011 lag die durchschnittliche Orbithöhe der ISS noch bei 350 Kilometer. Der Treibstoffbedarf, um die Orbithöhe zu halten, war dort um 58 Prozent höher als er nun in 400 Kilometer Höhe ist.
Die mittlere Umlaufgeschwindigkeit in sehr niedriger Umlaufbahn beträgt etwa 7,8 Kilometer pro Sekunde, was einer Geschwindigkeit von 28.800 km/h entspricht.
Sehr viel verkehrsreicher als im VLEO geht es im LEO zu. Die erdnahen Umlaufbahnen sind das am schnellsten wachsende Weltraumsegment. Die Anzahl der dort eingesetzten Satelliten steigt sehr rasch – mittlerweile bevölkern rund 10.000 Satelliten diesen Bereich. Insbesondere Satelliten-Internetbetreiber wie OneWeb, Starlink oder Amazon/Kuiper befördern diesen Trend. Deren eher kurzfristige Pläne sehen sogar zehntausende neue Drohnen vor. Vorteil im LEO: man ist immer noch Erdnahe.
Trotzdem ist die Dauer, die Satelliten im LEO verbleiben können, erheblich länger als im VLEO. Das derzeit älteste von Menschenhand geschaffene Objekt im Orbit ist der Satellit „Vanguard 1”. Mit einem exzentrischen Orbit von 657 Kilometer am niedrigsten Punkt und 3.840 Kilometer am höchsten Punkt seiner Umlaufbahn umkreist er die Erde alle knapp 133 Minuten. Gestartet wurde er am 17. März 1958. Mit einem Wiedereintritt der längst funktionslosen Weltraumschrottkugel in die Erdatmosphäre wird erst um das Jahr 2200 gerechnet.
Die mittlere Umlaufgeschwindigkeit für eine erdnahe Umlaufbahn in 1.500 Kilometer Höhe beträgt 7,12 Kilometer/Sekunde, was einer Geschwindigkeit von 25.632 km/h entspricht.
Der Plan der „LEO2VLEO”-Partner: Insgesamt zwei bis vier Satelliten sollen als weltraumgestützte Krisenreaktionskraft im LEO bereitgehalten werden, bis man sie benötigt. Für Einsätze werden sie dann ins VLEO manövriert, danach wieder im LEO geparkt.
Das Ziel des Projekts ist eine kostengünstige, langfristige Missionsdauer mit schnellem Zugang zu hochwertigen Aufklärungsdaten. Eigene Satelliten würden dem Bundesheer ermöglichen, unabhängig von externen Anbietern zu agieren – ohne preiszugeben, welche Gebiete oder Objekte von Interesse sind. Zudem würde man das Risiko einer möglichen Manipulation gekaufter Bilddaten eliminieren. Die Fähigkeit, zunächst in einem Parkorbit zu verbleiben, anstatt einen spezifischen Zielorbit voraussetzen zu müssen, eröffnet außerdem die Möglichkeit, günstige „Restplätze” auf kommerziellen Satellitenstarts zu nutzen.
Von spektakulären Kosten ist nicht auszugehen. Die Preise, Satelliten in Orbits zu bringen, sind mit der Öffnung des Marktes für zivile Anbieter dramatisch gesunken. Das alles wird sich also in einer kleinen Ecke des Bundesheer-Budgets abspielen. Die EDA hat das Projekt „LEO2VLEO” mit rund zehn Millionen Euro gefördert. Ein Start soll bis 2026 erfolgen.
Marktbeobachter rechnen insgesamt mit etwa 600 bis 650 VLEO-Satelliten bis 2030. Insbesondere China, welches den Wettlauf um das LEO verloren hat, zeigt am VLEO hohes Interesse und will dort Nummer eins bei ultraschneller Satellitenkommunikation und Fernerkundung werden.
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