Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über die geplante „First Entry Force” der EU, potenzielle Medaillenerfolge rot-weiß-roter Heeressportler, dringend benötigte Beschaffungen und die Steigerung des Frauenanteils beim Bundesheer.
Frau Ministerin, 14 EU-Staaten – darunter auch Österreich – haben sich zuletzt für die Bildung einer militärischen Truppe ausgesprochen, die bei internationalen Krisen schnell eingreifen kann. Damit sollen die Fähigkeiten der EU zum Krisenmanagement gestärkt werden. Welche Überlegungen stehen hinter diesem Vorhaben?
Die Überlegungen in diesem Diskussionspapier entstanden im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des „Strategischen Kompasses” der EU. Dieser „Strategische Kompass” soll als sicherheitspolitisches Grundlagendokument die strategischen Ziele und Interessen im Bereich Sicherheit und Verteidigung definieren. Das ist das Ziel. Mit der „First Entry Force” soll dabei eine Eingreiftruppe für ein sofortiges, kurzfristiges Einsatzszenario geschaffen werden, um bei Krisen schnell militärische Kräfte in Einsatzräume zu bekommen.
Worin liegt der Unterschied zur EU-Battlegroup, an der das Bundesheer bereits teilnimmt? Eine österreichische Beteiligung an einem Einsatz müsste wohl ebenso vorab vom Nationalrat abgesegnet werden, oder?
Natürlich wird jeder österreichische Auslandseinsatz vom Parlament abgesegnet, das ist jetzt auch schon der Fall. Rasches Krisenmanagement stellt eine massive Herausforderung für die EU und ihre Mitgliedstaaten dar. Daher ist die Verbesserung der Nutzbarkeit und Verlegbarkeit des EU-Krisenreaktions-instrumentariums, deren zentrales Element die EU Battlegroup ist, ein besonders wichtiger Arbeitsstrang zur Erreichung des 2016 festgelegten EU-Ambitionsniveaus im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Dieses umfasst neben der Battlegroup auch Land-, See- und Luftkrisenreaktionsfähigkeiten. Die vorgeschlagene „First Entry Force” dient der verbesserten Umsetzung des 2016 beschlossenen militärischen Krisenreaktionskonzepts der EU.
Eine von den Mitgliedsländern angestrengte Bedrohungsanalyse hat auch im Bereich der Widerstandsfähigkeit, der Verteidigungsindustrie und der Partnerschaften Gefahren und Nachholbedarf geortet.
Richtig, und das hängt alles wiederum mit dem Strategischen Kompass zusammen. Es geht darum, festzustellen, welche Fähigkeiten notwendig sind und welche Prioritäten gemeinsam verfolgt werden sollen, um den sicherheitspolitischen Herausforderungen und Bedrohungen begegnen zu können. Weiters sollen die Fortschritte der vergangenen Jahre in allen Schlüsselbereichen der militärischen Angelegenheiten verstärkt werden, zum Beispiel die „PESCO Projekte” oder das Forschungsförderungsprogramm „Europäischer Verteidigungsfond”. Damit wollen die EU-Mitgliedstaaten ihre militärischen Fähigkeiten besser strukturieren und aufeinander abstimmen. Was bei diesen Schlüsselbereichen besonders interessant ist: hier sind nicht nur die Militärs der einzelnen Staaten involviert, sondern es ist auch der Input von Industrie, Technik, und Klein- und Mittelunternehmen
gefragt.
„Die Corona-Krise unterstreicht die wesentliche Bedeutung von Solidarität und Gemeinsamer Handlungsfähigkeit der eu.“
Soll damit mittel- bis langfristig die Resilienz der Mitgliedsländer gegenüber Großschadensereignissen verbessert werden?
Gerade durch die Auswirkungen der Corona-Krise wird die wesentliche Bedeutung von Solidarität und gemeinsamer Handlungsfähigkeit der EU unterstrichen. Die Eindrücke und Lehren der Pandemie werden auch im Strategischen Kompass berücksichtigt werden. Der Strategische Kompass soll eben der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine gemeinsame strategische Richtung geben.
Während das Heer selbst auch massive Anstrengungen zur Steigerung der Autarkie seiner Kasernen und zur Vorbereitung auf potenziell weitere Pandemien unternimmt, gibt es anderswo weiter Nachholbedarf. Etwa bei der schweren Panzerwaffe und bei den Luftstreitkräften, wo seit dem Ausscheiden der Saab-105Ö Ausbildungskapazitäten fehlen und das System Eurofighter den gesamten aktiven Part der Luftraumüberwachung allein stemmen muss. Wie sieht es mit Investitionen und Zukunftslösungen in diesen Bereichen aus?
Wir sind laufend dabei, das Bundesheer auszustatten – eine Großinvestition folgt der anderen. Besonders die geschützte Mobilität und überhaupt das Wiederherstellen der Mobilität ist mir ein großes Anliegen. Um nur einige Beispiele zu nennen: 30 neue Radpanzer Pandur Evolution sollen ab 2022 kommen und 16 Allschutztransportfahrzeugen Dingo 2 wurden für den logistischen Dienst in Auftrag gegeben. Weiters beginnt heuer die überfällige Modernisierung der Kampfpanzer Leopard 2A4 und der Schützenpanzer Ulan. Die Übernahme der Universalgeländefahrzeuge Hägglunds und das Upgrade bei den Mannschaftstransportpanzern der Pandur 1-Flotte konnte abgeschlossen werden. Zur Unterstützung der Panzertruppe werden ab 2021 alle drei modernen 70-Tonnen-Tiefladesysteme bei der Truppe zum Einsatz kommen, auch eine erste Tranche von 55 Fahrzeugen für den Ersatz der Pinzgauer wurde in Auftrag gegeben und bis Ende des Jahres ist die Lieferung von 200 Lkw für die Miliz vorgesehen. Im Fliegerbereich sind wir mitten in der Beschaffung von 18 Mehrzweckhubschraubern und wir haben eine Arbeitsgruppe zur Nachbeschaffung der C-130 Hercules eingerichtet.
Sehr gut angenommen wurde das neue Angebot „Mein Dienst für Österreich”, bei dem sich Grundwehrdiener freiwillig für eine Verlängerung melden können.
In der Tat, ich bin mit diesem Projekt sehr zufrieden, derzeit versehen bereits rund 630 Freiwillige des Modells ihren Dienst. Es ist uns damit gelungen, für unsere jungen Soldaten ein attraktives berufliches Angebot zu schaffen, das einerseits den derzeitig enorm hohen Personalbedarf zur Bewältigung der Corona-Pandemie decken kann und andererseits die sechsmonatige Ausbildung im Grundwehrdienst möglichst ungestört lässt. Für die Freiwilligen bietet das Heer neben einem guten Verdienst auch die Möglichkeit, in den derzeit wirtschaftlich herausfordernden Zeiten berufliche Wartephasen mit einem wichtigen Dienst für Österreich zu überbrücken.
In Zukunft sollen auch mehr Frauen für das Heer gewonnen werden, aktuell liegt der Frauenanteil bei gerade einmal vier Prozent. Welchen Anteil halten Sie hier in den kommenden Jahren für realistisch?
Auf jeden Fall einen höheren! Wichtig ist, dass wir mit unseren gesetzten Maßnahmen und Werbekampagnen die Anzahl der Soldatinnen beim Bundesheer kontinuierlich und nachhaltig steigern. Junge Soldatinnen sollen deshalb durch ein spezielles Mentorinnen-Programm verstärkt unterstützt werden, „Neueinsteigerinnen” sollen von einer erfahrenen Kameradin in ihrer Ausbildung begleitet werden. Weiters wird ein neues Referat im Ministerium geschaffen, das sich ausschließlich mit der Steigerung des Soldatinnen-Anteils beim Bundesheer beschäftigen und daran arbeiten soll. Von einem präsentablen Frauenanteil sind wir noch weit entfernt. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber das Ziel haben wir noch lange nicht erreicht.
Deutlich höher liegt der Frauenanteil bereits bei den aktuell rund 300 Heeressportlerinnen und -sportlern.
Im Juli 1998 hat das Bundesheer erstmals acht Sportlerinnen aufgenommen und mittlerweile sind im Heeressportzentrum 130 Frauen als Leistungssportlerinnen aktiv. Heuer werden wieder 23 neue junge weibliche Nachwuchssportlerinnen aufgenommen. Mit den Erfolgen der vergangenen Monate zeigen die Frauen deutlich auf: Die Leichtathletin Zugsführer Ivona Dadic wurde Sportlerin des Jahres 2020, die Skispringerinnen um Sara Marita Kramer sind unsere Medaillenhoffnung bei den Olympischen Spielen 2022. Im Biathlon hat uns Frau Zugsführer Lisa Hauser die erste Medaille in einem Biathlon-Frauenbewerb nach Hause gebracht.
Wäre Spitzensport in Österreich ohne Bundesheer überhaupt denkbar?
Die Anforderungen im Leistungssport, egal ob es sich dabei um körperlich behinderte Athleten oder nicht behinderte Sportlerinnen und Sportler handelt, sind enorm gestiegen. Als Athlet muss man sich heutzutage voll dem Sport widmen können, sonst besteht keinerlei Chance, an die Weltspitze heranzukommen. Wir bieten dafür einen hochprofessionellen Rahmen, Betreuung durch unsere Sportwissenschaftler und Trainer, soziale und finanzielle Absicherung aller Athleten und langjährige Erfahrung in Bereich der Leistungssportförderung. Die Sportlerinnen und Sportler des Heeressportzentrums können sich dadurch ganz auf ihr Training und ihre Wettkämpfe konzentrieren. Ein Beleg für den Erfolg dieses Ansatzes ist, dass bei den Olympischen Spielen in Tokio etwa 70 Prozent Prozent des österreichischen Teams durch das Bundesheer gestellt werden. Bei den Paralympischen Spielen wird der Anteil der Behinderten-Athleten des Heeressportzentrums bei mehr als 50 Prozent liegen. Zu Ihrer Frage: ich glaube nicht, dass es den österreichischen Spitzensport, wie wir ihn heute kennen, ohne das Bundesheer und seine langjährige Leistungssportförderung gäbe.
Inwiefern profitiert umgekehrt auch das Heer von den Spitzensportlern?
Das Heeressportzentrum hat aktuell 300 Heeressportlerinnen und Heeressportler, die in der Weltspitze Erfolge haben – dabei möchte ich die 20 mit Behinderung besonders hervorheben, weil ich deren großartige Leistung für bemerkenswert halte. Des Weiteren hat das Heeressportzentrum zusätzlich immer 150 Grundwehrdiener hauptsächlich aus Mannschaftssportarten. Diese 450 sind großartige und medienwirksame Repräsentanten des Bundesheeres. Das Hoheitssymbol des Bundesheeres bei einer Siegerehrung, zum Beispiel bei Weltmeisterschaften, auf der Sportbekleidung zu sehen, oder wenn Soldatinnen und Soldaten in Uniform während der Sporthilfe-Gala vor einem Millionenpublikum im TV ausgezeichnet werden – das macht stolz auf das Bundesheer und die Republik Österreich. Das Bundesheer profitiert aber nicht nur vom positiven Imagetransfer sondern auch sportlich. Unsere Experten beim Heeressportzentrum können immer wieder von Innovationen im Spitzensport Ableitungen für den Sport im Heer und für die militärischen Aufgaben ziehen.
Seit 2016 gibt es beim Bundesheer auch Leistungssportler mit Behinderung. Wie gut wird das Angebot angenommen und wo orten Sie dabei noch Verbesserungspotenzial?
Wie erwähnt hat das Heeressportzentrum aktuell 20 Behinderten-Athleten in seinen Reihen, fast alle davon sind paralympische Sportlerinnen und Sportler. Mein Auftrag war es, die ohnedies sehr gute Einbettung der behinderten Athleten im Heeressport weiter zu verbessern. Wir beim Bundesheer wollen Vorreiter der Inklusion des Behindertensports sein und Gleichberechtigung der Behindertensportler zum hohen Standard der übrigen Top-Athleten herstellen. Daher werden unsere behinderten Sportlerinnen und Sportler zukünftig als Militärpersonen angestellt werden. Sie sind dann ebenso Soldatinnen und Soldaten wie die übrigen Heeressportler und haben damit noch mehr Möglichkeiten, sich auf ihren Sport zu konzentrieren. Jene Behindertensportlerinnen und -sportler die jetzt schon als Zivilbedienstete beim Heeressportzentrum trainieren, haben, sofern sie unter 40 Jahre sind, die Option des Wechsels. Ich bin persönlich sehr stolz und froh darüber, Gleichberechtigung, Inklusion und Chancengleichheit für behinderte Menschen geschaffen zu haben. Das Feedback der Behinderten-Athleten, des Paralympischen Committee, des Behindertensportverbandes und der Sport-Fachverbände ist ein äußerst positives.
Abschließend gefragt: Mit wie vielen Medaillen von Heeressportlern rechnen Sie bei den Spielen in Tokio?
Wir hoffen auf viele und freuen uns bei jeder tollen Leistung. Die Leistungskurven unserer Sportlerinnen und Sportler stimmen – es gehört aber auch Glück dazu und das wünsche ich dem gesamten Team Austria.