Laut der ukrainischen Plattform „Military Aviation in Ukraine” soll die Ukraine erstmals die türkische Drohne Bayraktar-TB2 nahe des Donbass eingesetzt haben. Die Drohne soll am 9. April vom Flugplatz im Oblast Cherson im Süden der Ukraine gestartet sein und anschließend einen Flug über den an den Donbass grenzenden Oblasten Saporischschja, Dnipropetrowsk und Charkiw absolviert haben.

Yuri Mysyagin, stellvertretender Leiter des Ausschusses für nationale Sicherheit, Verteidigung und Geheimdienste im ukrainischen Parlament Werchowna Rada, soll den Flug in der Ostukraine bestätigt haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich dabei um einen Aufklärungsflug.

Das ukrainische Verteidigungsministerium äußerte sich zu dem Flug der Drohne am 9. April bislang nicht. Fakt aber ist: die TB2-Drohnen sind Teil des Bestands ukrainischer Streitkräfte. Anfang 2019 wurde unter dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko ein Abkommen mit der Türkei über die Lieferung von zwölf Drohnen unterzeichnet. Sechs davon hat die Ukraine bisher erhalten. Letztes Jahr kam ein Vertrag über weitere 48 Stück TB2 samt Munition, Bodenkontrollstationen und anderer Infrastruktur zustande. Laut Vadym Nozdria (siehe Bericht), dem Generaldirektor von UkrSpecExport – das die Verträge mit dem türkischen Drohnen-Hersteller Baykar Makina abgeschlossen hat, und Teil des Staatskonzerns der ukrainischen Rüstungsindustrie Ukroboronprom ist – sollen die Drohnen in der Ukraine hergestellt werden. Das würde die Kosten für die Beschaffung der Drohnen um bis zu 35 Prozent reduzieren, so Nozdria. Getestet wurde die Drohne am Himmel über der Ukraine bereits mehrfach, samt ihrer Fähigkeit Raketen abzuschießen. Nicht nur die Luftstreitkräfte, auch die ukrainische Marine soll die TB2 in Zukunft einsetzen.

Der türkische „Fahnenträger”

Bayraktar vom Typ TB2 (Tactical Block 2) ist ein taktisches unbemanntes Fluggerät der MALE-Klasse (Medium Altitude Long Endurance), das zu Aufklärungs- und Kampfzwecken eingesetzt werden kann. Laut dem Hersteller Baykar Technologies hat die Drohne eine Länge von 6,5 Metern, eine Spannweite von zwölf Meter, sie erreicht eine Höhe von maximal acht Kilometern und kann bis zu 27 Stunden in der Luft bleiben. Mit einer Nutzlast von 150 Kilogramm kann die TB2 mit bis zu vier lasergesteuerten Raketen vom Typ Roketsan MAM-L und MAM-C ausgestattet werden, und soll in der Lage sein, gepanzerte Fahrzeuge, Kampfpanzer, Artilleriegeschütze, Truppenkonzentrationen, mobile Flugabwehrsysteme und mobile Raketenwerfer anzugreifen. In der Türkei wird die Bayraktar TB2 seit 2014 von den Streitkräften, der Polizei und dem paramilitärischen Verband Jandarma eingesetzt. Zu den Abnehmerstaaten der Drohne gehören neben der Ukraine auch Aserbaidschan und Katar.

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Bislang hat die ukrainische Armee sechs Bayraktar-Drohnen in ihrem Arsenal – bald schon sollen es insgesamt 60 Stück sein.

Getauft wurde die Drohne nach Selcuk Bayraktar, dem Inhaber und Technologie-Direktor des Herstellers Baykar. Der Schwiegersohn des Präsidenten Erdogan war an der Entwicklung der TB2 maßgeblich beteiligt und gilt als die treibende Kraft hinter der Entwicklung von Drohnen in der Türkei. Der Name der Drohne hat auch eine symbolträchtige Bedeutung: Übersetzt bedeutet Bayraktar „Fahnenträger”. Die vollautonome Kampfdrohne gilt angesichts ihrer bisherigen militärischen Erfolge als ein Vorzeigeprojekt. Gleich an mehreren Fronten hat der Einsatz der Drohne das Blatt am Kampffeld gewendet: So in Syrien 2016 bei der türkischen Militäroffensive „Euphrates Shield”, 2018 bei der Operation „Olive Branch” und 2020 bei „Spring Shield”. Auch im Libyschen Bürgerkrieg, wo sie durch die Streitkräfte der Tripolis-Regierung eingesetzt wurde, kam ihr eine wichtige Rolle zu. Und nicht zuletzt im Krieg um Bergkarabach letztes Jahr (Militär Aktuell berichtete). Experten sind sich einig, dass die türkische Drohne (neben der israelischen IAI Harop „Kamikaze-Drohne”) zum militärischen Sieg Aserbaidschans maßgeblich beigetragen hat; gar als „kampfentscheidend” wird sie gerne bezeichnet. Mit der Verleihung des „Karabach Ordens” an Selcuk Bayraktar durch den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew vor rund zwei Wochen wurde der Effektivität der türkischen Drohne und ihrem Beitrag zum militärischen Sieg Aserbaidschans im Bergkarabach-Krieg Nachdruck verliehen.

Nicht nur hocheffektiv, auch relativ günstig ist die türkische Drohne. Schätzungen nach sollen die Kosten zwischen ein und zwei Millionen Euro pro Stück samt dazugehöriger Infrastruktur betragen. Mit ihren Erfolgen hat sich die Bayraktar-TB2 in der Drohnenindustrie bereits einen Namen gemacht. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace etwa bezeichnete sie als eine „innovative und federführende Technologie”.

Russland massiert Truppen östlich der Ukraine

Brothers in arms

Die letzten militärtechnischen Abkommen zwischen Kiew und Ankara bestätigen, dass der Drohnen-Deal von 2019 erst der Anfang einer längerfristigen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern gewesen sein dürfte. Die Vereinbarungen zur verstärkten bilateralen Kooperation gewannen noch vor dem Ende des letzten Jahres an Tempo. Letzten Herbst verkaufte die Ukraine an die Türkei das S-125 Flugabwehrraketensystem. Im Dezember 2020 haben dann beide Seiten Verträge zum Bau von Korvetten der Milgem-Klasse für die ukrainische Marine abgeschlossen. Vereinbart wurde auch die Gründung eines Joint Ventures zwischen der ukranischen UkrSpecExport und der türkischen Baykar zur Produktion der Bayraktar-TB2-Drohnen in der Ukraine. Jenes Abkommen sieht auch vor, dass Kiew die Drohnen in Drittländer exportieren darf.

Damit nicht genug: Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, soll der ukrainische Hersteller Motor Sich künftig die Motoren für die Bayraktar-TB2 liefern. Zuvor wurden die Triebwerke für die Drohne von dem oberösterreichischen Hersteller Rotax produziert (Militär Aktuell berichtete). Vergangenen Oktober ordnete der Mutterkonzern der Rotax – der kanadische Bombardier – jedoch einen Lieferungsstopp an, nachdem bekannt geworden war, dass die türkischen Drohnen im Bergkarabach-Krieg eingesetzt werden. Motor Sich stellt bereits die Triebwerke AI-450S für die türkischen Akinci-Kampfdrohnen her. Die Liste gemeinsamer Vorhaben Ankaras und Kiews geht noch weiter. Rund 30 gemeinsame Rüstungs- und Verteidigungsprojekte seien insgesamt geplant, sagte vor einigen Wochen der ukrainische Botschafter in der Türkei  Andrii Sybiha.

Bei dem Treffen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in Ankara am 10. April wurde der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich beidseitig bekräftigt.

Nicht nur militärtechnisch, auch politisch stehen die zwei Schwarzmeer-Anrainerstaaten Schulter an Schulter. So hat sich die Türkei angesichts russischer Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze klar hinter die Ukraine gestellt. Erdogan sicherte Selenski „jegliche notwendige Unterstützung” zu. Ganz neu ist die politische Nähe zwischen Ankara und Kiew allerdings nicht, wenn sie auch in Krisenzeiten besonders sichtbar wird; in den letzten Jahren hat Erdogan mehrfach betont, dass die Türkei die Unabhängigkeit der Ukraine immer unterstützen und die Krim-Annexion Russlands nie anerkennen wird.

@Russian Presidential Executive OfficeUkrainisch-türkische Bromance bringt Moskau ins Schwitzen

Dass die Ukraine und die Türkei ihren Zusammenhalt gerade jetzt hochhalten, wo sich die Spannung zwischen Kiew und Moskau zuspitzt, löst im Kreml Unmut aus. Ein besonderer Dorn im Auge scheint Russland der Erwerb der hocheffektiven türkischen „Fahnenträger” durch die Ukraine zu sein, da sie eine Aufwertung ihrer militärischen Fähigkeiten bedeuten. Die Überlegenheit der Drohne gegenüber russischen Waffen trat in Syrien, Libyen und vor allem in Bergkarabach deutlich zutage; das S-300 Flugabwehrraketensystem, das von Armenien eingesetzt wurde, oder das Kurzstrecken-Flugabwehr-Raketensystem Panzir-S1, das von den syrischen Streitkräften genutzt wird – der türkischen Drohne gelang es beide Systeme zu zerstören. Die Zerstörung der Panzir-S1 hat ihr gar den Spitznamen „Panzir-Jäger” eingebracht. Letzteres System wird auch von den Separatisten im Osten der Ukraine eingesetzt.

Jetzt wo die Ukraine über die Bayraktar-Drohnen verfügt, stellt sich die Frage inwieweit die ukrainischen Streitkräfte sie beim Kampf einsetzen könnten, und wie sich deren mögliche Einsatz auf den weiteren Verlauf des Konfliktes  auswirken würde. Oberstleutnant Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie sieht bei einem vermehrten Einsatz von Drohnen in der Ostukraine jedenfalls Eskalationspotential, zumal die Ukraine neulich auch eigene Hrim (deutsch Donner) „Kamikaze”-Drohnen herstellt.

Der wachsende Unmut Moskaus über den Drohnen-Großdeal zwischen der Türkei und der Ukraine lässt sich an den neulichen Aussagen von Vertretern der russischen Regierung ablesen. Nach dem Treffen zwischen dem ukrainischen und dem türkischen Präsidenten am 10. April und dem mutmaßlichen Flug der Bayraktar-Drohne an der Grenze zum Donbass einen Tag zuvor, warnte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Türkei davor, „militaristische Stimmungen” vor dem Hintergrund der zugespitzten Spannungen zwischen Moskau und Kiew zu schüren. Zudem setzte Russland drei Tage nach dem Treffen von Selenski und Erdogan die meisten Charter- und Linienflüge in die Türkei bis Juni aus. Auch wenn dies mit dem starken Anstieg der epidemiologischen Lage in der Türkei begründet wurde, so scheint klar, dass Russland damit seinem Missmut über die Annäherung der Türkei an die Ukraine Ausdruck verleihen will.

Strategische Überlegungen

Der Nutzen für Kiew aus der Zusammenarbeit mit Ankara liegt auf der Hand. Nicht nur hilft die Türkei dem postsowjetischen Staat dessen Militär zu modernisieren. Auch der öffentlich demonstrierte Rückhalt seitens der regionalen Großmacht und deren Unterstützung für die ukrainische NATO-Mitgliedschaft sind für Kiew von großer symbolischer Bedeutung. Doch was hat die Türkei von der Zusammenarbeit mit der Ukraine, außer dem wirtschaftlichen Gewinn?

Für Ankara hat die Beziehung zu Kiew eine starke strategische Dimension. Eine Annäherung an Kiew soll eine Balance im Verhältnis Ankaras zu Moskau einerseits, und zu Kiew andererseits herstellen, und gleichzeitig der Eindämmung der wachsenden militärischen Präsenz Russlands im Schwarzen Meer dienen. Die Kooperationspläne und Solidaritätsbekundungen Ankaras gegenüber Kiew sind also ein gewisses Warnsignal an Moskau, die Situation besser nicht zu eskalieren. Ein Bruch der Beziehung zwischen den beiden regionalen Großmächten ist allerdings nicht zu erwarten. Ob in Syrien, in Libyen, oder im Bergkarabach – die Fronten an denen Moskau und Ankara eine gegensätzliche Agenda verfolgen sind ebenso vielfältig wie ihre gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen.

Quelle@Russian Presidential Executive Office