Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Bernhard Seyringer vom Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES). Wir haben mit dem Politikanalysten über Chinas wachsenden Einfuss in Europa gesprochen, seine Interessen in der Ukraine und einen möglichen Handelskrieg zwischen Brüssel und Peking.
Herr Seyringer, zum ersten Mal seit fünf Jahren hat Xi Jinpin wieder eine Europa-Tour unternommen. Warum jetzt?
Die USA stehen vor den Präsidentenwahlen im Herbst. Aus chinesischer Sicht ist eine Wahl von Donald Trump möglich. Peking versucht daher erneut, mit dem „Teile-und-Herrsche Prinzip”, einen Keil in die transatlantischen Beziehungen zu schlagen. Befeuert wird das, durch eine Haltung in Europa, die mehr außenpolitische Besorgnis gegenüber einem möglichen Präsidenten Trump äußert, als gegenüber Kooperation mit einem der übelsten Regime der Gegenwart. Ich denke nicht, dass man die europäischen „De-Risking” Bestrebungen sonderlich ernst nimmt, und darauf reagieren wollte. Der deutsche Bundeskanzler hat kurz vor seinem Pekingbesuch im April deutlich gemacht, dass er jeder Erniedrigung offen gegenübersteht. Dann hat er seinen TikTok-Account eröffnet.
„Peking versucht, mit dem „Teile-und-Herrsche Prinzip“, einen Keil in die transatlantischen Beziehungen zu schlagen.“
China errichtet in Ungarn sein erstes Werk für Elektroautos in der EU. Auch in Serbien könnten demnächst Produktionsstätten für Züge und Elektrofahrzeuge entstehen, an denen China beteiligt ist. Was bedeutet das für die EU?
Diese Produktionsstätten werden die Möglichkeiten zu wirtschaftlicher Erpressung und Einflussnahme durch Peking noch weiter verstärken. Bei vielen Administrationen in den europäischen Hauptstädten und in Brüssel herrscht nach wie vor der Wille zur ideologischen Orthodoxie im Sinne der Aufrechterhaltung von Prinzipien – auch wenn der Gegenspieler sich nicht daran hält und diese zum eigenen Vorteil ausnützt. Das hat Peking schon immer beobachtet und zum richtigen Zeitpunkt strategisch und taktisch ausgenützt. Chinas außenpolitisches Credo „tao guang yang hui”, das mit „hide and bide” übersetzt wird, bedeutet ja in Wahrheit genau das: Auf den richtigen Zeitpunkt warten und dann zuschlagen.
Während die EU im Ukraine-Krieg (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) auf der Seite von Kiew steht, unterstützt China Moskau. Was wären denn mögliche gemeinsame Interessen von Peking und Brüssel in Hinblick auf ein Ende des Krieges?
Die Ukraine ist für Peking in zweifacher, möglicherweise dreifacher Hinsicht interessant. Erstens: Friedensverhandlungen durch eine chinesische Initiative würden einen deutlichen Imagegewinn für China als „Global Player” bedeuten. Zweitens: Ein Großteil der ukrainischen (Vorkriegs-) Waffenexporte gingen nach China. Hier würde man sich wohl einen freundlichen Deal erhoffen. Drittens: Die Ukraine als (Billig-) Produktionsstätte für chinesische Unternehmen, die bereits an die „Belt-and-Road” angeschlossen ist, direkt vor der Haustür der ersehnten westeuropäischen Zielmärkte, ist für China mehr als verlockend. Das wollte man vor dem Krieg mit dem Standort Belarus erreichen, aber die Planer in Peking sehen die Möglichkeiten in der Ukraine jetzt wesentlich positiver, da man davon ausgeht, dass die Infrastruktur mit großzügigen EU-Finanzierungen auf- und ausgebaut wird.
Eine europäische Analystin sagte unlängst, Ungarn sei das trojanische Pferd Chinas in der EU. Würden Sie das bestätigen? Inwieweit kann Ungarn China politisch behilflich sein?
Es mangelt nicht an trojanischen Pferden. Meist wird nur Ungarn herausgegriffen: Luxemburg, Malta, Portugal und ja, auch San Marino, stehen chinesischen Wünschen sehr offen gegenüber. Bis vor kurzem auch Italien. Politisch behilflich sein können derartige Einflüsse natürlich immer.
Bei Xis Europa-Tour waren die drohenden Strafzöllen der EU, unter anderem auf chinesische E-Autos und Solaranlagen, ein Thema. Umgekehrt lässt China europäische Weinbrandimporte prüfen. Wie realistisch ist ein Handelskrieg zwischen China und der EU?
Der Handelskrieg geht von China aus. Und verläuft fast exakt nach den Zeitplänen in Peking. Wenn ich kurz ausholen darf: Es war der ehemalige chinesische Staatspräsident Jiang Zemin, der am Parteitag der KP 2002 eine „Periode strategischer Möglichkeiten” prognostiziert hat. Für die Dauer von etwa zwei Dekaden würden sich für China große Möglichkeiten bieten. Danach komme die Konfrontation mit dem Westen. Darauf bereitet man sich in Peking schon lange vor. Die deutlichste Formulierung des Handelskrieges ist übrigens, das 2015 veröffentlichte Strategiepapier „Made in China 2025” – Chinas „Industrie 4.0”, aber mit ganz anderer Ausrichtung.
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