Nach wiederholten öffentlichen Proklamationen über die – durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) beschleunigte – Notwendigkeit des Aufbaus einer europäischen Verteidigungsindustrie, hat die EU-Kommission nun die Finanzierung von fünf grenzüberschreitenden Projekten für die gemeinsame Beschaffung von Waffen und militärischer Ausrüstung genehmigt, an denen rund 20 Mitgliedstaaten beteiligt sein werden. Es geht um die erhöhte eigene Verteidigungsfähigkeit, aber auch um Kapazitäten die der Ukraine zugehen sollen. Vor wenigen Tagen kam dazu auch grünes Licht von der EU-Exekutive.
Bis zum Ablauf der Frist im Juli 2024 gingen bei der Kommission zwölf Vorschläge ein, was ein großes Interesse an der gemeinsamen Beschaffung von Verteidigungsgütern dokumentiert. Während jene fünf Projekte ausgewählt wurden, wurden vielversprechende Vorschläge in eine Art „Reserveliste” aufgenommen, die möglicherweise für eine künftige Finanzierung in Frage kommen. Die Mitgliedstaaten können sich jederzeit dafür entscheiden, diese zusätzlichen Projekte aus nicht verwendeten EU-Mitteln zu unterstützen.
Die Initiative umfasst ein Budget von 300 Millionen Euro, welche zu gleichen Teilen in 60 Millionen für jedes Projekt aufgeteilt werden sollen. Ziel jener Projekte (die im Rahmen des Europäischen Instruments zur Stärkung der Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung – EDIRPA – angesiedelt sind), ist es, die Koordinierung und Effizienz der Beschaffung zwischen den EU-Ländern zu verbessern, wobei insbesondere drei thematische Makrobereiche berührt werden. Insgesamt beläuft sich das Auftragsvergabevolumen zu dem diese Projekte beitragen werden oder sollen, auf mehr als elf Milliarden Euro.
Mistral und Jaime
Zuallererst zu nennen ist die Beschaffung von Luft- und Raketenabwehrsystemen in zwei Projekten. Erstens das Projekt Mistral, welches die Beschaffung der gleichnamigen Manpad-Kurzstreckensysteme Mistral 3 (VSHORAD, -> Manpads: Kleinstraketen mit großer Wirkung) betrifft. Daran sind neun Mitgliedstaaten beteiligt, Belgien, Zypern, Dänemark, Estland, Frankreich, Rumänien, Slowenien, Spanien und Ungarn. Das polnische MANPAD Piorun (-> Georgien entscheidet sich für den Ankauf von Piorun) war die unterlegene Alternative, dieser Vorschlag kam von Litauen, Lettland und Norwegen.
Zweitens das Projekt Jaime um die Beschaffung von Mittelreichweiten-Abwehrsystemen des Typs Iris-T SLM von Diehl Defence, daran sind sechs Länder beteiligt, dies sind Österreich, Bulgarien, Estland, Deutschland, Lettland und Slowenien. Bezüglich Österreich ist dies insofern interessant, als zu vernehmen ist, dass man auf der Grundlage der adaptierten Vorhabensabsicht beziehungsweise Leistungsbeschreibung wohl erst nach dem Jahreswechsel beziehungsweise erst im Frühling 2025 zu einer „Downselection” der möglichen GBAD-Gesamtsysteme samt C2-Elementen kommen werde. Das System Iris-T SLM steht aktuell ganz sicher zu Wahl, darüber hinaus aber auch noch Konkurrenzprodukte.
Eine weitere Beschaffungskategorie betrifft den Kauf von gepanzerten Fahrzeugen, insbesondere von CAV für den Truppentransport und umfasst Finnland, Deutschland, Lettland und Schweden. In den beiden letztgenannten Projekten um die Beschaffung von Artilleriemunition des Kalibers 155 Millimeter (CPOA 155 Millimeter und HE 155 Millimeter), sind sechs beziehungsweise vier Mitgliedstaaten beteiligt. CPOA: Dänemark, Italien, Lettland, die Niederlande, Polen und Ungarn. HE: Dänemark, Deutschland, Griechenland und die Niederlande.
„Mit einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis aufgrund von Skaleneffekten werden gemeinsame Beschaffungen kritische Verteidigungsfähigkeiten für die Streitkräfte der Mitgliedstaaten erschwinglicher machen”, heißt es in dem entsprechenden Kommuniqué der Kommission. Darin wird betont, dass „die Streitkräfte der Mitgliedstaaten mit gemeinsam beschafften Produkten eine bessere Interoperabilität haben werden und dass gemeinsame Verträge die europäische Industrie stärken sollen, indem sie jene mit klareren Perspektiven und größerer Berechenbarkeit ausstatten, was insgesamt zu einer erhöhten Verteidigungsbereitschaft der 27 Mitgliedsstaaten führt”. Angemerkt wird auch: „Zu den meisten der ausgewählten Projekte gehört auch die Beschaffung von Kriegsmaterial, das dann in die Ukraine geschickt werden soll, um die Streitkräfte Kiews beim Widerstand gegen die russische Aggression zu unterstützen.”
EU Wettbewerbs- und Digitalisierungskommissarin Margrethe Vestager, kommentiert: „Dies ist das erste Mal, dass wir EU-Mittel verwenden, um die Mitgliedstaaten bei der gemeinsamen Beschaffung von Verteidigungsgütern zu unterstützen. Diese Operation war ein Erfolg: Wir investieren 300 Millionen Euro in fünf Projekte, um kritische und dringende Lücken in den Verteidigungsfähigkeiten zu schließen. Dies wird ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis für die nationalen Verteidigungshaushalte ermöglichen, die Interoperabilität der europäischen Streitkräfte verbessern, unsere Industrie stärken und Europa besser auf Verteidigungsbedrohungen vorbereiten. Wichtig ist, dass die ausgewählten Projekte auch unsere Unterstützung für die Ukraine mit zusätzlicher Verteidigungsausrüstung verstärken werden.”
Das erwähnte EDIRPA wurde übrigens als kurzfristige Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine eingeführt und unterstützt die gemeinsame Beschaffung bis 2025. Die Kommission hat außerdem vorgeschlagen, diesen Ansatz über 2025 hinaus durch ein Europäisches Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP) auszuweiten, um die Nachfrage weiter zu vereinheitlichen und die Verteidigungsfähigkeiten der EU zu stärken.