Kein „kollaborativer Wingman” und auch kein „verzichtbares” UCAV – was das US-Unternehmen Shield AI vor wenigen Tagen in Washington D.C. präsentierte, soll ein völlig neues Kapitel in der Luftkampftechnologie aufschlagen: den X-BAT, ein vollständig autonomes, senkrechtstartendes Kampfflugzeug (VTOL).

Das vorgestellte Modell war zwar noch ein Mock-up im Maßstab zwei Drittel des geplanten Endprodukts, doch die Zielparameter sind ambitioniert: Ab 2027/28 soll der X-BAT als vollwertiger, unbemannter VTOL-Kampfjet einsatzbereit sein – optimiert für hoch umkämpfte Lufträume, in denen Start- und Landebahnen nicht verfügbar oder zerstört sind.

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Für Expeditionseinsätze prädestiniert

Das Konzept sieht eine Reichweite von über 2.000 Seemeilen (rund 3.700 Kilometer) und Einsatzhöhen über 50.000 Fuß (gut 15.000 Meter) vor. Angetrieben von einem F100-Nachbrennertriebwerk soll der Jet annähernd Überschallgeschwindigkeit erreichen, wobei der Fokus laut Hersteller auf Reichweite und Ausdauer liegt.

Für die US-Streitkräfte bewirbt Shield AI den X-BAT als ideale Plattform für Expeditionseinsätze, maritime Operationen und den Einsatz auf Inselbasen – mit klarer Ausrichtung auf den Westpazifik und das Szenario eines Konflikts mit China.

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Wer steckt hinter Shield AI?

Das 2015 in San Diego gegründete Unternehmen Shield AI gilt als eines der dynamischsten Start-ups der US-Rüstungs- und Luftfahrtindustrie. Gegründet wurde es von den Brüdern Brandon und Baron Tseng – Letzterer ist heute CEO – sowie Andrew Reiter. Ihr Ansatz folgt dem Prinzip der „agilen Innovation”, wie man sie von Tech-Pionieren wie Elon Musk (Space X) oder Palmer Luckey (Anduril) kennt: jung, unkonventionell, schnell – und bewusst als Gegenmodell zu den großen, trägen US-Rüstungskonzernen positioniert.

Auch personell gibt es Verbindungen zu dieser neuen Generation von Hightech-Unternehmen: So stammt der leitende Chefingenieur des X-BAT, Armor Harris, ursprünglich von Space X und bringt dort gesammelte Erfahrung in Antriebstechnik und Systemintegration ein.

X-BAT im Einsatz – ©Shield AI
So stellt sich Shield AI aktuell einen potenziellen X-BAT-Einsatz vor.

Bereits heute verfügt Shield AI über ein einsatzreifes Produkt – das V-BAT, ein senkrechtstartendes Aufklärungs- und Überwachungssystem, das sich unter anderem in der Ukraine bereits im operativen Einsatz bewährt hat.

Das Herzstück der Technologie ist jedoch der KI-„Pilot” Hivemind – eine Softwareplattform, die autonome Navigation und Entscheidungsfindung ermöglicht. Hivemind arbeitet auch ohne GPS oder Datenverbindung, kann mehrere Systeme gleichzeitig steuern und erlaubt so komplexe, koordinierte Einsätze – der entscheidende technologische Vorsprung von Shield AI gegenüber vielen Wettbewerbern.

©Militär Aktuell

X-BAT im Vorteil — vier Argumente gegen bemannte Jets

Armor Harris präsentierte in Washington die Kernphilosophie hinter Shield AIs senkrechtstartendem Kampfflugzeug X-BAT und fasste die Vorzüge in vier klaren Punkten zusammen. Seine Botschaft: Nicht weniger als eine Revolution der Luftkampfkraft — mehr Flexibilität für eigene Kräfte, zugleich neue Probleme für den Gegner.

Einsatzsequenzen des X-BAT – ©Shield AI
Vom Senkrechtstart zur Senkrechtlandung — typische Einsatzsequenz des X-BAT

Die vier Kernvorteile:

  1. Senkrechtstart und -landung (VTOL): X-BAT kann von Kriegsschiffen, Inseln, Häfen und improvisierten Flächen operieren – also genau dort, wo herkömmliche Flugplätze fehlen oder zerstört sind.
  2. Mehrzweckfähigkeit: Das Konzept sieht eine Plattform vor, die unterschiedliche Aufgabenprofile abdecken kann (Aufklärung, Kampf, maritimer Einsatz), statt spezialisierte Einzelfahrzeuge vorzuhalten.
  3. Architektur für KI-Piloten: Das Flugzeug ist von Grund auf für autonome Einsätze mit einem KI-Piloten wie Hivemind ausgelegt — nicht nur als Retrofit, sondern als integriertes System.
  4. Deutlich geringere Lebenszykluskosten: Shield AI behauptet Kosten über den Lebenszyklus, die bis zu zehn Mal niedriger lägen als bei Fliegern der fünften Generation — ein zentrales Verkaufsargument in Zeiten knapper Haushalte.

Warum das All zum nächsten Konfliktfeld wird

Warum das relevant ist

Harris verweist auf ein praktisches Problem moderner Luftstreitkräfte: In aktuellen Kriegsszenarien gehen deutlich mehr Flugzeuge am Boden verloren als in Luftkämpfen. Beispiele aus jüngeren Konflikten zeigen, wie bodengestützte Angriffe und kostengünstige Drohnenstrategien (-> Operation „Spider Web”: So griffen die ukrainischen FPV-Drohnen an) leistungsfähige, teure Luftwaffen außer Gefecht setzen können. Jahrzehntelange Investitionen in teure Stealth-Plattformen erhöhen zwar die Überlebensfähigkeit im Luftkampf – machen die Flugzeuge aber nicht weniger verwundbar gegen Angriffe am Boden.

X-BAT Chefingenieur Armor Harris – ©Shield AI
X-BAT Chefingenieur Armor Harris präsentierte vor wenigen Tagen die Eckdaten des Projekts.

Welche Optionen bleiben?

Harris nennt die klassischen Gegenmaßnahmen — teure Bunker, vermehrte Tanker-Ketten oder noch größere, teurere Flugzeuge — und zeigt damit die strategische Zwickmühle: Entweder man schützt teure Assets mit ähnlich teuren Mitteln, oder man denkt die Plattformen selbst neu. X-BAT ist Shield AIs Antwort auf Letzteres: dezentralisiert, ausdauernd, autonom — und budgetfreundlicher.

Ob die Praxis die Theorie bestätigt, wird sich erst in Feldtests und operativen Einsätzen zeigen. Doch das Diskursverschieben hin zu autonomen, VTOL-fähigen Plattformen ist real — und stellt Planer vor neue taktische und ethische Fragen.

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Expeditionärer VTOL-Einsatz — der Weg aus der Kostenfalle

Expeditionärer vertikaler Start und Landung ist aus Sicht von Shield AI der Schlüssel, um die strategischen Fesseln und die steigende Kostenkurve moderner Luftkriegsführung zu durchbrechen. Statt auf große, zentrale Basen zu bauen, verteilt ein VTOL-Konzept die Luftkraft dicht am Einsatzgebiet — näher an den Frontlinien und damit schwerer plan- und angreifbar für den Gegner.

Der X-BAT wurde gezielt so entwickelt, dass er nicht nur senkrecht starten und landen kann, sondern auch straßenmobil ist. Das erlaubt kurze Umschlagzeiten zwischen Landung, Verlegung und erneutem Start. Wer innerhalb des Ziel- und Reaktionsfensters des Gegners agiert, erhöht seine Überlebensfähigkeit am Boden erheblich — denn Bewegung ist Schutz.

X-BAT-Präsentation – ©Shield AI
Das präsentierte X-BAT-Mock-up soll rund ein Drittel kleiner sein als das geplante Serienmodell.

Harris betont einen weiteren Punkt: X-BAT reduziert die Abhängigkeit von Tankflugzeugen, weil viele Einsätze bereits aus der unmittelbaren Kampfzone starten können. Ebenso entfallen in vielen Szenarien teure, stationäre Schutzbauten — die Plattform schützt sich durch Verlagerung und Dispersion, nicht durch Beton.

Kraftprojektion ohne Carrier-Limitierung

Auf See entlastet VTOL-Fähigkeit die Flugzeugträger: Deckraum ist knapp und teuer. Vertikalstartende Flugzeuge erlauben die Machtprojektion von weiteren Schifftypen innerhalb einer Flotte — von Hubschrauberträgern bis hin zu kleineren Küstenkampfschiffen, in der Theorie sogar von Fracht- oder Containerschiffen. Harris nennt konkrete Dimensionen: Auf Hubschrauberträgern des Marine Corps könnten demnach Dutzende X-BATs Platz finden — genug, um die Schlagkraft ganzer Luftstreitkräfte zu übertreffen.

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Dank großer Reichweite kann das Ausgangsschiff außerhalb unmittelbarer Bedrohungszonen bleiben und muss deshalb nicht mit aufwändigen und teuren Selbstschutzsystemen vollgestopft werden. Die Kombination aus Mobilität, Reichweite und autonomer Steuerung verspricht eine flexiblere, resilientere und kosteneffizientere Form der Luftmacht — vorausgesetzt, die Technologie hält den Praxistest stand.

Designrevolution im Detail – X-BAT bricht mit klassischen VTOL-Konzepten

Laut Chefingenieur Armor Harris setzt der X-BAT auf ein radikal vereinfachtes Antriebskonzept: Im Zentrum des Flugzeugs sitzt ein F-16-Klasse-Triebwerk mit Nachbrenner und einer Schubvektor-Düse, die ursprünglich aus einem F-15-Testprogramm der späten 1990er-Jahre stammt. Dieses System eliminiert viele der konstruktiven Schwächen, die frühere VTOL-Designs prägten.

Launch-Optionen des X-BAT – ©Shield AI
Launch-Optionen: X-BAT soll sowohl von Schiffen, als auch von zahlreichen anderen Plattformen aus gestartet werden können.

Im Vergleich etwa zur F-35B, deren komplexes Lift-Fan-System nicht nur Treibstoffvolumen und Nutzlast reduziert, sondern auch die Einsatzflexibilität einschränkt, kommt der X-BAT ohne sekundäres Hebesystem aus. Ergebnis: geringere Komplexität, höhere Effizienz und mehr Platz für Treibstoff – also größere Reichweite.

Das schwanzlose Design bietet zudem ein optimiertes Auftriebs-Widerstands-Verhältnis, während das starke Triebwerk in der kompakten Zelle für hohe Steigleistung und extreme Flughöhen sorgt. Harris fasst es zusammen: „Der X-BAT wird eines der höchsten und schnellsten Flugzeuge am Himmel sein.” Zugleich ist die Konstruktion bauartbedingt stealth-fähig und weist eine niedrige Signatur auf – entscheidend für das Überleben im modernen Luftkampf.

In einem weiteren Auftritt erklärte Shield-AI-CEO Baron Tseng, selbst ehemaliger Navy Seal, dem US-Videoblogger Shawn Ryan die Besonderheiten des Konzepts.

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Shield AI ist mit seiner Hivemind-Software zwar Vorreiter bei KI-gesteuerten Flugzeugen, aber längst nicht allein: Schon im X-62A VISTA-Programm wurde eine modifizierte F-16 mithilfe künstlicher Intelligenz trainiert – noch mit Backup-Pilot, aber bereits fähig, Luftkämpfe gegen bemannte Gegner zu führen.

Auch in Europa arbeitet man intensiv an vergleichbaren Technologien. Saab-Testpilot und ESA-Astronaut Marcus Wandt, seit wenigen Tagen Senior Vice President bei Saab, berichtete etwa über den KI-Piloten Centaur von Helsing, der im „AI-Gripen” getestet wird. Seine Einschätzung: „Es wird künftig nicht mehr selbstverständlich sein, dass ein Mensch im Luftkampf gegen eine KI bestehen kann – sie lernt binnen weniger Flugstunden, wofür Menschen Jahrzehnte brauchen.”

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Der Unterschied: Während Systeme wie Centaur bislang kooperativ agieren, verfolgt Shield AI mit dem X-BAT eine konsequent autonome Einsatzphilosophie – ein Sprung, der den Luftkrieg grundlegend verändern könnte.

Ob die US-Streitkräfte oder ihre Verbündeten diesen Weg tatsächlich gehen werden, bleibt offen. Doch die Brüder Baron und Brandon Tseng sind überzeugt: KI-gesteuerte, senkrechtstartende Kampfjets werden die Art, wie Luftmacht gedacht und eingesetzt wird, dauerhaft transformieren.

Quelle©Shield AI