Mehrere Armeen weltweit setzen in Ausbildung und Training bereits auf Smart Glasses und innovative Eye Tracking-Technologie aus Wien. Ein Gespräch mit Viewpointsystem-Inhaber und Geschäftsführer Nils Berger.
Das Wiener Deep-Tech-Unternehmen Viewpointsystem entwickelt und produziert international ausgezeichnete Smart Glasses, die auf Eye Tracking basieren. Die Datenbrillen des Unternehmens werden von Firmenkunden weltweit unter anderem für Remote Support und Fernwartung, für Trainings und Dokumentationen sowie für Forschung, Training, Ausbildung und Analyse eingesetzt – zunehmend auch im Behörden- und Defence-Bereich. Wir haben mit Inhaber und Geschäftsführer Nils Berger über die Vorteile und Möglichkeiten der Technologie gesprochen, aber auch über potenzielle Einsatzgebiete, internationale Vertriebschancen sowie die Objektivierbarkeit sonst nur subjektiv wahrnehmbarer Blickverhalten.
Herr Berger, die Wurzeln von Viewpointsystem reichen bis in die 2000er-Jahre zurück. Was hat Sie 2016 veranlasst, das Unternehmen zu übernehmen und dessen Ausrichtung deutlich zu ändern? Hatten Sie zu der Zeit den Sicherheits- und Defence-Markt bereits auf der Agenda?
Die Firma war damals im Thema Verkehrssicherheit verankert, es ging darum, zu verstehen, wie Unfälle entstanden sind und warum sich die am Unfall
Beteiligten möglicherweise nicht oder erst zu spät gesehen haben. Das ist prinzipiell interessant, ich habe für die Technologie allerdings auch noch andere Möglichkeiten gesehen: Wenn ich weiß, wo jemand hinschaut, dann kann ich beispielsweise in industriellen Situationen Fernwartungen leichter anleiten und durchführen. Also haben wir das System dahingehend weiterentwickelt und 2017 sind wir dann im weitesten Sinne auch erstmals mit dem Thema Sicherheit in Berührung gekommen. Damals haben wir gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt in Deutschland ein erstes kleines Projekt im Blaulichtbereich umgesetzt.
War sofort klar, dass es in diese Richtung weitergehen kann und über die Polizei hinaus auch der übrige Behördenmarkt für Viewpointsystem interessant ist?
Ja, das war sofort klar. Es haben sich schon unmittelbar danach weitere interessante Türen aufgetan, was uns aber auch nicht überrascht hat: Wir helfen mit unserer Technologie schließlich zu verstehen, was Menschen – ganz egal, ob es um Polizeibeamte geht, um Personenschützer oder um Special Forces – mit ihren Augen machen und wie sie damit in Stress- und Gefahrensituationen Dinge wahrnehmen oder auch nicht. Das ist wertvolles Wissen, mit dem sich in Ausbildung und Training das eigene Verhalten optimieren lässt. Daraus ergibt sich ein unmittelbarer Sicherheitsgewinn, die damit verbundenen Möglichkeiten liegen auf der Hand. Also haben wir noch 2017 begonnen, den Markt strukturierter anzusprechen und weitere Projekte umzusetzen. Erstmals tatsächlich mit Militärs zusammengearbeitet haben wir dann im Jahr 2018 im nordamerikanischen Raum.
Welche Einsatzmöglichkeiten bietet die Technologie im Defence- und Behördenbereich?
Unzählige, auch weil unser System bei allen Lichtverhältnissen funktioniert und nicht auf eine spezifische Umgebung beschränkt ist. Damit lassen sich in realen Umgebungen beispielsweise Geiselbefreiungsszenarien üben oder Häuserkämpfe. Dasselbe System ist ohne Adaptierungen aber auch in Gefechts- und Flugsimulatoren einsetzbar.
Wie funktioniert die Brille im Detail?
Unsere Technologie stellt da wie dort das, was der Träger der Brille mit seinen Augen tut, digital dar, macht es auswertbar und interpretierbar. Wir machen also Wahrnehmungssituationen messbar, bringen sie auf eine objektivierbare Basis und geben Anwedern und Ausbildern eine wichtige Grundlage zur Optimierung ihres Blickverhaltens. Es ist in Stresssituationen nicht immer wichtig, möglichst viel wahrzunehmen, sondern die richtigen Dinge zu sehen – und das ist trainierbar. Mir gefällt auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges der Gedanke, dass wir mit unserem Know-how Soldaten dabei helfen, ihre Survivability zu erhöhen.
„Im Zweifelsfall hängt mein Leben davon ab, ob ich in einer Stresssituation Gefahren frühzeitig erkenne oder
Szenarien richtig einschätze.“Viewpointsystem-CEO Nils Berger
Und diese Vorteile haben auch Streitkräfte bereits erkannt?
In jedem Fall. Wir haben mittlerweile mit mehreren Armeen Projekte realisiert, darunter Kanada, die Schweizer Armee, aber auch das Bundesheer. Unser Fokus liegt nun ganz klar auf NATO-Mitgliedsstaaten, wir führen aber auch im asiatischen Raum vielversprechende Gespräche. Die Zugänge der Armeen sind übrigens sehr unterschiedlich: Manche wollen nur wenige Stück unserer Brillen, andere statten damit ganze Kompanien aus, und darüber hinaus überlegen manche auch den Einsatz etwa zu Fernwartungszwecken – ähnlich wie im Industriebereich. Damit könnten beispielsweise Experten und Fachmänner aus dem Hintergrund Leute an der Front bei der Reparatur eines Fahrzeuges anleiten, um dessen Verlust zu verhindern und letztlich die Sicherheit der eingesetzten Kräfte zu erhöhen. Um dabei noch optimaler den Bedürfnissen zu entsprechen, haben wir unsere Hardware nun auch ganz explizit den vielfältigen Anwendungen im Defence-Bereich angepasst.
Inwiefern?
Mit einfacherem Handling, noch weniger potenziellen Störfaktoren, geringerem Gewicht, kompakterer Gestaltung – und natürlich olivgrüner Farbgebung (lacht). Ziel ist es, die Technologie irgendwann in ein Simulationsequipment einzubetten und sie beispielsweise in Nachtsichtbrillen zu integrieren, damit es beim Training kein zusätzliches Device braucht und die Schnittstelle zum Menschen weiter optimiert werden kann.
Viewpointsystem hat mit dem slowenischen Trainingssimulationsanbieter Guardiaris kürzlich eine Vereinbarung zum internationalen Vertrieb seiner Smart Glasses geschlossen. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir haben uns im Rahmen des mit Mitteln aus dem Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF) geförderten Forschungsprojekts „Advanced Biometrics In Training and Simulation“ (ABITS) kennen- und schätzen gelernt. Guardiaris ist ein globaler Player und mit seinen unfassbar gut gemachten Simulatoren und Plattformen seit 15 Jahren im Bereich Behörden und Defence aktiv. Wir können mit unseren Möglichkeiten diese Simulatoren um die Perspektive des Menschen perfekt ergänzen, unsere Technologie also in deren Technologie integrieren und erhalten im Gegenzug eine weltweite Vertriebsschiene, die wir uns alleine kaum aufbauen könnten. Das ist unter dem Strich also ein natürlicher Match, mit dem wir am Ende des Tages mit Lösungen überzeugen werden.