Das kontroverse Thema Sky Shield rückt die Raketen- und Fliegerabwehr in Österreich ins öffentliche Interesse. Militär Aktuell beleuchtet, warum das Bundesheer ein solches System nie hatte – und warum es jetzt dringend benötigt wird. Eine Analyse in zehn Punkten.
Punkt 1: Der INF-Vertrag
Als US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow am 8. Dezember 1987 in Washington den INF-Vertrag unterzeichnen, bleibt das für Österreich eher eine Randnotiz. Zwar verbessert sich durch das Verbot von bodengestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern die internationale Sicherheitslage – und damit auch jene Österreichs –, doch politisch und technisch spielt sich das Geschehen weit außerhalb der Möglichkeiten der Alpenrepublik ab. Österreich besitzt keine Mittelstreckenraketen mit entsprechenden Reichweiten, erst recht keine nuklearen. Doch auch in der Abwehr solcher Waffensysteme ist das Bundesheer völlig ungerüstet.

Punkt 2: Spezialwaffenverbot für Österreich
Mitverantwortlich für das Spezialwaffenverbot ist Artikel 13 des Staatsvertrags zur Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs. Dieser verbietet dem Land den Besitz von „Spezialwaffen” – darunter nicht nur Atomwaffen, Torpedos und sogar U-Boote (!), sondern auch „selbstgetriebene oder gelenkte Geschosse”.
Die Folge: Österreichs Luftabwehr setzt jahrzehntelang ausschließlich auf Rohrwaffen, nicht auf Raketen. Damit lassen sich zwar Jagdbomber und Hubschrauber bekämpfen, gegen moderne Bedrohungen bleibt das System jedoch weitgehend wirkungslos.
Das ändert sich erst nach dem Slowenien-Krieg von 1991. Bereits am 8. November 1990 erklärt die österreichische Bundesregierung in der Wiener Zeitung, dass das Spezialwaffenverbot obsolet sei.
Im Juni und Juli 1991 wird deutlich, dass die Abschreckungswirkung der österreichischen Luftverteidigung unzureichend ist: Jugoslawische Militärflugzeuge durchqueren ungehindert den österreichischen Luftraum. Dies markiert den Startschuss für die erste Beschaffung von Luftabwehrraketen.
1995 erhalten die österreichischen Fliegerabwehr-Regimenter 72 Werfer für Mistral-Kurzstreckenraketen, während die Draken-Jagdflugzeuge mit Sidewinder-Raketen nachgerüstet werden. Doch dabei bleibt es im Wesentlichen bis heute. Angesichts des Endes des Kalten Krieges wird der weitere Ausbau der Luftabwehr vernachlässigt. Die heutigen Iris-T-Raketen des Eurofighters sind ebenfalls nur Kurzstrecken-Luft-Luft-Raketen – eine echte Weiterentwicklung der Flugabwehr bleibt aus.

Punkt 3: Das Ende des INF-Vertrages
Was nicht stehen bleibt, ist die politische und technische Entwicklung.
2013/14 werfen sich die USA und Russland gegenseitig INF-Vertragsverletzungen vor. Die USA erwischen Russland bei Tests von Systemen der verbotenen Reichweitenkategorie. Die Bezeichnung „9M729” landet als Beweis auf dem Verhandlungstisch.
Russland sieht in den US-Angriffsdrohnen Systeme, deren Leistung „zu 100 Prozent mit bodengestützten Marschflugkörpern” übereinstimmt. Zudem stationiert Russland Raketen vom Typ 9K720 Iskander-M in Kaliningrad. Die USA stationieren das Raketenabwehrsystem Aegis Ashore in Rumänien und Polen.
Am 2. Februar 2019 verkündete die erste Trump-Regierung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist den Austritt aus dem INF-Vertrag.
Punkt 4: Immer mehr Raketen
Letztlich sind all dies nur Symptome eines technischen Fortschritts, der sich weder in den INF-vertraglich gebundenen Staaten noch in jenen Ländern, die nicht daran gebunden sind, aufhalten lässt.
Während NATO und Warschauer Pakt an den INF-Vertrag gebunden sind, entwickelt Israel zunächst gemeinsam mit Persien, später mit Südafrika, die Jericho 2 – eine Mittelstreckenrakete, die Ende der 1980er-Jahre einsatzbereit ist. Nordkorea startet 1993 mit der Hwasong-7 erstmals eine Rakete, die in die INF-Kategorie fällt. Der Iran folgt 1998 mit der Shahab-3, Pakistan erreicht diese Reichweite ab 2003 mit der Shaheen-I, und Indien zieht 2010 mit der Agni-I nach.
Doch nicht nur ballistische Raketen, sondern auch Marschflugkörper und Drohnen dominieren zunehmend die INF-Reichweitenkategorie. In den 1990er-Jahren entwickelt Israel mit der Loitering-Munition IAI Harpy eine neue Waffengeneration. 2010 präsentiert der Iran den Marschflugkörper Karrar mit 1.000 Kilometer Reichweite und 230 Kilogramm Nutzlast.
Sie sind die Vorboten einer Entwicklung, die heute den größten Anteil der Abstandslenkwaffen ausmacht: Fast jeder kann sie entwickeln. Alle können sie sich leisten. Immer mehr Staaten haben sie im Arsenal.

Punkt 5: Immer mehr Drohnen
Ab Mitte der 1990er-Jahre gewinnen hocheffiziente Kolbenmotoren – ursprünglich für Klein- und Ultraleichtflugzeuge entwickelt – zunehmend an Bedeutung für unbemannte Luftfahrzeuge (UAV). Motoren des österreichischen Herstellers Rotax treiben MALE-UAVs wie die RQ-1 Predator an. Diese zunächst unbewaffneten Aufklärungsdrohnen (-> Zum Militär Aktuell-Drohnen-Schwerpunktthema) werden später mit Waffen ausgerüstet und können als unbemannte Motorsegler bis zu 24 Stunden in der Luft bleiben, dabei hunderte Kilometer zurücklegen und teils per Satellitensteuerung operieren.
Die jüngste Evolutionsstufe sind fliegende unbemannte Bomben wie die Shahed-136. Angetrieben von einer unlizenzierten Kopie eines Limbach-Kolbenmotors, tragen sie Sprengköpfe von 30 bis 50 Kilogramm über Distanzen von weit über 1.000 Kilometer. Die Steuerung erfolgt über zivile Satellitennavigationsnetze, WLAN oder Mobilfunk im Zielgebiet.
Im Vergleich zu Cruise Missiles, die rund zehn Millionen Euro pro Stück kosten, sind diese UAV mit etwa 50.000 Euro extrem kostengünstig. Diese Technologie ist längst nicht mehr nur Staaten und Militärs vorbehalten – auch Rebellen- und Terrorgruppen verfügen mittlerweile über solche Systeme, weshalb die Zahl der Länder und Gruppen, die über diese Waffensysteme verfügen oder sie selbst produzieren, stetig wächst. Österreich liegt mittlerweile in Reichweite von über einem Dutzend außereuropäischer Staaten, die solche bewaffneten UAV beschafft haben.

Punkt 6: Der strukturelle Wandel im Luftkrieg
Während die Luftkriege der Operation „Desert Storm” (Irak 1990) und der „Operation Allied Force” (Jugoslawien 1999) noch von Kampfflugzeugen geprägt waren, die über ihre Ziele flogen und ungelenkte sowie gelenkte Bomben abwarfen, hat die Entwicklung der Waffentechnologien die Art, wie Ziele aus der Luft angegriffen werden, grundlegend verändert.
Leistungsfähigere bodengestützte Fliegerabwehrsysteme zwingen bemannte und teure Kampfflugzeuge zu größeren Entfernungen. Gleichzeitig ermöglichen immer kleinere und effizientere Lenksysteme präzise Treffer auf sehr große Distanzen. Dies führt zu einem intensiveren Einsatz sogenannter „Standoff-Waffen”, die vom Boden, von Kampfflugzeugen sowie von Schiffen und U-Booten gestartet werden können. Die Fluggeschwindigkeiten reichen von etwa 200 km/h bis hin zum Hyperschallbereich (Mach 6+), während die Flughöhen von Bodennähe bis zu hohen ballistischen Kurven außerhalb der Atmosphäre variieren.
Das Ziel des Angreifers ist es, die Abwehrkapazitäten des Verteidigers sowohl räumlich als auch zeitlich zu übersättigen, so dass ein meist kleiner Teil der gestarteten Waffen am Ende doch das Ziel erreicht. Daraus resultieren „Angriffswellen”, die darauf abzielen, die Verteidigungsressourcen des Gegners zu erschöpfen.
Punkt 7: Krieg in der Ukraine
Der russische Angriff auf die Ukraine löst bei der politischen und militärischen Führung Europas einen Schock aus. Die fortwährende, ungezielte Bombardierung ziviler Ziele und das Bewusstsein über den schlechten Zustand der bodengestützten Luftverteidigung machen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in der deutschen Heeresflugabwehrtruppe mobile Waffensysteme wie der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard und das Flugabwehrraketensystem Roland ausgemustert. Ganze Regimenter und Bataillone mit hunderten von Fliegerabwehrsystemen wurden aufgelöst. Auch andere Staaten stehen vor ähnlichen Problemen. Der Nachrüstungsbedarf ist daher überall groß.
In seiner Rede an der Karls-Universität am 29. August 2022 in Prag geht Bundeskanzler Olaf Scholz voran. Er fordert ein besseres Zusammenspiel der Verteidigungsanstrengungen in Europa. Die Vielzahl unterschiedlicher Waffensysteme in der EU sei ineffizient, so Scholz. Training, Wartung und Instandsetzung seien im Vergleich zu den USA teurer und aufwendiger. „Auf das unkoordinierte Schrumpfen europäischer Armeen und Verteidigungsbudgets in der Vergangenheit sollte jetzt ein koordinierter Aufwuchs europäischer Fähigkeiten folgen.”

Punkt 8: European Sky Shield Initiative (ESSI)
Deutschland initiiert daraufhin die European Sky Shield Initiative (ESSI). Im Fokus dieser rüstungswirtschaftlichen Initiative stehen zunächst deutsche Systeme und deren Bedarf. Konkret fördert Deutschland das Iris-T-System von Diehl Defence sowie das Skyranger-System von Rheinmetall (-> Das Bundesheer wird Skyranger-Erstkunde). Da Deutschland zudem über US-amerikanische Patriot-Systeme verfügt, wird auch der gemeinsame Einkauf dieser Raketen vorangetrieben. Dies führt zu Kritik aus Paris, da das französisch-italienische SAMP/T NG-System in diesem Rahmen außen vor bleibt.
Im Zentrum der ESSI steht die gemeinsame Beschaffung, Ausbildung sowie die logistische Koordination im Bereich der bodengestützten Luftverteidigung. Innerhalb des ESSI-Rahmens können Teilnehmerstaaten im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) separate Programmvereinbarungen für Projekte wie koordinierten Einkauf, Ausbildung und Übungen abschließen, ohne einzeln an die Industrie herantreten zu müssen.
Die Mitglieder der ESSI sind überwiegend NATO-Länder, die die neu geschaffenen Kapazitäten in die „NATO Integrated Air and Missile Defence” (NATO IAMD) einbringen werden, um die Bündnisverteidigung zu stärken.

Punkt 9: Österreichs Flieger- und Raketenabwehr
Österreich kann als neutrales Land nicht an der NATO IAMD teilnehmen. Der Landesverteidigungsbericht spricht daher dezidiert nicht (!) von einer gemeinsamen Nutzung der Fliegerabwehr-Lenkwaffensysteme im Rahmen der European Sky Shield Initiative oder der NATO IAMD.
Die zugrunde liegende Abwehrstrategie, die vom Bundesheer verfolgt wird, basiert – wie international üblich – auf einem System von „Abfangschichten”. Diese Schichten werden durch verschiedene bodengestützte Waffensysteme und deren Sensoren sowie durch Luftfahrzeuge mit ihren Waffen und Sensoren realisiert.
Bereits in Umsetzung sind die Modernisierung der 35-Millimeter-Fliegerabwehrkanonen und der Mistral-Kurzstreckenraketen sowie die Beschaffung der Skyranger 30-Fliegerabwehrkanonenpanzer. Diese Systeme bilden die innerste Schicht zum Schutz von Objekten und werden als V-SHORAD (Very Short Range Air Defense) bezeichnet.

Darüber hinaus plant Österreich laut Landesverteidigungsbericht zunächst die Aufstellung von zwei eigenen Fliegerabwehrbatterien mit einem Fliegerabwehr-Lenkwaffensystem mittlerer Reichweite. Im Fokus steht dabei – wie auch im Bericht erwähnt – das Iris-T-System. Die Rakete ist bereits am Eurofighter eingeführt und in einer bodengestützten Version sowohl als Kurzstrecken- als auch als Mittelstreckenvariante verfügbar. Damit können die Abfangschichten SHORAD (Short Range Air Defense) und MRAD (Medium Range Air Defense) mit einem einzigen System abgedeckt werden. Dieser Ansatz ist bereits im „Aufbauplan 2032+” (-> Generalleutnant Bruno Hofbauer im Militär Aktuell-Interview über die Fortschritte beim „Aufbauplan 2032+”) vorgesehen.
Noch nicht entschieden ist die Frage der Langstrecken-Abwehr (LRAD, Long Range Air Defense). Diese Systeme würden dann auch über begrenzte Kapazitäten zur Abwehr ballistischer Raketen (BMD, Ballistic Missile Defense) verfügen. Seit 15. November 2023 gibt es einen einstimmigen Ministerratsbeschluss zum Aufbau einer Long Range Air Defence.

Die fliegenden Kräfte zur Abwehr von Bedrohungen aus der Luft sind nach Geschwindigkeit und Höhe gestaffelt.
Tiefe und langsame Ziele können mit den Hubschraubern Black Hawk und AW169 sowie der Pilatus PC-7 abgefangen und bekämpft werden. Für Ziele in mittleren Höhen und mit hoher Unterschallgeschwindigkeit ist der zu beschaffende Advanced Jet Trainer M-346FA vorgesehen.
Für große Höhen und schnelle Reaktionen sind die überschallschnellen Eurofighter-Kampfflugzeuge ideal. Von großer Bedeutung sind auch die Radar- und Infrarot-Sensoren der M-346FA und Eurofighter-Jets, die es ermöglichen, den Raum hinter Hügeln und Bergen auszuleuchten, der bei bodengebundenen Sensoren einen „Radarschatten” bildet.
Das Ziel dieser vielschichtigen „Zwiebel” ist es, alle potenziellen Ziele so früh wie möglich zu erfassen und kosteneffizient abzufangen. Falls dennoch alle vorgelagerten Schichten durchbrochen werden, soll das Luftziel im Endanflug auf ein Schutzobjekt durch die Nahverteidigung ausgeschaltet werden. Die Durchhaltefähigkeit für einen solchen Einsatz ergibt sich, wenn die teuersten und leistungsfähigsten Abwehrmittel nur dann zum Einsatz kommen, wenn verfügbare Zeit und Raum keine kostengünstigeren Mittel mehr ermöglichen.
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Punkt 10: Die Neutralität und die Grenzen des Machbaren
Es liegt in der Natur der Flieger- und Raketenabwehr, dass man es häufig mit hohen und sehr hohen Geschwindigkeiten zu tun hat, was kurze und teils extrem kurze Reaktionszeiten erfordert.
Ein Marschflugkörper mit Jet-Antrieb würde den österreichischen Zentralraum in 25 bis maximal 30 Minuten durchqueren. Eine Shahed-Drohne mit Kolbenmotor/Propeller-Antrieb bräuchte rund zwei Stunden. Die Vorwarnzeiten sind dabei kurz. Bestenfalls können die Goldhaube-Radaranlagen tieffliegende Luftfahrzeuge in einem Umkreis von etwa 200 Kilometer jenseits der Landesgrenzen erkennen. Ab diesem Punkt wird die Erdkrümmung relevant, und in vielen Fällen treten bereits viel früher die „Radarschatten” hinter Hügeln und Bergen auf.
Wie sehr auch die NATO an ihre Grenzen stößt, zeigen Einzelfälle von Drohnen und Marschflugkörpern, die den NATO-Luftraum durchquerten, ohne abgeschossen zu werden. In Polen, Rumänien und der neutralen Republik Moldau wurden mehrfach russische Flugkörperüberflüge und Einschläge gemeldet. Der bislang dramatischste Fall war eine offenbar defekte ukrainische Angriffsdrohne, die in etwa 1.000 Meter Höhe über Rumänien und Ungarn bis nach Kroatien flog und in einem Park in Zagreb abstürzte. All dies geschah unter den wachsamen Augen des österreichischen Goldhaube-Radarsystems. Dies macht deutlich, dass Österreich sich im Ernstfall nicht einfach auf die NATO verlassen kann und darf.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der österreichische Luftraum bewusst oder ungewollt zumindest von Durchflügen solcher Waffen betroffen wird, steigt allein durch die immer stärkere Verbreitung und Nutzung dieser Langstreckensysteme.
Was noch möglich ist und was nicht mehr, erklärte im vergangenen Jahr Walter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, bei einer Sky Shield-Infoveranstaltung im Parlament. Er machte klar, dass die Befehlsgewalt zum Abschuss von Flugobjekten im österreichischen Luftraum jedenfalls bei Österreich bleiben muss. Eine Kooperation bei Beschaffung und Wartung, wie sie bereits teilweise bei den Luftfahrzeugen des Bundesheeres praktiziert wird, wäre jedoch möglich.

Der Austausch von Luft- und Weltraumlagedaten mit den Nachbarländern ist nur in Friedenszeiten möglich. Österreich hat bereits einen Staatsvertrag zur „Grenzüberschreitenden Luftraumüberwachung” mit der Schweiz sowie ein Luftsicherheitsabkommen über die Zusammenarbeit gegen nichtmilitärische Bedrohungen mit Deutschland abgeschlossen. In einem erklärten Krieg gilt jedoch grundsätzlich die Bündnisfreiheit sowie die Gleichbehandlung der Kriegsparteien. Ein Datenaustausch mit nur einer Konfliktpartei würde der immerwährenden Neutralität widersprechen.
Die Neutralität stellt hier eine selbst auferlegte Einschränkung dar, die de facto auch ein Kostentreiber ist. Denn wie der Krieg in der Ukraine zeigt, ist Vorwarnung entscheidend für die Abwehr solcher Bedrohungen. Die Ukraine hat die Möglichkeit, oder erhält Informationen darüber, wann russische Bomber von ihren Einsatzbasen starten, um in Gebiete zu fliegen, von denen sie ihre Abstandswaffen abfeuern. Das Zeitfenster, in dem die Lenkwaffen in den Luftraum eintreffen, lässt sich dann sehr präzise kalkulieren. Diese Fähigkeit zur autonomen Informationsbeschaffung ist mit hohen Kosten verbunden.
Es ist jedoch auch klar, dass die bewaffnete Neutralität der Republik Österreich die Pflicht mit sich bringt, die militärische Nutzung und „Unverletzlichkeit” des österreichischen Staatsgebiets – einschließlich des Luftraums – „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln” zu wahren und zu verteidigen. Deshalb gewinnt die Flieger- und Raketenabwehr zunehmend an Bedeutung.
Das Wichtigste nochmals in aller Kürze:
- Bis November 1990 galt für Österreich das „Spezialwaffenverbot”, das unter anderem auch Fliegerabwehrraketen verbot.
- Die Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion 1991 markiert das Ende des Kalten Krieges. Statt einer Nachrüstung mit Raketen, die das Bundesheer bis 1990 gar nicht haben durfte, kam es unter dem Titel „Friedensdividende” zur Abrüstung – in ganz Europa, auch bei den Fliegerabwehrfähigkeiten.
- Während ab 1987 für die NATO- und Warschauer-Pakt-Staaten der INF-Vertrag ballistische Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbietet, entwickelten diverse andere Länder Waffen in diesen Reichweitenkategorien.
- Im August 2019 endete der seit 1987 laufende INF-Vertrag zwischen der NATO und Russland.
- Im Luftkrieg kommen immer mehr Waffen mit sehr großen Reichweiten zum Einsatz.
- Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 spricht der deutsche Kanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende. In einer Rede an der Karls-Universität am 29. August 2022 in Prag sprach er nach dem „zurückliegenden unkoordinierten Schrumpfen europäischer Armeen” über einen „koordinierten Aufwuchs europäischer Fähigkeiten”.
- Das Bundesheer konzipiert seine Flieger- und Raketenabwehr neu.
- Neutralität schützt nicht, sondern verpflichtet.
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