Am 14. April berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax um 2.00 Uhr früh unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium, dass auf dem Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, dem Lenkwaffen-Kreuzer der Slawa-Klassse „Moskwa”, „in Folge eines Feuers Munition detoniert” sei. Die Auswirkungen dürften beträchtlich gewesen sein, wenn in der Erklärung beschrieben wird, dass infolge eines Feuers das Schiff schwer beschädigt wurde und die Besatzung vollständig evakuiert werden musste. Man fügte hinzu, dass „die Ursache des Feuers untersucht wird”. Mittlerweile vermelden internationale Medien den Totalverlust des Schiffes.
Die anfängliche Erklärung wurde auch von der (noch immer) „abseits der russischen Systemmedien stehenden” Zeitung Kommersant übernommen und Stunden später dann sogar von Russian Today (RT, siehe Screenshot rechts).
Natürlich: Wie in jedem Krieg hat auch jetzt jede Seite ihre eigene „Prawda” (Wahrheit) und geht es nach der Ukraine, dann wurde mit der „Moskwa” die größte Oberflächeneinheit der russischen Marine im Schwarzen Meer von zwei landgestarteten Anti-Schiffs-Raketen Neptun getroffen. Das berichtet jedenfalls die Ukrainskaja Prawda unter Berufung auf den Leiter der regionalen Militärverwaltung von Odessa, Masim Marchenko. Noch gibt es dazu keine offizielle Bestätigung und keinen Kommentar von Kiews Militär, in dem Kurzbericht werden aber UP-Geheimdienstquellen zitiert, welche die Information bestätigen würden. Demnach sollen um (lokal) 1.05 Uhr morgens von der „Moskwa” Notrufe gesendet worden sein und vier russische Schiffe seien – während ein starker Sturm mit 2-Meter-Wellen herrschte – zu der Stelle zwischen Odessa und Nikolaew etwa 20 Seemeilen von der Zmeiny Insel entfernt gelaufen, an der sich das russische Kriegsschiff befand. Demnach habe es sich dabei um eine große Rettungsaktion für die je nach Mission nominell rund 510 Seeleute starke Besatzung gehandelt, die „Moskwa” sei inzwischen vom Radar verschwunden. Der deutsche Wetterexperte Jörg Kachelmann äußerte sich hinterher übrigens zur Wetterlage in der Region und meinte auf Twitter: „Es gab dort keinen Sturm”.
Diverse westliche Portale und Medienhäuser wie die britische Daily Mail berichten seit den Morgenstunden überhaupt bereits vom ziellosen Treiben bis zum Kentern nach Backbord und dem Sinken beziehungsweise Totalverlust der „Moskwa”. Auch wenn russischerseits noch den ganzen 14. April von einer „ungeklärten Munitionsexplosion” und „Abschleppen im Sturm” die Rede war, lassen Details aus der Auswertung der Funksprüche eher dazu neigen, dass die „Moskwa” schon frühmorgens verloren war. Von den 510 russischen Seeleuten wurden laut türkischen Quellen – und entgegen russischer Meldungen alle „evakuiert” zu haben – mehr als 300 getötet. 54 Seeleute hätte jedenfalls ein türkisches Schiff gerettet. Es gibt mehrere publizierte Protokolle des aufgefangenen Funkverkehrs, laut dem „International Maritime Forum”:
14. April, 1.00 Uhr: Das russische Verteidigungsministerium bestätigt ein „Feuer” als Folge einer Munitionsexplosion an Bord der „Moskwa”.
14. April, 1.05 Uhr: Das „Internationale Maritime Forum” fängt SOS-Signale der „Moskwa” auf.
14. April, 1.14 Uhr: Laut Funksprüchen drehe sich der Raketenkreuzer auf die Backbordseite, es werden weitere Explosionen gemeldet.
14. April, 1.47 Uhr: Die Maschinen fallen total aus.
14. April, 2.07 Uhr: Die Türkei vermeldet nach Auswertung von Aufklärungsdaten, dass die „Moskwa” zu „99,99 Prozent in der kommenden Stunde sinken werde”.
14. April 2.48 Uhr: Türkische und rumänische Behörden haben Erkenntnis, dass der Lenkwaffenkreuzer gesunken ist.
Slawa-Klasse-Lenkwaffenkreuzer
Die Slawa-Klasse-Kreuzer des Projekts-1164 („Atlant”) wurden mit dem Namensgeber „Slawa” ab 1982 bei der Schwarzmeerflotte in Dienst gestellt. 1986 folgte die „Marschall Ustinow” (zur Nordflotte) und 1990 die „Tscherwona Ukraina” (zur Pazifikflotte). 1995 (nach Zusammenbruch der UdSSR) sollte noch die „Admiral Lobow” folgen, das Schiff wurde aber in Nikolajew nicht fertiggebaut. Im Jahr 1995 wurde die „Slawa” in „Moskwa” umbenannt und die „Tscherwona Ukraina” in „Warjag” (Waräger). Die mehr als 12.500 Tonnen großen Schiffe haben ihren – aus russischer Sicht – „Tiefpunkt” in den 1990er-Jahren überstanden, wurden seither alle vier Jahre überholt und häufig bei Manövern von Indien bis in den Pazifik eingesetzt und einst auch bei Besuchen in Norfolk/USA beobachtet. Bei entsprechender Instandhaltung und einer offenbaren Erneuerung der Flugkörper-Hauptbewaffnung (beispielsweise von 16 P-500 Bazalt auf P-1000 Vulkan (700 Kilometer Reichweite) sollten sie zumindest bis 2030 im Dienst der russischen Marine bleiben können (siehe Video unten).
Anti-Schiffs-Lenkwaffe Neptun
Diese ukrainische Weiterentwicklung des einstigen russischen Kh-35-Seezielflugkörpers waren für Kiew nach der Annexion der Krim 2014 das vorrangige Mittel, um ihre Küsten zu schützen, da man über keine schlagkräftige Marine mehr verfügte. Die Beschaffung eines westlichen Systems wurde verworfen, die Entwicklung eines so komplexen Waffensystems (zehn Firmen unter Leitung des Büros Luch in Kiew) war in Folge eine große Anstrengung der ukrainischen Industrie, aber auch eine Gelegenheit eine High-Tech-Waffenindustrie zu dokumentieren. 2018 erfolgte der erste erfolgreiche Flugtest und Ende 2020 bestellte die Ukraine für knapp 25 Millionen Euro eine vollständige RK-360MC-Einheit mit 72 Flugkörpern, die in diesem April hätte aufgestellt sein sollen. Indonesien soll ebenfalls an einer Beschaffung interssiert sein.
Die sechs USPU-360-Starterfahrzeuge können je vier Flugkörper von bis zu 25 Kilometer hinter der Küste starten, das Mineral-U-Radar soll 600 Kilometer und der 870 Kilogramm schwere R-360 Flugkörper (150 Kilogramm Gefechtskopf, im Endanflug in fünf Metern Höhe) bis 300 Kilometer weit reichen. Die Zielaufklärung könnte in diesem Fall – eine offizielle Bestätigung dazu gibt es freilich nicht – eine ukrainische TB-2 Bayraktar übernommen haben, das Radar kurz die Koordination geliefert und der Flugkörper dann im Endanflug das eigene Radar genutzt haben. Aus Sicht der Russen wäre ein Treffer übrigens doppelt bitter, hatte mit Kapitän 1. Klasse Sergej Gorbatschaw doch erst vor ein paar Monaten einer ihrer hochrangigisten Marineoffiziere erklärt, wie veraltet und leicht abzufangen die mit ihrem MS-400 Mantelstromtriebwerk nur unterschallschnelle ukrainische Neptun-Flugkörper wären.
Kapitän Gorbatschow hat mit seiner Aussage natürlich nicht unrecht – vorausgesetzt die Sensoren und CIWS-Abwehrsysteme des Schiffs funktionieren und wurden nicht abgelenkt, geblendet und richtig bedient. Für all das fehlen momentan aber Bestätigungen. Sollte die „Moskwa” tatsächlich verloren gehen beziehungsweise verloren gegangen sein, wäre das jedenfalls der erste Verlust eines großen Kriegsschiffs seit der Versenkung des argentinischen Flaggschiffs „General Belgrano” (ex „USS Phönix”) durch das britische Atom-U-Boot „HMS Conqueror” während des Falklandkrieges 1982. Damit hätte die Schwarzmeerflotte nun keine eigene Flottenluftabwehr mehr und müsste sich unter den Schutz von landgestützen S-400 begeben. Damit verbunden wären alle bekannten und während der vergangenen Wochen festgestellten russischen Kommunikations-Herausforderungen.
Zur Erinnerung
Die Episode wurde zu Kriegsbeginn in diversen Versionen kolportiert und ging sozial-medial viral: Demnach waren die „Moskwa” und das Patrouillenschiff „Vasilij Bykow” jene Schiffe, welche die Verteidiger der kleinen ukrainischen „Schlangeninsel” südlich von Odessa per Funk zur Kapitulation aufforderten. Darauf sollen die Grenzschützer mit dem bereits legendär gewordenen Satz „Russisches Kriegsschiff, fuck you!”, oder – je nach Quelle – „Fahr zur Hölle!” geantwortet haben. Während es zuerst hieß, dass die 13 Mann in Folge gegen die Russen gefallen sind und später sogar von bis zu 80 Mann die Rede war, wurden diese offenbar aber „nur” gefangen und später sogar ausgetauscht. Es gibt sogar ein Foto, auf dem jener Grenzsoldat (Roman Hybrow) mit der legendären Antwort zu sehen ist (die mittlerweile auf Tassen und T-Shirts abgedruckt zu finden ist), als er eine Auszeichnung erhält.