Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Gerald Hainzl, Forscher und Hauptlehroffizier an der Landesverteidigungsakademie in Wien. Wir haben mit dem Experten für afrikanische Sicherheitspolitik über die aktuelle Lage im Sudan gesprochen.

Herr Hainzl, der sudanesische Bürgerkrieg dauert nun bald zwei Jahre an. Was ist der Treiber dieses Konflikts, bei dem über 60.000 Menschen starben und rund zwölf Millionen zu Vertriebenen wurden?
Der Bürgerkrieg im Sudan hat viele Facetten und wird meist sehr vereinfacht als Konflikt zwischen den SAF und den RSF dargestellt. Tatsächlich ist es jedoch nicht EIN Krieg, sondern mehrere gewaltsame Konflikte, die auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen werden. Dies geschieht innerhalb von Gemeinschaften, zwischen unterschiedlichen Gruppen und auf lokaler und nationaler Ebene. Aber auch regionale und internationale Akteure mischen aus unterschiedlichen Gründen im Sudan mit.
Je nachdem, welche Ebene im Konflikt angesprochen wird, haben Fragen der Identität – zum Beispiel ethnische Identität – oder politische Fragen einen wesentlichen Anteil am Konflikt. Auf jeder Ebene sind aber wirtschaftliche Fragen wichtig. Das kann einen Konflikt zwischen Viehzüchtern und Bodenbauern genauso bedeuten wie den Kampf um den Zugang zu Ressourcen für internationale Märkt; Gold wäre dafür ein Beispiel.
Wesentlich für die Komplexität der Situation im Sudan ist, dass sich alle diese Komponenten in unterschiedlicher Weise miteinander verbinden und einen Ausweg aus dieser Situation so schwierig machen. Das bedeutet beispielsweise, dass auf ein Ende des Konflikts zwischen den SAF und den RSF nicht unbedingt ein Ende der Gewalt folgen würde. Interethnische Auseinandersetzungen oder Konflikte um Land bzw. Landnutzung werden auf lokaler Ebene weiterbestehen.
„Es ist nicht EIN Krieg, sondern mehrere gewaltsame Konflikte, die auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen werden.“
Der Kreml hat sich an die Seite der Sudanesischen Streitkräfte (SAF) gestellt. Welche strategische Bedeutung hat der Sudan für Russland?
Russland hat schon seit längerer Zeit Interesse an einer Militärbasis in Port Sudan. Dieses Projekt wurde bereits unter dem damaligen Präsidenten Omar Hassan Al-Bashir betrieben und wurde durch die Entwicklungen im Sudan immer wieder gestört.
Für Russland hätte diese Militärbasis eine hohe strategische Bedeutung. Es unterstreicht auch den russischen Anspruch auf Machtprojektion in diesem Teil Afrikas. Sie würde einerseits die Überwachung über einen besonders für die Europäer wichtige Wasserstraße ermöglichen und andererseits die Möglichkeit schaffen, den Schiffsverkehr nachhaltig zu stören. Falls eine Situation herbeigeführt werden würde, wie sie 2021 durch das Containerschiff Ever Given ausgelöst wurde (de facto Sperre des Suez-Kanals), könnte die europäische Wirtschaft in Bezug auf Lieferketten und fossile Brennstoffe empfindlich getroffen werden.
Während das offizielle Russland offenbar an der Seite der SAF steht, unterstützten russische Wagner-Söldner die Rapid Support Forces (RSF). Welches Ziel verfolgt Moskau mit dieser Vorgehensweise?
Das Engagement der Wagner-Gruppe und die Unterstützung Russlands für die RSF sind sowohl auf Grund der zeitlichen Distanz als auch aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen nicht miteinander vergleichbar. Russland verfolgt als Staat strategische Interessen in der Region und darüber hinaus, während die Wagner-Gruppe und ihre Kooperation mit den RSF im wesentlichen wirtschaftlichen Zielen diente. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa der Abbau von Gold.
Es gab Berichte, wonach ukrainische Spezialeinheiten im Sudan aktiv sind, um russische Interessen zu stören. Gibt es Hinweise, dass diese Operationen nach wie vor andauern?
Während zu Beginn des Jahres 2024 noch einige Medien über ein ukrainisches Engagement im Sudan berichteten, ist es in letzter Zeit relativ ruhig geworden. Lediglich die Financial Times berichtete im September 2024, dass sich pensionierte ukrainische Piloten und russische Scharfschützen im Konflikt auf derselben Seite engagierten und die sudanesischen Streitkräfte unter General Abdel Fattah Al-Burhan unterstützten. Dass ehemalige und aktive Soldaten aus Staaten mit gegensätzlichen Interessen Seite an Seite kämpfen, lässt sich eher aus persönlichen wirtschaftlichen Überlegungen als aus strategischem Kalkül ihrer Herkunftsländer erklären.
„Darauf zu zählen, dass es einen Konsens geben könnte, welche Strategien im Sudan zu einem Waffenstillstand führen könnten, halte ich für sehr optimistisch.“
Was müsste sich im Konflikt ändern, beziehungsweise welche Strategien stehen der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung, um einen Waffenstillstand im Sudan zu erzielen?
Das ist die „1-Million-Euro-Frage”. Je länger die Konflikte dauern, umso komplexer werden auch die möglichen Lösungen sein. Die Bildung einer Art Gegenregierung inklusive Übergangsverfassung durch die RSF und die Einbindung unterschiedlicher Gruppen in diese, wird dem Ziel eines umfassenden Waffenstillstandes nicht sehr dienlich sein.
Die internationale Gemeinschaft hat durchaus unterschiedliche Auffassungen und Interessen im Sudan. Darauf zu zählen, dass es einen Konsens geben könnte, welche Strategien im Sudan zu einem Waffenstillstand führen könnten, halte ich für sehr optimistisch. Pessimistisch betrachtet, könnten im Sudan Stellvertreterkonflikte ausgetragen werden, wie wir sie im 20. Jahrhundert gesehen haben. Ich würde auch ein Zerbrechen des Staates in mehrere Teile nicht ganz ausschließen.
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