Kürzlich fanden auf der Edwards Air Force Base des US-Militärs zum Test Luftkämpfe zwischen zwei F-16-Jets statt, von denen einer von künstlicher Intelligenz (KI) und der andere von einem menschlichen Piloten gesteuert wurde. Meldungen, wonach die US Air Force (USAF) aufgrund der rasant fortschreitenden KI-Fähigkeiten bereits in wenigen Jahren über bis zu tausend autonom gesteuerte F-16 verfügen könnte, sind allerdings aus der Luft gegriffen.
An Bord des modifizierten „Robotervogels” F-16D/X-62A (VISTA, Variable In-flight Simulation Test Aircraft) war Luftwaffenstaatssekretär Frank Kendall, also der höchste zivile Beamte der USAF. Seinem Lächeln zufolge, nach einer vollen Stunde Experimentalflug gegen einen menschlichen Piloten in der anderen F-16, scheint Kendall von den Fähigkeiten der KI, Kampfhandlungen zu führen und auch schon zu entscheiden, ob und wann die Waffen eingesetzt werden sollen, bereits voll überzeugt zu sein. Kendall wurde von einem Sicherheitspiloten auf dem Rücksitz der X-62A begleitet, wie es immer der Fall ist, wenn der autonom gesteuerte Jet in die Luft geht. Die USAF stellt dazu fest, dass die Flugsteuerung sowohl von Kendall als auch vom Sicherheitspiloten während des Einsatzes „gänzlich unberührt blieb”.
Die US-Rüstungsforschungsagentur DARPA berichtete von ähnlichen Erfolgen während der jüngsten Luftkampfversuche, bei denen „das Eingreifen von zwei menschlichen Sicherheitspiloten zu keinem Zeitpunkt während der Evaluierungen erforderlich” gewesen sei. Der Aufbau von Vertrauen in die autonome Flugtechnologie bei menschlichen Betreibern ist eines der Hauptziele des Programms, so die Agentur. Oberstes Ziel sei es, „eine Mensch-Maschinen-Zusammenarbeit zu ermöglichen, die befreundeten Piloten einen Vorteil in immer komplexeren Luftkampfszenarien verschafft. Wir müssen in der Lage sein, diesen Algorithmen zu vertrauen, um sie in einer realen Umgebung einzusetzen”, sagt Lieutenant Colonel Ryan Hefron, der zuständige Programmmanager für die DARPA.
Rote Linie
Die Vorstellung, dass die KI alleine entscheidet, ob sie auf Feinde schießt oder nicht, ist derzeit – wie auch auf einer kürzlichen vom österreichischen Außenministerium organisierten Konferenz thematisiert (mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Militär Aktuell, -> hier geht es zum Abo) – noch eine „rote Linie”. KI-Spezialisten, Zukunftsforscher sowie humanitäre Organisationen weisen auf die zahlreichen Gefahren hin, die mit einer solchen Entscheidung verbunden wären. Zum Beispiel könne nur schwer kontrolliert werden, wie Künstliche Intelligenz darüber entscheidet, ob sie feuert oder nicht. Ähnliche Bedenken gibt es aber nicht nur im militärischen Bereich, sondern beispielsweise auch rund um den großflächigen Einsatz autonom gesteuerter Fahrzeuge.
Keine 1.000 „ausrangierten” F-16
Die Meldung von Kendalls bemerkenswertem Flug in der experimentellen F-16/VISTA, haben diverse Medien und Portale zu der Annahme verleitet, dass es sich bei den von Kendall vor drei Monaten am Rande des 2024 Air & Space Forces Association Warfare Symposium in Aurora angekündigten 1.000 KI-gesteuerten Plattformen ab 2028, um abgestellte – und dann mit KI-Fähigkeiten „aufgerüstete” – F-16 handeln könnte. Das ist allerdings ein Irrtum.
Bei den geplanten 1.000 Plattformen handelt es sich vielmehr um sogenannte „Collaborative Combat Aircraft”, kurz CCA. Dabei handelt es sich um eine Familie unbemannter und Luft/Luft- und/oder Luft/Boden-bewaffneter Luftfahrzeuge mit fortschrittlicher Autonomie und Stückkosten von einem Drittel bis zu einem Viertel eines F-35. Basierend auch auf Erkenntnissen aus dem VISTA-Programm streben die USA damit eine beträchtliche Erhöhung ihrer insgesamt einsatzbereiten Jäger und Bomber an, um etwa im Falle einer Konfrontation mit China, die zahlenmäßigen und qualitativen Vorteile Pekings speziell in Westpazifik/Taiwan-Szenarien auszugleichen.
Klassische namhafte Hersteller nicht mehr im Rennen
Bereits am 24. April hat die USAF bekannt gegeben, dass man die Zahl potenzieller CCA-Lieferanten (Kendall: „Wir brauchen mindestens zwei, hätten aber gerne drei”) – einige der Designs fliegen bereits – von fünf auf zwei reduziert habe. Nun sollen nur mehr General Atomics Aeronautical Systems (bekannt für MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper) sowie der Newcomer Anduril ihre Konzepte weiterentwickeln, während – unerwartet – Boeing, Lockheed Martin und Northrop-Grumman nur mehr „unterstützend in der Forschung und Entwicklung KI-gestützter Robotik mitarbeiten werden”.
Die Zahl von 1.000 CCA – laut Kendall eine anfängliche Flottengröße, die später deutlich steigen könne – basiert auf einem Operationskonzept, bei dem zwei dieser hoch unterschallschnellen Stealth-Drohnen mit jeweils 200 getarnten bemannten Kampfjets der künftigen sechsten Generation und 300 F-35A Joint Strike Fightern kombiniert werden. Beides sind Elemente der breiter angelegten „Next Generation Air Dominance” (NGAD)-Initiative der USAF. Kendall hat auf dem zuvor bereits erwähnten Symposium auch erklärt, dass bemannte Flugzeuge in Zukunft mit mehreren CCA als sogenannte „Loyal Wingman” kombiniert werden könnten, wenn die entsprechende Autonomie und andere Technologien dies ermöglichen würden. Denkbar ist, dass beispielsweise von einem Teil der US-amerikanischen F-15EX je zwei CCA ausgesetzt werden, oder etwa zugleich zehn Stück von einem B-52 oder künftig B-21 ins Gefecht geflogen werden.
Möglich ist aber natürlich auch, dass die Plattformen von vorgeschobenen Bodenstützpunkten (bei einer Konfrontation mit China beispielsweise von Stützpunkten im Pazifik aus) starten könnten, beispielsweise mit Unterstützung von Starthilfsraketen). Sie würden in erster Linie gegen chinesische Multiplikator-Plattformen wie AWACS-, AEW-, ELINT-Flugzeuge sowie Tanker wirken.
Umgekehrt verfolgen die Chinesen beispielsweise mit ihren J-20 Stealth-Jets und deren PL-15/21 Lenkwaffen, wohl eine ähnliche Strategie. Von jenen gibt es heute schon über 200 Stück – plus hunderte J-10, J-11, J-15 (Marine), J-16 – und daher wird es wohl rund um China eine jedenfalls numerische chinesische Überlegenheit gegenüber allem geben, was die USA dort – die Rede ist von „the Tyranny of Distance” – im Fall der Fälle in die Luft bringen könnten. Daher brauche es das CCA-Konzept, über welches – und auch über ein heuer am Mitchell-Institute durchgeführtes Wargame – der Autor andernorts ausführlich berichtet hat.
Streitkräfte-übergreifender Ansatz
Während eines weiteren Podiumsgesprächs über CCA auf dem Warfare Symposium sagte Brigadegeneral Jason Voorheis, (USAF Program Executive Officer for Fighters and Advanced Aircraft), dass „das CCA-Programm ein Konsortium von mehr als 30 Industriepartnern hat, die in den Bereichen Autonomie, Luftfahrzeuge, Bildverarbeitungssysteme und Softwareentwicklung teilnehmen”. Im selben Gespräch kündigte er auch an, dass die USAF ihr bereits bestehendes Tri-Service-CCA-Abkommen mit der Marine und dem Marinekorps auf das US Spezialoperations-Kommando ausweiten wolle. „Die bestehende Vereinbarung konzentriert sich auf die Zusammenarbeit in vier Schlüsselbereichen: Missionssystemarchitektur, Autonomiearchitektur, Bodensegmente und Datenverbindungen”, erläuterte er. Die US-Marine hat bereits erklärt, dass ein Hauptziel dieser Zusammenarbeit darin besteht, die nahtlose Übertragung der Kontrolle über CCA, unabhängig davon, welcher Dienst sie benutzt, zu ermöglichen.
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