In einem historischen Schritt, der – entgegen zahlreicher Befürchtungen der vergangenen Monate – Washingtons erneuertes Engagement für die kollektive Verteidigung unterstreicht, haben die USA am 7. Oktober offiziell den Export von mehreren Tausend Raytheon AIM-120 AMRAAM-Luft-Luft-Lenkwaffen der Varianten C-8 und D-3 im Gesamtwert von 35,8 Milliarden Euro bekannt gegeben.
Die Lieferung erfolgt im Rahmen mehrerer Großrüstungsverträge und markiert das bislang größte Luft-Luft-Waffengeschäft der Geschichte.
Der Schritt stärkt die Luftstreitkräfte der Verbündeten von Europa bis in den Indopazifik in einer Phase wachsender Spannungen mit China und zunehmend auch Russland. Zudem wird damit die AMRAAM mehr oder weniger zum einheitlichen Standard westlicher Luftkampfoperationen.
Nun noch besser: AIM-120D-3
Die AIM-120 AMRAAM, entwickelt von Raytheon und heute Teil der RTX Corporation, prägt seit ihrer Einführung Anfang der 1990er-Jahre die westliche Luftkriegsführung. Die „Fire-and-Forget”-Rakete hat sich seit dem Zweiten Golfkrieg 1991 in mehreren Konflikten bewährt und 17 bestätigte Luftsiege erzielt. Sie ist die weltweit am weitesten verbreitete aktiv radargelenkte Luft-Luft-Rakete und in mehr als 40 Ländern auf 14 Flugzeugtypen integriert. Ihre Entwicklung steht für drei Jahrzehnte fortlaufender Modernisierung, die in zwei aktuellen Produktionslinien gipfelt – einer für den Export und einer für die US-Streitkräfte.

Mit einer offiziellen Reichweite von bis zu 160 Kilometern in der neuesten D-Serie verschafft die AMRAAM Piloten einen entscheidenden Vorteil, um im umkämpften Luftraum zuerst zuzuschlagen und feindlichem Feuer zu entgehen. Die AIM-120C-8, die primär für den Export vorgesehen ist, bietet verbesserte Resistenz gegen elektronische Gegenmaßnahmen (ECM), optimierte Lenklogik und eine größere Reichweite. Sie ist maßgeschneidert für Plattformen wie F-16, Eurofighter Typhoon und F-35.
Die AIM-120D-3, ursprünglich für US Air Force (USAF) und US Navy entwickelt, ist nun auch für ausgewählte Verbündete verfügbar. Sie verfügt über bidirektionale Datenverbindungen, GPS-gestützte Navigation, 15 verbesserte Steuerplatinen mit Software-Upgrade-Fähigkeit und eine modernisierte Steuerlogik für Hochgeschwindigkeitsmanöver. Zudem garantiert sie volle Kompatibilität und Langlebigkeit über alle Bestände hinweg.
Dank ihrer Fähigkeit, Marschflugkörper, Drohnen und tieffliegende Flugzeuge abzufangen, hat sich die AMRAAM zu einer vielseitigen Dual-Domain-Waffe entwickelt – relevant sowohl für die Heimatverteidigung als auch für offensive Operationen. Ihre Anpassung an das bodengestützte National Advanced Surface-to-Air Missile System (NASAMS) macht sie zu einem zentralen Bestandteil moderner integrierter Luftverteidigungssysteme.
Brigadier Wolfgang Luttenberger über Militärluftfahrt und digitale Kriegsführung
Produktion und Lieferketten
Unter dem als „One Big Beautiful Bill” bezeichneten 2025er-Verteidigungshaushalt von US-Präsident Donald Trump soll die Jahresproduktion der AMRAAM bis 2027 von derzeit rund 1.200 auf 2.400 Einheiten verdoppelt werden – für nationale wie internationale Bestellungen. Ein Mitte des Jahres unterzeichneter Rahmenvertrag im Wert von 654 Millionen Euro umfasst langfristige Wartung, Komponenten-Upgrades und Software-Modernisierungen bis zum Ende des Jahrzehnts.
Die Hauptproduktion erfolgt weiterhin in den Raytheon-Werken in Arizona und Alabama, ergänzt durch Komponentenpartnerschaften mit Mitsubishi Heavy Industries (Japan) und BAE Systems (Großbritannien). Das Programm sichert über 5.000 qualifizierte Arbeitsplätze in den USA und entlang der internationalen Lieferketten – ein wirtschaftlicher Anreiz, der parteiübergreifend breite Unterstützung im US-Kongress findet.
Mehr als 30 Empfängerländer
Die Genehmigung umfasst sowohl bestehende als auch neue Nutzer, die in der FMS-Benachrichtigung (Foreign Military Sales, FMS) aufgeführt sind. Dazu gehören das Vereinigte Königreich, Polen, Deutschland, Finnland, Australien, Rumänien, Katar, Oman, Südkorea, Griechenland, die Schweiz, Portugal, Pakistan, Singapur, die Niederlande, die Tschechische Republik, Japan, die Slowakei, Dänemark, Kanada, Belgien, Bahrain, Saudi-Arabien, Italien, Norwegen, Spanien, Kuwait, Schweden, Taiwan, Litauen, Israel, Bulgarien, Ungarn und die Türkei.

US-Verteidigungsbeamte bezeichnen das AMRAAM-Exportnetz als Rückgrat eines mehrschichtigen, interoperablen Luftverteidigungssystems, das künftig durch gemeinsame Zieldaten, kompatible Software und vereinheitlichte Logistik eine abgestimmte Koordination zwischen NATO– und Indopazifik-Streitkräften ermöglicht.
Konkrete Stückzahlen wurden bislang – mit Ausnahme Deutschlands – noch nicht veröffentlicht. Produktion und Auslieferung sollen bis 2030 laufen, um die Versorgung in einer Zeit wachsender globaler Spannungen sicherzustellen. Die Zulassung fällt auch in eine Phase zunehmender technologischer Konkurrenz im Bereich „Beyond Visual Range” (BVR), wo Gegner wie China und Russland mit Systemen wie der PL-15 und R-37M aufholen.
Einige heikle Empfänger …
Interessant dabei ist, dass die Einbeziehung verschiedener Empfänger – von denen einige historisch durchaus heikel sind, wie die Türkei, Israel und Pakistan – Washingtons Versuch zeigt, mehrere regionale Gleichgewichte gleichzeitig zu stabilisieren und zugleich seinen langfristigen Einfluss auf Wartung, Upgrades und digitale Feuerleitschnittstellen zu erhalten.
„Exercise Konkan“: Britische und Indische Streitkräfte üben mit Flugzeugträgern
Was Pakistan betrifft, ist es eine überraschende, aber bewusste Inklusion. Ein Versuch, den Einfluss auf den Kurs Islamabads zu bewahren und gleichzeitig die chinesische Dominanz über das JF-17/PL-15-Ökosystem zu begrenzen. US-Geheimdienste sollen jedoch Bedenken haben, so sensible Technologien wie die neuesten AIM-120 an Länder wie Pakistan zu verkaufen, die wiederum enge „brüderliche” militärische Verbindungen zu Staaten wie der VR China unterhalten oder deren Streitkräfte von Personen geführt werden, die seit Jahrzehnten familiäre Beziehungen zu Osama bin Laden, al-Qaida, den Taliban und ähnlichen Gruppierungen haben. Das dürfte auch Indien so sehen – derzeit in einem etwas abgekühlten Verhältnis zur neuen US-Administration.
Dazu kommen die sich gegen Russland verteidigende Ukraine (-> Aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) mit ihren gebrauchten F-16 sowie das aufgrund Chinas wachsender Macht stets heikle Taiwan. Das signalisiert, bei aller europäischen Sorge um Rückzug oder Selbstisolation, auch die erneute Absicht der USA, rivalisierende Waffenexporteure, insbesondere Chinas schnell wachsenden Raketenexportmarkt, zu unterbieten. Damit soll die westliche Dominanz sowohl beim Beschaffungsvolumen als auch bei der Glaubwürdigkeit der Gefechtsfeldleistung gestärkt werden. Zudem geht es – wie von Experten seit Jahren kritisch hervorgehoben wird – angesichts anhaltender globaler Operationen und des Kriegs in der Ukraine um sich im Ernstfall rasch erschöpfende Vorräte. Auch hier wollen die USA und ihre Verbündeten ihre Überlegenheit in einer möglichen Eskalation wahren.

… und wichtige US-Alliierte
Japan, bereits ein großer AMRAAM-Betreiber, hatte zuvor einen Vertrag über rund 1.200 Raketen abgeschlossen, um seine F-35A- und modernisierten F-15J-Kampfflugzeuge auszurüsten. Die neue Genehmigung gewährleistet Tokios langfristige Munitionssicherheit angesichts der zunehmenden Bedrohung durch chinesische und nordkoreanische Raketen.
Das Vereinigte Königreich, Australien und Südkorea zählen ebenfalls zu den Hauptnutznießern, da die Standardisierung für F-35-Nutzer verbessert und eine nahtlose Interoperabilität bei multinationalen Einsätzen gewährleistet wird. Durch die Ausstattung Japans, Südkoreas und Australiens mit Langstrecken-BVR-Fähigkeiten stellen die USA sicher, dass ihre Verbündeten auch in Szenarien mit reduzierter amerikanischer Präsenz effektiv operieren können.
Israel erhält fortschrittliche Raketen der D-Serie, die mit seinen F-15I- und F-35I-Adir-Plattformen kompatibel sind, und verbessert damit sowohl seine regionale Abwehr- als auch Angriffsbereitschaft für mögliche Iran-Szenarien. Die Aufnahme der Türkei spiegelt die vorsichtige Wiederaufnahme des US-Engagements nach Jahren der Spannungen über den Erwerb des russischen S-400-Systems durch Ankara wider. Diesbezüglich sprachen die beiden Präsidenten kürzlich im Weißen Haus erneut über F-35- sowie neue F-16-Block-70-Lieferungen.

Sekundärempfänger – darunter Finnland, Norwegen, die Schweiz, Italien, Bahrain und Kuwait – erhalten kleinere, plattformspezifische Lieferungen. Österreich hingegen hat in Bezug auf die lang diskutierte Aufwertung der aus rein innenpolitischen Gründen ohne eigentliche Hauptwaffe – hierzulande als „Allwetter-Radarlenkwaffe” umschrieben – gebliebenen Eurofighter-Tranche-1-Flotte die bis vor zwei Jahren noch verfügbare AIM-120C-7 verpasst.
Von einer C-8-Beschaffung war schon länger nichts zu hören, deren Integration müsste eigens für die T1-Version entwickelt und bezahlt werden. Neue Luftkampf-Lenkwaffen dürften daher erst mit der angekündigten Nachfolge des Eurofighters wieder ein Thema werden.
Deutschland will „best of both worlds“
Für Berlin wurde, als grobe Messgröße für andere, in der Genehmigung des US-Außenministeriums eine Stückzahl von 400 AIM-120D-3-Flugkörpern (inklusive zugehöriger Ausrüstung, Ersatzteile und Zubehör im Wert von rund einer Milliarde Euro) genannt, um das deutsche F-35A-Programm zu unterstützen und die Abschreckungsposition der NATO im Osten zu stärken. Die Lieferung soll im Rahmen des FMS-Programms erfolgen und bedarf noch der Zustimmung des US-Kongresses, die jedoch als wahrscheinlich gilt. Zudem muss auch der Bundestag dem Vorhaben zustimmen.
Einem jüngst veröffentlichten Haushaltsdokument zufolge soll die entsprechende „+25-Mio-Vorlage” zur Aufstockung der AMRAAM-Bestände im Frühjahr 2026 in den zuständigen Ausschüssen (Haushalt und Verteidigung) beraten werden.
Damit könnte die Bundesregierung die Waffe direkt bei RTX beziehungsweise deren Tochtergesellschaft Raytheon beziehen. Mit der Genehmigung ist eine Höchstmenge für die Variante AIM-120D-3 und die zugehörige Ausrüstung festgelegt; diese kann sich allerdings noch ändern und auch US-Abgeordnete könnten den Deal innerhalb von 30 Tagen blockieren, was aufgrund der deutschen Rolle in der NATO jedoch als unwahrscheinlich gilt. „Der geplante Verkauf wird Deutschlands Fähigkeit zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Bedrohungen verbessern, indem er die Luft-Luft-Fähigkeiten für das deutsche F-35-Programm erhöht und die deutschen sowie die gemeinsamen NATO-Planungs-, Ausbildungs- und Einsatzanforderungen unterstützt”, schreibt die US-amerikanische Defense Security Cooperation Agency (DSCA) in einer Pressemitteilung.
Allerdings muss Deutschland – wie Großbritannien – zwei Distanzwaffen beschaffen. Zusätzlich kommt das europäische BVR-Pendant Meteor von MBDA in Betracht. Meteor, dessen Ramjet-Antrieb Reichweiten von bis zu 200 Kilometern ermöglicht, soll dem bestehenden und künftigen Eurofighter Typhoon deutlich mehr Schlagkraft verleihen. Meteor gilt zudem als preislich günstiger: Pro Stück wird sie nach Schätzungen circa eine Million Euro günstiger sein als die neuen AMRAAM. Im November 2024 bestellte die Bundesregierung Meteor-Raketen im Wert von 520 Millionen Euro; man rechnet damit, dass dafür etwa 270 Raketen geliefert werden könnten.

Meteor wird vorläufig jedoch nicht in die F-35 integriert. Die Integration war nie Bestandteil der Erstauslieferung und wurde nicht speziell für Exportkunden zurückgehalten; sie ist Teil des Block-4-Modernisierungsprogramms – und dieses Upgrade wurde für alle Nutzer verschoben, nicht nur für ausländische Abnehmer. Das britische Verteidigungsministerium bestätigte im Juni auf eine parlamentarische Anfrage, dass die Meteor-Integration in die F-35B erneut verzögert ist; die Einsatzfähigkeit wird nun für die frühen 2030er-Jahre erwartet (zuvor war 2027 angestrebt).
Die Integration der Meteor in die F-35 wird vom Lightning II Joint Programme Office (JPO) vorangetrieben. Am 28. Februar bestätigte die Royal Air Force, dass die ersten Testflüge einer inerten Meteor-Rakete an einer F-35B des USMC auf der Naval Air Station Patuxent River erfolgreich verliefen; dabei wurden Umweltdaten gesammelt und das aerodynamische Verhalten als Teil des Integrationsprozesses validiert.
Gekappte Flossen

Meteor „passt” zwar in die internen Schächte der F-35, allerdings nur in einer speziellen Variante mit modifiziertem Leitwerk (shortened-fin variant). Die Standard-Meteor ist 3,7 Meter lang, hat 178 Millimeter Durchmesser und wiegt rund 190 Kilogramm; ihre festen Heckleitflossen waren ursprünglich zu groß für die F-35-Schächte. MBDA hat daher nicht den Rumpf verkürzt, sondern die Leitwerke reduziert, damit die Rakete intern untergebracht werden kann. Erste Kompatibilitätsprüfungen erfolgten bereits 2019. Dabei zeigte sich, dass Meteor mechanisch in den Schacht passt; bei gleichzeitiger Mitnahme unterschiedlicher Waffen ist jedoch eine Anpassung des Heckleitwerks nötig, damit beim Ausklinken keine Kollisionen entstehen. Der Integrator für Meteor am konventionellen F-35A – wie ihn auch Deutschland erhält – ist Italien. Die Umsetzung zieht sich jedoch hin.
Nachfolger in Vorbereitung
Während AMRAAM das Rückgrat des westlichen Luftkampfes bleibt, nähert sich bereits der Nachfolger AIM-260 Joint Advanced Tactical Missile (JATM) der Einsatzreife. JATM, das gemeinsam von der USAF und Lockheed Martin entwickelt wird, verspricht mit über 200 Kilometer eine größere Reichweite, höhere kinematische Leistungsfähigkeit und einen robusteren Sucher. Die USA planen, JATM bis Ende des Jahrzehnts neben der AMRAAM einzusetzen und schrittweise das „Top-Tier”-Inventar zu verlagern, während die Verbündeten zur Wahrung der Interoperabilität weiterhin auf die neueste AMRAAM-Generation setzen.









