Geht es nach den jüngsten Aussagen der Verantwortlichen, wird die US Air Force (USAF, -> aktuelle Meldungen rund um die US-Streitkräfte) in den kommenden Monaten ihre Flottenmodernisierungsprogramme beträchtlich „umkrempeln” und sich damit voll und ganz auf den neuen „Feind” China ausrichten.
Dies kündigte USAF-Sekretär Frank Kendall am 16. September während des Jahressymposions der Air & Space Forces Association (AfA) in der Nähe von Washington DC an. Seine Ausführungen konzentrierten sich auf folgende drei Entwicklungsprogramme, welche derzeit überprüft werden: Die nächste Tranche „kostengünstiger”, autonomer Kampfflugzeuge, als deren Sammelbezeichnung sich Collaborative Combat Aircraft (CCA) inzwischen etabliert hat, das Luftkriegssystem der sechsten Generation der Next Generation Air Dominance (NGAD)-Plattform und ein neuer Tanker als Next-Generation Air-Refueling System (NGAS). Dazu der neue Bomber B-21 (-> Northrops Super-Bomber B-21 fliegt erstmals).
Kendall: „Unsere Absicht ist es, gleichzeitige und gut gestützte Antworten auf die Designkonzepte für CCA, NGAD und NGAS zu erhalten. Bereiten Sie sich in den nächsten Monaten auf Antworten vor.” Und all das hat sehr offensichtlich primär mit der Volksrepublik China und deren steigender militärischer Potenz zu tun, deshalb haben die USA ihren außenpolitischen Fokus ja schon vor Jahren auf die Pazifikregion gelegt. Kendall ist diesbezüglich in einer Linie mit dem stellvertretenden US-Außenminister Kurt Campbell, der neulich klarstellte: „Der Kalte Krieg verblasst im Vergleich zu den vielfältigen Herausforderungen, die China uns stellt.”
CCA sollen als „Vorhut“ agieren
Im Ausstellungsbereich der Konferenz zeigten die beiden Auftragnehmer, die für die erste Entwicklungsstufe der als Begleiter oder „Vorhut” geplanten CCA ausgewählt wurden – General Atomics Aeronautical Systems und Anduril – zum ersten Mal maßstabsgetreue Modelle ihrer beider autonomen Stealth-Kampfflugzeuge XQ-67 beziehungsweise Fury an einem Ort. „Flugfähige Versionen der beiden Geräte werden 2025 zu Testzwecken fliegen und mindestens eine davon wird in den nächsten Jahren in nennenswerter Stückzahl in unserem Bestand sein”, so der oberste politisch Verantwortliche der Teilstreitkraft. In einem früheren Statement hat er in dem Zusammenhang von der Anschaffung von zumindest 1.000 Stück gesprochen.
Der USAF zufolge soll das CAA-Programm „erschwingliche Masse” bereitstellen, um den numerischen Vorteilen bei Kampfflugzeugen und Langstrecken-Präzisionsraketen entgegenzuwirken, die China im Westpazifik – ansteigend – genießt. Luft-Luft-bewaffnete CCA sollen zwar auch allein in gefährlichen Umgebungen betrieben werden können, dennoch sieht die USAF deren Hauptaufgabe immer noch darin, Kampfflugzeuge zu unterstützen, einschließlich aktueller Modelle wie der Lockheed Martin F-22 und F-35, der Boeing F-15EX sowie der geplanten Nachfolgegeneration NGAD.
NGAD scheint zu teuer zu werden
Der NGAD wurde vor einem kürzlichen Schwenk der USAF hin zu kostengünstiger Autonomie konzipiert. Kendall beschreibt die ursprüngliche Vision als „im Wesentlichen einen F-22-Ersatz” und bezieht sich dabei auf den ikonischen Lockheed-Tarnkappenjäger zur Luftüberlegenheit, der nur von der USAF betrieben wird und auch den nächsten Alliierten Japan und Australien nicht gegeben wurde.
Mit Blick auf die Leistbarkeit hat hier das Pentagon seinen Kurs kürzlich allerdings neu überdacht. Im Rahmen einer Branchenausschreibung im Jahr 2023 hoffte die USAF, bis Ende 2024 einen NGAD-Auftragnehmer auswählen zu können. Nachdem sich Northrop Grumman aus dem Projekt zurückgezogen hatte, galten Boeing und Lockheed als die verbleibenden Finalisten. Boeing ging sogar so weit, fast zwei Milliarden Euro in den Bau einer neuen Fabrik zu investieren, die auf die Produktion noch fortschrittlicherer Kampfflugzeuge als den heutigen ausgerichtet ist.
Aber die aktuellen NGAD-Designvorschläge, die Kendall als „sehr ausgereift” beschreibt – Testträger-Demonstratoren sind angeblich bereits geflogen – würden noch projektierte Stückkosten haben, die je Plattform denen mehrerer F-35 entsprechen (knapp 80 Millionen Euro für die konventionelle F-35A im Rahmen der jüngsten Produktionsverträge). Kendall hatte wie erwähnt gesagt, dass der NGAD-Vertrag in diesem Kalenderjahr vergeben werden würde. Aber das wird jetzt nicht passieren, auch weil die Preise zu hoch sind. Kendall: „Wir brauchen Stückkosten, die auch in erheblichen Mengen erschwinglich sind.”
Um diesen Prozess zu unterstützen, hat die US-Luftwaffe ein Komitee aus hochrangigen ehemaligen Militärführern zusammengestellt. Sie sollen den neuen Ansatz des Dienstes für NGAD überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten. Zu den Mitgliedern des Gremiums gehören drei ehemalige Stabschefs und zwei weitere Experten:
- Natalie Crawford, ehemalige Top-Analystin und Vizepräsidentin bei RAND, ehemalige Direktorin von „Project Air Force”,
- General a.D. David L. Goldfein (Stabschef von 2016 bis 2020),
- General a.D. John P. Jumper (Stabschef von 2001 bis 2005),
- Paul Kaminski (Veteran der Air Force, Experte für Tarnkappen und ehemaliger Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium für Beschaffung und Technologie von 1994 bis 1997),
- General a.D. Joseph Ralston (stellvertretender Vorsitzender der Joint Chiefs von 1996 bis 2000 und Chef des Air Combat Command von 1995 bis 1996), und
- General a.D. Norton A. Schwartz (Stabschef von 2008 bis 2012).
US-Generalstabschef David W. Allvin sagte in Washington während seiner eigenen Pressekonferenz, die Gruppe bestehe aus „einem breiten Portfolio von Experten mit dem Mandat, unsere Einschätzungen wirklich zu bewerten, sich die Bewertungen anzusehen, die wir durchführen, um sicherzustellen, dass wir in unserer Analyse wirklich nichts übersehen, wie wir die Bedrohung verstehen und wie wir die Fähigkeiten verstehen, die von unserer Luftwaffe erforderlich sein werden, um dieser Bedrohung zu begegnen. Ihre Aufgabe ist es, sich das anzusehen und uns Feedback und Erkenntnisse zu geben, die sie sehen und die uns helfen, diese Analyse durchzuführen, die wir in relativ kurzer Zeit durchführen müssen.” Die Gruppe werde jedoch nicht die endgültige Entscheidung treffen, sagte Allvin. Er und Kendall werden „das letzte Wort darüber haben, was dem Büro des Verteidigungsministers vorgeschlagen wird”. Und natürlich werde der Kongress danach ein Mitspracherecht haben.
Ob das alles schnell zu bewerkstelligen ist, ist allerdings ungewiss. Sollte eine radikale Änderung des NGAD-Programms erforderlich sein, würde dies wahrscheinlich bedeuten, das vorherige Programm zu beenden und mit einer neuen „Reise” durch den Prozess des Joint Requirements Oversight Council des Pentagons von vorne zu beginnen. Dann müsste es auch nochmals durch das Office of Management and Budget gehen und wäre der Prozess wohl nicht vor der Vorlage des Haushaltsplans 2026 abgeschlossen.
Neue NGAS-Station geplant
Um Fähigkeiten des NGAD und anderer „first line”-Plattformen zu unterstützen, benötigt die USAF auch einen schwer(er) ortbaren Betankungsjet, der möglichst nicht mehr auf einem Verkehrsflugzeug basiert und in der Lage ist, in umkämpften Umgebungen mit gleich oder ähnlich hoch gerüsteten Gegnern („near peer adversary”) zu operieren. Kendall erklärte dazu: „Die Bedrohungen, die wir sehen, erstrecken sich jetzt auf immer größere Reichweiten. Das gefährdet sowohl Tanker als auch Transport- und Frühwarnflugzeuge, also alle sogenannten Multiplikatoren. Aber es ist ein besonderes Problem für die Luftbetankung von Kampfflugzeugen zur nötigen Ausdehnung ihres Kampfradius, speziell über pazifische Distanzen.”
Die Lösung der USAF ist der Tanker NGAS, über den aber noch wenig bekannt ist. „Wir haben eine Entwicklung in unserer Strategie zum Ersatz unserer Tankerflotte durchlaufen”, so der Minister. Diese Entwicklung umfasste eine zweijährige, formelle Analyse alternativer NGAS-Fähigkeitsanforderungen, die laut Kendall bald abgeschlossen sein wird.
Der stellvertretende Sekretär der USAF, Andrew Hunter, der für die Beschaffung zuständig ist, sagte, dass die Analyse dem Dienst helfen wird, die Fähigkeiten für die NGAS-Beschaffung festzulegen. Und folglich unternahm die USAF Anfang September einen Schritt zur Entwicklung des neuen Tankers, als sie eine Informationsanfrage (RFI) an die Industrie richtete, die sich aber nur auf nicht näher spezifizierte Missionssysteme für NGAS bezog. Systeme, die laut Kendall auch den Betrieb des zukünftigen Tankers unterstützen würden. Mit ihrer Anfrage will die USAF sicherstellen, dass die Verteidigungsindustrie so früh wie möglich in die Entwicklung einbezogen wird, sagte Hunter und fügt hinzu, dass der Dienst auch eine eigene Anfrage mit Blick auf die eigentlichen NGAS-Flugzeugzelle plant.
Hunter auf Nachfrage: „Der Tanker des Jahres 2040 wird aber nicht nur für Betankung sorgen, sondern dank seiner Tarnkappenfähigkeiten und Schwärmen autonomer Drohnen auch ein wahres ,Mutterschiff der Lüfte’ sein.”
B-21 Raider auf Kurs
Ein neues Flugzeugprogramm, das wie geplant voranzukommen scheint, ist der Tarnkappenbomber der nächsten Generation der USAF, der Northrop-Grumman B-21 Raider. Der Staatssekretär warnte zwar davor, zu viel Optimismus in Bezug auf neue Entwicklungsprogramme zu äußern, sagt aber, dass die bisherigen Fortschritte der B-21 ermutigend seien.
Die USAF nahm strenge Preisziele in ihren B-21-Vertrag mit Northrop Grumman auf, um den Kostenanstieg zu verhindern, der sich für den Vorgänger des Raider, den B-2 Spirit-Nurflügler fast als „tödlich” erwiesen hätte. Die massiven Stückkosten dieses Programms von fast zwei Milliarden Euro (inflationsbereinigt) führten dazu, dass die USAF nur 20 der Tarnkappenbomber beschaffte – von denen mindestens einer inzwischen ausgemustert wurde.
Die USAF sagt, sie sei entschlossen, mindestens 100 B-21 einzusetzen, was Kendall als einen „wesentlichen Beitrag zur strategischen nuklearen Abschreckung der USA” beschreibt. Derzeit sind drei Northrop Grumman B-21-Bomber in der Erprobung – einen Flug- und zwei Bodentests – da das Programm eine Rate von zwei Flügen pro Woche anstrebt. Tom Jones, Präsident der Luftfahrtabteilung des US-Rüstungskonzerns, sagte, dass das Programm „anfängt, eine ziemliche Kadenz von Flugtests zu starten”. Das Unternehmen habe zwei Tests pro Woche hinbekommen, weder das Unternehmen noch die Luftwaffe haben aber gesagt, wie viele Flugtests es insgesamt bisher gegeben hat. Jedenfalls soll der B-21 auch – im Gegensatz zum B-2 Spirit ein Einsatzmittel bei Tage werden.
Kendall würde gerne weitermachen
Zu seiner Person sagte Kendall, dass er in seinen ersten drei Jahren als Luftwaffenminister auf eine umfassende Überarbeitung des Ministeriums gedrängt habe. Während seiner Grundsatzrede führte er aus, dass er gerne im Rahmen der nächsten Präsidentschaft bis 2025 und darüber hinaus an diesen Bemühungen weiterarbeiten möchte. Als politischer Beauftragter für die Air Force wird Kendalls weitere Amtszeit aber vom nächsten Präsidenten abhängen – entweder Donald Trump oder Kamala Harris.
„Was ich heute nicht mache, ist eine Abschiedsrede”, sagte Kendall bei seiner Rede. Anschließend sprach er von der Wichtigkeit der bevorstehenden Präsidentschaftswahl und von seiner Zukunft. „Ich hoffe, dass ich die Möglichkeit haben werde, weiterhin zu dienen”, sagte er. „Wenn nicht, können Sie sicher sein, dass ich so hart wie möglich und so lange wie möglich arbeiten werde, um das Department of the Air Force auf einen Konflikt vorzubereiten, der nicht unvermeidlich ist, aber im Laufe der Zeit immer wahrscheinlicher werden dürfte.”
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