Die ukrainischen Streitkräfte (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) treiben den Wandel hin zu einer stärker automatisierten Kriegsführung voran. Ziel ist es, Soldaten aus direkten Gefechtssituationen herauszulösen und durch autonome, unbemannte Systeme zu ersetzen.
Dabei geht es nicht nur um den Schutz der begrenzten menschlichen Ressourcen, sondern auch darum, die wachsenden Herausforderungen moderner Gefechtsfelder zu meistern: Ermüdung, psychischer Stress sowie die Überforderung mit immer größeren Datenmengen aus verschiedensten Sensoren und Quellen sollen durch den Einsatz künstlicher Intelligenz überwunden werden.
Die Zukunftsvision einer KI-gestützten Militärstrategie hat Kateryna Bondar vom Wadhwani AI Center am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, D.C., in einem 37-seitigen Bericht umfassend analysiert.
„Es ist ein Drohnenkrieg”, zitiert der Bericht einen russischen Soldaten. Den ersten ukrainischen Kämpfer sah er erst, nachdem er sich einem unbemannten Luftfahrzeug (UAV) ergeben hatte.
Was bedeutet Autonomie in der Kriegsführung?
Laut Definition des US-Verteidigungsministeriums ist ein autonomes Waffensystem ein System, das – einmal aktiviert – in der Lage ist, Ziele eigenständig auszuwählen und zu bekämpfen, ohne dass ein weiteres menschliches Eingreifen erforderlich ist.

Im Gegensatz dazu stehen nicht-autonome oder teilautonome Systeme, die einzelne Schritte – wie das Erkennen oder Verfolgen eines Ziels – zwar automatisiert ausführen können, jedoch nicht den gesamten Entscheidungs- und Wirkprozess eigenständig übernehmen.
Millionen von Drohnen
Laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umerov produzierte die Ukraine im Jahr 2024 rund zwei Millionen Drohnen. Mehr als 1,5 Millionen davon waren FPV-Drohnen. 96,2 Prozent der von den ukrainischen Streitkräften eingesetzten Drohnen stammten aus lokaler Produktion. Somit erhielt die Ukraine im selben Zeitraum rund 80.000 Drohnen aus dem Ausland.
Von Jänner bis September 2024 ließ das ukrainische Militär 140 UAV-Modelle und 33 UGV-Modelle für den operativen Einsatz zu. Für das Jahr 2025 plant die Ukraine eine Produktion von rund fünf Millionen Drohnen.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten von KI
Künstliche Intelligenz kommt bei der Analyse von Aufklärungsdaten (ISR – Intelligence, Surveillance, Reconnaissance) zum Einsatz. KI-Algorithmen helfen dabei, Bilder und Videos zu priorisieren, basierend auf der Anzahl und Intensität beobachteter Ereignisse – etwa aktive Gefechte oder umfangreiche Truppen- und Ausrüstungsbewegungen. Ziel ist es, Objekte zu erkennen und zu klassifizieren. Als Bildquellen dienen Satellitenaufnahmen, Drohnen und stationäre Kameras.
Auch abgefangene Kommunikationsdaten – etwa Sprach- und Textnachrichten – sind ein Anwendungsfeld für KI. Messenger-Plattformen wie Signal und Telegram liefern täglich Tausende von Gruppenchats und Nachrichten, die oft unstrukturierte und nicht standardisierte Gefechtsfeldberichte enthalten. Hinzu kommt abgefangene Audiokommunikation aus verschiedenen Quellen, die ebenfalls wertvolle Informationen liefern kann.
Ohne technische Unterstützung ist es nahezu unmöglich, diese Datenmengen zeitnah zu transkribieren und auszuwerten, um verwertbare Erkenntnisse zu gewinnen.
Griselda: KI im Einsatz
Zur Verarbeitung dieser unstrukturierten Daten nutzt die Ukraine das KI-gesteuerte System Griselda – eine Plattform, die gezielt auf die Analyse großer Mengen an Sprach- und Textinformationen ausgerichtet ist.

Akustisches Luftraumüberwachungssystem Zvook
Akustische Systeme sind in der Lage, unterschiedliche Klangmuster zu klassifizieren und zu identifizieren. Das akustische Aufklärungssystem Zvook hat die Luftverteidigungsfähigkeiten der Ukraine erheblich verbessert. Es nutzt die Schallanalyse hochwertiger Mikrofone, um Bedrohungen aus der Luft in niedrigen Höhen zu erkennen – dort, wo Radarsysteme weniger effektiv sind.
Aktuell überwacht Zvook mit seinen rasterförmig angeordneten akustischen Sensoren rund 20.000 Quadratkilometer ukrainisches Territorium.
Eine künstliche Intelligenz filtert Hintergrundgeräusche wie Autos, Vögel oder menschliche Stimmen heraus und klassifiziert Luftbedrohungen anhand ihrer charakteristischen Geräuschsignatur – darunter Flugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper oder Drohnen mit Kolbenmotoren.
Dank Zvook können ukrainische Radaranlagen im Standby-Modus verbleiben und werden erst bei konkreter Bedrohung automatisch aktiviert.
Automatische Zielerfassung
Kernstück der KI-gestützten automatischen Zielerfassung ist die Fähigkeit, Ziele schneller und präziser als menschliche Operatoren zu erkennen und zu klassifizieren. Hochentwickelte Algorithmen des maschinellen Lernens, die mit umfangreichen Datensätzen aus Kampfszenarien trainiert wurden, sind in der Lage, zwischen Fahrzeugen, menschlichen Figuren und Strukturen in unterschiedlichstem Gelände und unter variierenden Bedingungen zu unterscheiden.
Aktuell liegt die Reichweite der automatischen Zielerfassung im Gefecht durchschnittlich bei etwa einem Kilometer, unter optimalen Bedingungen kann sie bis zu zwei Kilometer betragen.
Die KI muss kontinuierlich mit realen Gefechtsdaten aktualisiert werden, um sich an die dynamischen Bedingungen auf dem Schlachtfeld anzupassen.
Autonome Navigation
Die Störung klassischer Steuersysteme durch elektromagnetische Kampfführung senkt die Erfolgsquote bei der Zielerfassung auf etwa 10 bis 20 Prozent. Besonders betroffen sind hier Maßnahmen zur Störung von GNSS-Signalenwie GPS, aber auch die Unterbrechung der Steuerverbindungen zwischen Drohne und menschlichem Bediener.
Demgegenüber liegt die Erfolgsquote autonom navigierender Drohnen bei 70 bis 80 Prozent.
Es ist dabei zu unterscheiden zwischen Lösungen für die Navigation auf der „letzten Meile” und Systemen für Langstreckeneinsätze, die tief ins feindliche Gebiet vordringen sollen.
13 березня дрони СБУ атакували нафтопереробні заводи в РФ. відео з соцмереж pic.twitter.com/8HG8MjS6Ak
— Українська правда ✌️ (@ukrpravda_news) March 13, 2024
Die KI-gesteuerte Navigation in GPS-freien Umgebungen hat sich als Schlüsselelement von Langstrecken-Aufklärungsmissionen etabliert. Um gegnerische Luftabwehrsysteme zu umgehen, werden Flugrouten mit über 1.000 Wegpunkten programmiert.
Anhand vorinstallierter Satellitenbilder und Geländedaten ermitteln die Drohnen autonom ihre Position und sind in der Lage, Ziele mit hoher Präzision auch ohne aktive Satellitenkommunikation anzusteuern.