Es ist keine triviale Kriegsbeute, die syrischen Rebellen bei ihre Offensive im Laufe dieser Woche in die Hände fiel: Auf dem Gelände des Hauptquartiers der 25. Special Forces Division (Tiger Force) nordöstlich von Hama konnten sie ein unbeschädigtes Radargerät 48Y6-K1 Podlet-K1 (РЛС 48Я6-К1, Подлёт-К1) unter ihre Kontrolle bringen. Interessant dürfte das hochmoderne Beutestück vor allem für die USA sein.
Was Video Gamer gemeinhin als „Loot” bezeichnen – eine Art Belohnungssystem im Spiel, bei dem Ausrüstungsgegenstände eines besiegten Gegners gesammelt werden können, deren Wertigkeit von „liegt um jede Ecke” bis „Topmeldung in Gamer-Foren und schafft es auch in manche Nachrichtensendung” geht – gibt es also auch im echten Leben.
Als Viktor Belenko 1976 mit einer nagelneuen MiG-25 Foxbat nach Japan desertierte, war das auch so ein Ereignis am oberen Ende der Skala. Belenko war in Japan noch nicht mal aus seiner Fliegermontur heraußen, da wurde in Washington D.C. bereits in höchster Eile ein Experten-Team zusammengestellt, das binnen weniger Stunden unterwegs nach Japan war. Die MiG-25 hat die Sowjetunion damals nach langen Verhandlungen zurückerhalten, in Einzelteilen in Kisten verpackt. Von der Bordelektronik bis zur Metallurgie wurden der MiG zuvor aber alle ihre Geheimnisse entrissen.
In eine ähnliche hohe „Beutestück”-Kategorie ist nun wohl das Podlet-K1-Radar einzuordnen. Es ist mit ziemlicher Sicherheit das modernste Stück russischer Radartechnik das – offenbar unbeschädigt – bislang in feindliche Hände fiel.
Die mobile Radaranlage ist aufgebaut auf einem Vierachs-Lkw und kann binnen 20 Minuten betriebsbereit gemacht werden. Das 3D-Radar mit elektronischer Strahlschwenkung arbeitet im Zentimeterwellenbereich und ist insbesondere für die Erkennung und Verfolgung von Zielen in niedrigen und extrem niedrigen Höhen entwickelt. Bis zu 200 Ziele auf Entfernungen von 200 bis 300 Kilometer und bis in zehn Kilometer Höhe können gleichzeitig verfolgt und deren Koordinaten an vernetzte Luftverteidigungssysteme übermittelt werden.
Die Anlage ist also für genau jenen Konfliktbereich ausgelegt, der im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) Dauerbrenner ist: Angriffe mit tieffliegenden Abstandslenkflugkörpern. Das Podlet-K1 soll Waffen wie die Storm Shadow, Ground Launched Small Diameter Bomb oder die Bober-Drohne aufspüren und sie an die Fliegerabwehrverbände zur Bekämpfung weiter melden. Das alles offenbar auch hoch automatisiert.
Entsprechend groß der Schmerz in russischen Foren. „Ich verstehe nicht, warum wir im dritten Jahr des nördlichen Militärbezirks („militärische Spezialoperation“) nicht an allen Fronten gelernt haben, verlassene Ausrüstung zu zerstören oder zu verbrennen?” schreibt dort ein Spezialist für elektronische Kriegsführung. „Sie geben es allen möglichen Idioten, und dann sitzt man da und flippt aus”, schreibt ein empörter Forenbesucher.
Der materielle Wert des Geräts ist mit rund fünf Millionen Euro überschaubar, aber wie bei einer seltenen Briefmarke ist der ideelle Wert deutlich höher einzustufen. Im Krieg in der Ukraine wurde bisher nur die Zerstörung oder Beschädigung von fünf dieser seltenen Anlagen gemeldet.
Dass sich genug potente Interessenten für das Gerät finden werden darf man als gesichert einstufen. Wo es letztlich landet, ist schwer zu beurteilen, die Türkei und vor allem die USA wären wohl die heißesten Tipps. Fachleute, welche die Hardware ausmessen können, gibt es wohl einige. „Zauberer”, die auch in die Software einbrechen können, wohl nur sehr wenige.
Neben dem seltenen Radargerät haben die syrischen Rebellen auf dem Gelände übrigens auch noch einen T-90A-Kampfpanzer, zwei Allschutzfahrzeuge vom Typ Tiger-M und mindestens noch ein Dutzend andere Fahrzeuge in ihre Hände bekommen.