Während der Coronavirus-„Hot Spot” Europa schwerst mit sich selbst beschäftigt ist, kann man nur erahnen, wie sich die Pandemie in einem zwar dünn besiedelten afrikanischen 20-Millionen-Land wie Mali gestaltet, in dem aber 67 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind, 50 Prozent unter der Armutsgrenze leben, Gesundheits- und Transport-Infrastruktur nur rudimentär bis nicht vorhanden aber (glaubens)kriegsähnliche Zustände latent sind. Immerhin sind deshalb seit Jahren multinationale Truppenteile im Land, darunter auch Angehörige des Bundesheeres.
Erst am 19. März hat die Al-Qaida-affilierte „Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime“ (Jama’a Nusrat ul-Islam wa al-Muslimin oder kurz JNIM) einen tödlichen Überfall auf eine malische Militärbasis nahe der nördlichen Stadt Tarkint in der mittelmalischen Region Gao reklamiert. Nach Angaben der malischen Armee wurden bei dem Angriff mindestens 29 Soldaten getötet und weitere fünf verletzt. Wie bei vielen anderen und wohl noch weiteren Attacken auf Ortschaften und Militärstützpunkte hielten bei dem Angriff – dank rundum offenem Gelände – Dutzende von Dschihadisten auf Motorrädern und Pick-Ups aus drei Richtungen auf die Basis zu, deren Besatzung rasch niedergekämpft und in Folge allesamt exekutiert wurde. Wie immer auch wichtig: JNIM’s „Kommunikationsreferat” Az-Zallaqa betonte, dass die Dschihadisten schwere 14,5mm DShK-Maschinengewehre, RPGs und einen SPG-9-Raketenwerfer sowie etliche Fahrzeuge erbeuten konnten.
„Wenn nichts getan wird, diese sporadischen Terrorattacken wirksam zu bekämpfen und zu beenden, könnte diese Nation bald aufhören zu existieren”, sagte der malische Präsident Ibrahim Boubacar Keïta bereits letzten November. Damals beklagte er einen Angriff von IS-assoziierten Kämpfern bei dem in Indelimane – auch mittels erbeuteter Artillerie und Werfer – 53 Soldaten umkamen, bevor sich die „Soldaten des Kalifats” nach Niger zurückzogen. Eine inzwischen übliche, mehrere Grenzen überschreitende Taktik, die Haupttruppensteller Frankreich offenbar längst mehr beschäftigt als das solitäre Schicksal Malis. Jedenfalls gehen solche „Raids” inzwischen in die Dutzenden (siehe ASCC-Karte).
Die malische Luftwaffe unter dem Kommando von Oberst Major Souleymane Doucouré hat nach der Attacke in der Vorwoche seit 22. März vorläufig zwei Mi-35-Kampfhubschrauber und zwei leichte Erdkampfflugzeuge Embraer Super-Tucano auf die Basis 103 in Gao vorverlegt, später sollen solche bereits als punktuell sehr wirksam erwiesene Plattformen dort dauerhaft stationiert werden. Bislang war nur eine zweimotoriges Casa 295W-Transportmaschine regelmäßig in Gao stationiert und beflog jede Woche eine Reihe von Routen in der Region. Die beiden von Airbus-Helicopters an Mali verkauften Cougar kamen noch nicht wirklich zum Kampfeinsatz, sie befinden sich laut Augenzeugen in einem nahezu konstanten Zustand der Reparatur. Neben den rund fünfzehn von Frankreich und fünf von Dänemark (zwei EH-101) und den Briten betriebenen Hubschraubern (drei CH-47 HC.5 fat tank) werden von Timbuktu aus auch die salvadorianischen Hugues 500-Kampfhubschrauber von MINUSMA (in UN-weiß aber Raketenpods) eingesetzt, sowie vier letzten Oktober hinzugekommene IAR-330 Puma der rumänischen Armee. Das deutsche Heer hat vor Ort geleaste Heron sowie Luna X2000-Minidronen im Einsatz.
Zurzeit versucht die malische Administration – in Abstimmung oder mit Toleranz von lokalen Tuareg-Gruppen und Warlords, die nicht mit dem IS oder Al-Qaida verbündet sind – zum Zweck einer effektiven und dauerhaften Rückkehr der Verwaltung und Vermittlung von Sicherheit die teils verloren gegangene Autorität mittels friedlicher Rückkehr von Truppen zu etablieren. Mitte Februar begrüßte Premierminister Boubou Cissé vor Ort die Anwesenheit eines Bataillons der wiederhergestellten malischen Streitkräfte in Kidal. Der Regierungschef traf sich dazu – verzögert nachdem es dort es zehn Tage lang ein Blackout gab – mit den „Ex-Rebellen” die bis dahin Kidal kontrollierten. Es wurde erwähnt, daß es nicht darum ging Ex-Kombattanten zu entwaffnen, um sie zu schwächen, sondern einen Prozess einzuleiten damit Männer in Uniform Hand in Hand innerhalb derselben Armee arbeiten. Nach Kidal sollen die Forces Armées Malaliennes (FAMa) unter dem Kommando von General Abdoulaye Coulibaly in den kommenden Wochen auch nach Gao, Ménaka und Timbuktu entsandt werden. Derzeit werden bereits 1.400 ehemalige Rebellen in Garnisonen im malischen Süden ausgebildet, bevor sie dort eingesetzt werden. MINUSMA wird zweifellos stark an der Unterstützung der Rückkehr der FAMa in diese nördlichen Provinzen beteiligt sein, wie dies beim Einsatz in Kidal auch der Fall war.
Der Regierungs- und Staatsapparat von Mali ist in Wahrheit so desolat, dass sich die ökonomische wie die Sicherheitslage seit einiger Zeit dramatisch verschlechtert. Ein französischer Experte am Rande des sogenannten „Sahel-Gipfels” im südfranzösischen Pau im Jänner erklärte: „Richtete sich der Kampf früher gegen eingesickerte arabische Terroristen, sind es heute weit überwiegend Afrikaner vom Stamm der Peul. Und es gibt auch Aufstände lokaler Bevölkerungsgruppen, die mit Terrorismus gar nichts zu tun haben. Man darf das nicht alles vermischen.“ Die Verhandlungen der Regierung in Bamako mit den „echten“ Dschihadisten werden unterdessen zum Bluffspiel. Die Islamistenbündnisse befürchten, dass ihre Einheit untergraben wird, der malische Präsident scheint skeptisch und Frankreich verliert bereits das Interesse. Denn mittlerweile dürften die Erwartungen in Paris, was die rasche Befähigung der Mali-Armee angeht, so pessimistisch geworden sein, dass man auf andere Wege umschwenkt.
In eine zweiseitige Erklärung auf Arabisch vom erwähnten Az-Zallaqa erklärt die von Iyad Ag Ghali angeführte JNIM-Gruppe, sie sei „bereit, Verhandlungen mit der malischen Regierung aufzunehmen, unter der Bedingung, dass Bamako öffentlich ein Ende der Präsenz der französischen Streitkräfte der Operation Barkhane auf ihrem Boden ankündigt“. Diese radikale Forderung soll in erster Linie die Einheit der Dschihadistengruppe in der heiklen Frage signalisieren, ob Verhandlungen mit der malischen Regierung aufgenommen werden sollen. Denn hinter all dem Säbelrasseln befürchtet JNIM, dass Gespräche mit der Regierung interne Spaltungen innerhalb der Bewegung fördern könnten. Gegenwärtig ist die von Amadou Koufa geleitete Katiba Macina-Gruppe offenbar am offensten für die Idee des Dialogs mit dem malischen Staat, sie hatte bereits 2017 über den islamischen Rat Mali’s erste Kontakte mit der Regierung hergestellt. Iyad Ag Ghali sah dies unbehaglich und befürchtete, dass dies Amadou Koufas Bewegung später in eine Führungsrolle bringen könnte.
Obwohl er die Eröffnung von Verhandlungskanälen mit der JNIM persönlich gebilligt hat, überwacht der malische Präsident Ibrahim Boubacar Keïta den Prozess nicht direkt, ja scheint tatsächlich skeptisch zu sein, ob die Verhandlungen konkrete Früchte tragen werden. Die Treffen mit den dschihadistischen Gruppen werden für ihn von einer Reihe von Persönlichkeiten angeführt, die nach der politischen Krise welche Mali von August 2018 bis April 2019 erfasste, in die Regierung eingetreten sind, einschließlich des derzeitigen Außenministers Tiébilé Dramé. Der Präsident habe sich der „Friedensinitiative” nur angesichts der öffentlichen Meinung und der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage hingegeben, aber es dauerte mehrere Monate bis Mitte Februar bis er dies öffentlich anerkannte. Er sagte zu Radio France internationale (RFI): „Ich habe die Pflicht und die Mission, alle möglichen Wege zu erkunden und alles zu tun, um Frieden und Stabilität zu erreichen.” Da waren die Kanäle mit islamistisch/dschihadistischen Gruppen bereits mehrere Monate offen gewesen.
Der deutsche SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels, auch Wehrbeauftragter des deutschen Bundestages, unterstrich noch im Februar gegenüber der DPA, dass „ein einfaches ‚Weiter so‘ keine Option ist. Die dschihadistischen Terrormilizen gewinnen Raum, und die ganze Region kann kippen. Europa wird das nicht ohnmächtig mit ansehen und laufen lassen können.”
Eine offizielle‘Anerkennung der JNIM entspricht auch nicht der Haltung, die auf jenem G5-Gipfel in Pau in Südfrankreich am 13. Januar vertreten wurde. Hier wurde seitens Mali jene Rückkehr der FAMa in die Provinzen im Norden des Landes als zu beschreitender Weg betont. Paris scheint jedenfalls relativ uninteressiert an der Eröffnung eines lokalen Dialogs zwischen Bamako und der JNIM zu sein, da diese Verhandlungen nur begrenzte Auswirkungen auf die Aktivitäten seiner Operation Barkhane haben würden. Frankreich konzentriert seine Energien stattdessen gegen den Islamischen Staat in der Großen Sahara (ISGS). Von den Verhandlungen mit dem malischen Staat ausgeschlossen, wurde das von Walid al-Sahraoui angeführte ausgerufene Großkalifat auf dem Pau-Gipfel zum neuen Feind Nummer eins Frankreichs und der sogenannten G5-Staaten ernannt. Seit jener Konferenz hat Frankreich seine Bemühungen auf eine Drei-Grenzen-Zone konzentriert, in der ISGS-Formationen aktiv sind.
Von europäischen Medien öfters plump beschuldigt, in Wahrheit nicht an der Sicherheit in Subsahara-Afrika, sondern nur an der Sicherung von lokalen Uranvorkommen interessiert zu sein, hat Frankreich im Gebiet der G5 (seine ehemaligen Kolonien Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger), eine Fläche größer als Europa, 4.500 Soldaten in den Operationen Serval und Barkhane im Einsatz. Die Hubschrauberkräfte bilden dazu die französischen Heeresflieger der Aviation Légère de L’Armée de Terre (ALAT) der Luftwaffe (Armée de l’Air oder AdlA) mit Airbus Tiger, Aerospatiale Gazelle, NHIndustries NH90, Aerospatiale Puma und Airbus-Helicopters Caracal.
Am 26. November 2019 verfolgten französische Soldaten bereits seit einigen Tagen eine mobile Formation Terroristen zwischen Gao und Ménaka. Am Abend kam es zu Bodenkämpfen zwischen französischen Fallschirmjägern und den Dschihadisten. Erstere hätten schließlich Luftunterstützung angefordert. Drei Hubschrauber und eine Gruppe von Mirage-2000 Kampfflugzeugen aus N’djamena im Tschad kamen den Soldaten in einer mondlosen und in Europa unbekannt absolut dunklen Nacht zu Hilfe. Ein Cougar-und ein Tiger-Hubschrauber kollidierten, keiner der 13 Soldaten überlebte.