Bereits zum 20. Mal ging kürzlich in der Slowakei nahe der Stadt Senica (Deutsch: Senitz) die Großveranstaltung „Sahara” über die Bühne. Sie gilt als Pflichttermin für militärtechnikinterssierte Menschen aus ganz Europa und ist zugleich ein großes Volks- und Familienfest. „Militär Aktuell” hat sich vor Ort umgesehen.

Unter Reenactment versteht man die möglichst authentische Inszenierung konkreter historischer Ereignisse. Soweit die gängige Definition. Diese Form der lebendigen Geschichte erfreut sich besonders in Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA großer Beliebtheit, während sie in Österreich und Deutschland, wie vieles Militärische, zumindest vor der Zeitenwende infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg), von Teilen der Gesellschaft und der Politik skeptisch betrachtet wurde. Auch in Tschechien, Polen und der Slowakei gibt es eine große Szene, die sich mit Militärtechnik und der Nachstellung militärischer Ereignisse befasst – vom Mittelalter bis hin zur jüngeren Geschichte.

2002 wurde in der Slowakei auf einem Truppenübungsplatz nahe der Stadt Senica – knapp zwei Autostunden von Wien entfernt – erstmals eine Veranstaltung namens „Sahara” abgehalten. Seinen Namen verdankt das Event übrigens dem Umstand, dass Teile des Truppenübungsplatzes in Zahorie einen wüstenähnlichen Charakter aufweisen. Die „Sahara” fand seither jährlich statt, mit Ausnahme von 2020 (Höhepunkt der Corona-Pandemie) und 2023, wo das Festival aus organisatorischen Gründen kurzfristig abgesagt werden musste.

Ursprünglich ins Leben gerufen als Treffen von Besitzern historischer Militärfahrzeuge und militärhistorischer Vereine, mauserte sich die „Sahara” schon bald zu einem richtigen Volksfest, das von ganzen Familien besucht wird. Die Veranstalter sprechen von „mehr als 10.000 jährlichen Besuchern”. Sowohl die Teilnehmer als auch die Zuseher kommen dabei bei Weitem nicht nur aus der Slowakei und Tschechien, sondern reisen beispielsweise auch aus Ungarn, Polen, Deutschland, Österreich oder Serbien an.

Heuer fand die „Sahara” zum 20. Mal statt und war organisatorisch zwar etwas kleiner gehalten als in den vergangenen Jahren, konnte sich aber dennoch sehen lassen. Terminmäßig wird die Veranstaltung übrigens traditionell trotz der großen Hitze im August abgehalten, und das aus gutem Grund, wie die Veranstalter erklären: „Im August gedenken wir des Jahrestages des Slowakischen Nationalaufstandes gegen die Nazis. Auf diesem historischen Meilenstein der slowakischen Geschichte gründet die Motivation für die Veranstaltung.”

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Dieser Aufstand der „1. Tschechoslowakischen Armee in der Slowakei” richtete sich einerseits gegen die ab dem 29. August 1944 beginnende Okkupation der Slowakei durch die deutsche Wehrmacht, andererseits gegen das slowakische Kollaborationsregime unter Jozef Tiso. Der slowakische Nationalaufstand war neben dem Warschauer Aufstand einer der größten Aufstände im Hegemoniebereich der Nazis und wird in der Slowakei bis heute entsprechend als Akt des Widerstandes gewürdigt.

Die „Sahara 2024” fand am 23. und 24. August statt – und das bei Temperaturen von über 30 Grad. Nomen est omen eben. Der Freitag stand dabei zunächst ganz im Zeichen einer Rallye der historischen Fahrzeuge durch das wüstenähnliche Gelände, das eine große Herausforderung für die Fahrer und die Technik darstellte. Parallel dazu gab es Führungen durch die historischen Feldlager der verschiedenen Einheiten und Armeen. Die teilnehmenden Reenactor-Gruppen präsentierten sich unter anderem als „Französische Fremdenlegion”, „1. Tschechoslowakische Armee in der Slowakei”, „US Marine Corps”, „US Army”, „Rote Armee” oder „Deutsche Wehrmacht”. Die Uniformen und Waffen entsprechen dabei bis ins kleinste Detail den historischen Originalen und werden zumeist über das Internet gekauft, teils aber auch extra angefertigt.

Mitunter investieren die Darsteller mehrere hundert Euro aus eigener Tasche in diese Ausrüstung. Viel Geld, denn die Durchschnittslöhne in der Slowakei und Tschechien liegen unter denen Österreichs. Übrigens sind es keineswegs nur Männer, sondern auch viele Frauen, die dieser Leidenschaft frönen. Sie stellen dabei Krankenschwestern, Flakhelferinnen, Nachrichtenhelferinnen (Deutsche Wehrmacht) oder Soldatinnen (Rote Armee) beziehungsweise Partisaninnen (Slowakischer Nationalaufstand) dar.

Die deutschen Soldaten auf der „Sahara” wurden vor allem von Gruppen aus Tschechien gespielt. Auf die Frage des Autors an einen Darsteller, wie es sich für ihn als Tschechen, dessen Volk unter den Nazis gelitten hat, anfühle, in die Rolle eines Angehörigen der deutschen Streitkräfte des Zweiten Weltkrieges zu schlüpfen, reagierte der Reenactor zunächst eher erstaunt (sinngemäß: „Ich weiß nicht, was Sie meinen”), antwortete dann ganz nüchtern-analytisch: „Die schrecklichen Verbrechen der Nazis sind uns allen natürlich bekannt. Aber hier geht es nicht um Politik. Wir stellen ganz einfach das Alltagsleben eines Soldaten sowie das militärische Geschehen dar und das möglichst detailgetreu. Dazu gehören auch die Abzeichen und Insignien dieser Zeit. Vor diesem professionellen Hintergrund habe ich überhaupt kein Problem damit, diese Uniform im Rahmen einer solchen seriösen Veranstaltung zu tragen.” Ähnliches war auch von seinen slowakischen Kollegen zu vernehmen.

Sämtliche Darsteller sind übrigens Mitglieder in offiziell registrierten militärhistorischen Vereinen, genannt „Kluby vojenskej histórie”, von denen allein in Tschechien mehr als 200 existieren. Wer sich dort in irgendeiner Form politisch betätigt, riskiert seine Mitgliedschaft. Diese Vereinigungen genießen deshalb auch das volle Vertrauen des Staates. Sowohl das Verteidigungsministerium der Slowakei als auch die Armee des Landes sind folglich offizieller Partner der „Sahara”, ebenso wie das Múzeum SNP – Múzeum Slovenského národného povstania –, das Museum des slowakischen Nationalaufstandes oder das Kriminaltechnische Institut der slowakischen Polizei.

Der Samstag war dann der „Haupttag” der diesjährigen „Sahara”, zu der auch Familien mit Kindern in Scharen pilgerten. Neben den Feldlagern der verschiedenen „Streitkräfte” gab es auch Verkaufsstände, an denen alles angeboten wurde, was das Herz des Militärtechnik- oder Outdoorfans erfreut: Ersatzteile für historische Fahrzeuge und Motorräder, Uniformteile, T-Shirts, Sonnenhüte, Kappen, Zelte, Militärstiefel aus aller Herren Länder und Epochen – von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart. Natürlich wurde unter den Oldtimer-Fans auch genetzwerkt, was das Zeug hielt. Besonderer Beliebtheit bei den Kleidungsstücken erfreuten sich heuer unter anderem jene, mit denen des 80. Jahrestages des D-Day gedacht wurde – der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944, die den Auftakt zur Befreiung Europas vom grauenhaften Nazi-Terror einläutete.

©Militär Aktuell

Den ganzen Tag über konnten die Besucher die historischen und modernen Militärfahrzeuge (Beiwagenmotorräder, Lkw, Panzer, Jeeps, …) nicht nur statisch besichtigen (oder im Fall der Panzer hineinklettern), sondern auch kostenlos mit ihnen mitfahren, was vor allem bei den jüngsten Gästen wahre Begeisterungsstürme auslöste und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Auch den Eltern hat es sichtlich gefallen und manchmal war nicht ganz klar, ob der Vater oder der Sohnemann am Kettenkrad mehr Freude an der ganzen Aktion hatte.

Die beiden Höhepunkte des Samstags waren aber zweifellos die beiden dynamischen und enorm aufwendig professionell inszenierten Gefechtsvorführungen. Die erste fand von 11.00 bis 12.00 Uhr statt und stellte das Gefecht der slowakischen Aufstandsarmee vom August 1944 gegen deutsche Truppen dar. Dabei kamen nicht nur jede Menge Pyrotechnik, historische Fahrzeuge, eine Acht-Achter-Flak im Erdkampfeinsatz als Pak, sondern sogar ein Flugzeug und ein Panzer zum Einsatz. Nach einer Stunde Gefecht mit vielen „Verlusten” auf beiden Seiten, wurden die überlebenden slowakischen Aufständischen von den Deutschen gefangen genommen. Tosender Applaus beim Publikum.

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Die zweite Darstellung am Nachmittag war sogar noch umfangreicher. Ein tschechischer Panzer, der auf einen deutschen Panzerkampfwagen III getrimmt war, sowie zwei wunderschön restaurierte russische T-34 Kampfpanzer nahmen daran teil.

Dieses Mal stellten die Vereine den Kampf deutscher Truppen gegen die Rote Armee dar – inklusive Luftschlacht! Vom nahen Flugplatz in Senica (Letisko Senica) waren zwei Zlín Z-226, lackiert in den Farben der deutschen Luftwaffe, gestartet, die plötzlich in enger Formation über dem Gefechtsfeld auftauchten und zur Unterstützung der deutschen Infanterie Angriffe auf die vorrückende Rote Armee flogen – wiederum massiver Pyrotechnik-Einsatz inklusive. Bald standen die tausenden Zuschauer (der Wind war etwas ungünstig) eingenebelt in einer Wolke aus Staub, Sand und Pulverdampf. Mittendrin, statt nur dabei, authentischer ging’s kaum. Dem Publikum gefiel es sichtlich.

Nach einiger Zeit tauchte dann plötzlich ein einsamer sowjetischer Jäger in Form einer Jakovlev Jak-52 mit großem roten Stern auf dem Rumpf am Himmel auf, griff in das Geschehen ein und lieferte sich, teilweise in Baumwipfelhöhe, einen spektakulären Luftkampf mit den beiden deutschen Jägern, die schließlich „abgeschossen” wurden (samt Rauchfahne hinter sich herziehend), woraufhin die Rotarmisten zunächst die deutsche Pak-Stellung mit der Acht-Achter Flak überrannten und es schließlich unter lautem Geschrei zum Nahkampf zwischen Deutschen und Russen kam.

Die „überlebenden” deutschen Soldaten wurden am Ende von den Russen einfach erschossen. Auch diese brutale Realität des Krieges (in der Ukraine erschießen russische Soldaten heute übrigens wieder regelmäßig Kriegsgefangene, diesmal sind es Ukrainer) wurde nicht ausgeblendet. Und das ist auch das Motto der „Sahara” und der teilnehmenden Vereine. Ihr Anspruch ist es nämlich, „lebendigen Geschichtsunterricht” zu bieten. Unter dem tosenden Applaus des Publikums zogen die Darsteller der Deutschen und der Russen nun wieder ab und wurden wenig später gemeinsam bei einem kühlen Pivo (Bier) oder einem erfrischenden Kofola gesichtet.

Die Besucher waren jedenfalls von der „Sahara” begeistert – trotz des abgespeckten Programmumfanges. Ununterbrochen wurde gefilmt und fotografiert – besonderer Beliebtheit erfreuten sich dabei Selfies mit den Darstellern. Besonders oft lichteten sie auch die historischen deutschen Beiwagengespanne der Marken BMW und Zündapp sowie die zahlreich vertretenen alten JAWA-Motorräder ab. JAWA wurde 1929 in der Tschechoslowakei gegründet und war einst einer der führenden Motorradhersteller, dessen Maschinen in 120 Länder exportiert wurden. Zwar werden noch immer klassische 2-Takt-Motorräder in Tschechien produziert, sie sind in der EU als Neufahrzeuge allerdings nicht mehr zulassungsfähig. Doch das ist eine andere Geschichte.

Die meisten Besucher werden nächstes Jahr bestimmt wieder zur „Sahara” in die Slowakei kommen – und/oder zwischenzeitlich auch noch eine der zahlreichen anderen Reenactment-Veranstaltungen in Osteuropa besuchen.

Quelle©Patrick Huber