Einen Monat nach der Verletzung des schwedischen Luftraums am 2. März durch vier russische Kampfflugzeuge östlich von Gotland wurde nun durch den schwedischen Sender TV4 Nyheter bekanntgemacht, dass zwei Jets offenbar mit Atomwaffen bewaffnet waren. Nach Einschätzung des Senders und von Studiogästen handelte es sich bei dem Verstoß um eine vorsätzliche Handlung mit dem Ziel, Schweden einzuschüchtern und in der Ausrichtung seiner Sicherheitspolitik zu beeinflussen.
Die vier Maschinen – neben zwei Fencer aus den 1980er-Jahren flogen zwei Su-27-Jäger als Eskorte mit – kamen vom russischen Luftwaffenstützpunkt bei Kaliningrad. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine ist die schwedische Luftwaffe (Flygvapnet) ohnehin in erhöhter Alarmbereitschaft, fliegt mehr Patrouillen und konnte so sehr schnell vor Ort sein als erkannt wurde, dass die russischen Piloten Kurs auf Gotland nahmen. Die Verletzung des Luftraums dauerte dann nur etwa eine Minute, die vier Maschinen wurden fotografiert und wieder in internationalen Luftraum hinauseskortiert. Bei der offenbar beobachteten Nutzlast könnte es sich um taktische nukleare Freifallbomben RN-28 gehandelt haben. Sie sind – ähnlich der B61-Equivalente der USA in Büchel – jedenfalls noch im russischen Arsenal. Im Juni 2018 berichtete Topwar.ru, dass sechs Su-24M des 37th Mixed Aviation Regiment nach Gwardejskoe auf die Krim verlegt wurden und in Material, das Militär Aktuell von der ukrainischen Mission der OSZE übermittelt wurde, ist, neben anderen damaligen Beobachtungen wegen einer Re-Nuklearisierung von Anlagen auf der annektierten Krim, in Hinblick auf die Su-24M genau diese RN-28-Fähigkeit explizit erwähnt worden.
Nun wurde zu dem Vorfall auch der schwedische Luftwaffenchef Carl-Johan Edström befragt (siehe Video unten), er will aber das von seinen Gripen-Piloten laut TV4-Quellen damals fotografisch dokumentierte Tragen von Atombomben an den zwei Angriffsflugzeugen Su-24M nicht bestätigten beziehungsweise näher kommentieren. „Es gibt hier und jetzt keine erhöhte Bedrohung für Schweden. Generell kann man sagen, dass die Waffen der meisten russischen Flugzeuge außen aufgehängt sind. Wie aber genau diese Maschinen bewaffnet waren, kommentieren wir im Moment nicht. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir, wenn wir eine erhöhte Bedrohung für Schweden gesehen hätten, darüber informiert hätten. Wir können eine Bedrohung oder einen Angriff aus Russland nicht generell ausschließen. Wir haben den Vorfall analysiert und betrachten das als einen bewusst gesetzten, unprofessionellen und unverantwortlichen Akt. Natürlich kann ich einen Navigationsfehler nicht ausschließen, aber alles deutet darauf hin, dass es eine bewusste Handlung war, dass sie Schwedens Grenzen verletzten wollten. Was sehr ernst ist, zumal die Russen zu diesem Zeitpunkt ein kriegführendes Land waren und es noch immer sind”, so Edström.
Keine Routinesache
Der nun bekannt gewordene Vorfall ist wohl Ausdruck einer klaren Strategie auf russischer Seite und könnte als ein Zeichen gegen Schweden und dessen – erst durch den Ukraine-Krieg ausgelösten – in Wandel geratene sicherheitspolitische Ausrichtung verstanden werden. Die Botschaft könnte lauten: Wir haben Atomwaffen und könnten diese auch jederzeit einsetzen, was laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskov aber nur dann tatsächlich der Fall wäre, wenn Russland als Nation in seiner Existenz gefährdet wäre. Jedenfalls sind russische Flugzeuge entlang Schwedens Luftraum und im Baltikum bisher immer mit für taktische Flugzeuge üblichen konventionellen Außenlasten bestückt gewesen und daher ist das keine Routineangelegenheit, wenn man sich entscheidet jene RN-28 oder Equivalente mitzuführen. Nach dem Vorfall wurde ein russischer Vertreter ins Außenministerium gerufen: „Für diese Art von Fällen gibt es etablierte Verfahren. Dazu gehört die Einberufung von Vertretern der verletzenden Nation in das Außenministerium. Die Verfahren wurden auch in diesem Fall angewandt”, so der Pressedienst des Außenministeriums gegenüber SVT.
Zu Wort gemeldet hat sich auch Schwedens Verteidigungsminister Peter Hultqvist: „Die erneute russische Verletzung des schwedischen Luftraums ist natürlich völlig inakzeptabel. Es wird zu einer starken diplomatischen Reaktion Schwedens führen. Die schwedische Souveränität und das schwedische Territorium müssen immer respektiert werden.” Mit „erneut” könnte Hultqvist daran erinnern, dass bereits 2013 nachts zwei russische Tu-22M3 Bomber im Raum Gotland unübliche Manöver geflogen hatten, die später als typisch für Angriffsprofile mit nuklearen Abstandwaffen auf die Region Stockholm ausgewertet wurden.
Nicht mehr wirklich neutral
Angemerkt muss – als möglicher „Auslöser” der russischen „Show of Force” – auch werden, dass das Eindringen der russischen Maschinen in den schwedischen Luftraum unmittelbar nach der Entscheidung Schwedens stattfand, militärische Hilfe in die Ukraine zu schicken, darunter 5.000 Panzerabwehrwaffen. Es war das erste Mal seit 1939, dass Schweden Waffen in ein Land im Krieg geschickt hatte. Wenige Tage vor dem nunmehrigen Bekanntwerden der Details dieses Vorfalls, hat die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am 28. März angesichts einer möglichen russischen Bedrohung auch anderer EU-Staaten – in einem auch für Österreich interessant formulierten Satz – betont, dass ihr Land dann auch militärisch eingreifen würde. „Seit wir der EU beigetreten sind, sind wir nicht mehr wirklich neutral”, sagte sie nach einem Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. In der EU gelte eine Beistandsverpflichtung, Schweden werde Partnern im Notfall ganz klar auch militärisch helfen. Schweden sei bisher nur nicht Mitglied eines Verteidigungsbündnisses wie der NATO gewesen, sagte Andersson. Es gebe aber nun eine lebhafte innenpolitische Diskussion, ob sich dies ändern solle. Denn die Sicherheitslage in der baltischen Region habe sich schon seit längerem verschlechtert. Zudem werde Schweden seine Militärausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erhöhen, kündigte Andersson an. Das sei auch die Zielmarke der NATO-Staaten.